Arktischer Kohlenstoff erhitzt das Klima

Emissionen aus dem tauenden Permafrost werden noch Jahrhunderte anhalten

  • Wolfgang Pomrehn
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn das Eis im Boden schmilzt, zersetzt sich Kohlenstoff.
Wenn das Eis im Boden schmilzt, zersetzt sich Kohlenstoff.

Der Planet erwärmt sich, und zwar in den letzten Jahren in zunehmendem Tempo. Besonders macht sich das in den nördlichen Breitengraden bemerkbar, wo sich die Arktis – ganz den Projektionen der Klimamodelle entsprechend – weit überdurchschnittlich erwärmt. Zwischen 1979 und 2021 ist die Temperatur im hohen Norden viermal so schnell wie im globalen Durchschnitt gestiegen, wie 2022 finnische Meteorologinnen und Meteorologen im Fachblatt »Communications Earth & Environment« schrieben.

Die Folgen sind rund um den Polarkreis zu beobachten: Die Grenze des Dauerfrostes – des sogenannten Permafrosts – zieht sich nach Norden zurück, und die obersten Schichten des seit Ewigkeiten gefrorenen Bodens tauen auf. Das ist nicht nur für die dort lebenden Menschen ein Problem, weil Steilküsten erodieren, auf dem nun schwindenden Eisboden gegründete Gebäude einstürzen und Straßen unpassierbar werden. Vielmehr wird der Rückzug des Permafrosts auch zum globalen, den Treibhauseffekt weiter verstärkenden Problem. Im Boden sind nämlich große Mengen organischen Materials gebunden: abgestorbene Gräser und andere Pflanzen, Überreste von Mammuts und andere Tierkadaver. Übrigens auch gefährliche Krankheitserreger wie Viren der Spanischen Grippe, der 1919 einige Dutzend Millionen Menschen zum Opfer fielen.

1,1 bis 1,5 Billionen Tonnen Kohlenstoff sind im Permafrost gespeichert.

-

Doch das ist eine andere Geschichte. Hier soll es eher um den organischen Kohlenstoff gehen, der – nun aufgetaut – durch Verwesung freigesetzt werden wird. Entweder in Form von Kohlendioxid oder – sofern die Zersetzung in Sümpfen unter Luftabschluss geschieht – als Methan. Letzteres ist im Vergleich zum bekannteren CO2 ein noch weit effektiveres Treibhausgas. Mit anderen Worten: Die durch die Verbrennung von Öl und Kohle verursachte Erwärmung führt zur Freisetzung weiterer Treibhausgase, setzt also in einem gewissen Umfang einen sich selbst verstärkenden Prozess in Gang.

Dieser Teufelskreis ist zum Glück nicht allzu stark ausgeprägt, aber er lässt sich nicht so einfach durchbrechen, wie jetzt eine neue Studie eines internationalen Teams um Park So-Won von der Universität Seoul, Südkorea, herausgefunden hat. Vielmehr würden sich die arktischen Emissionen auch bei drastischer Reduktion der menschlichen Treibhausgasproduktion noch mindestens bis zum Jahr 2300 fortsetzen, weil das Klimasystem sich nur zeitverzögert an die vom Menschen veränderten Bedingungen anpasst. Allerdings würde eine Verminderung der menschlichen Emissionen auch die des Permafrosts abbremsen.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Derweil ist das arktische Potenzial für zusätzliche Treibhausgase riesig. 1,1 bis 1,5 Billionen Tonnen Kohlenstoff sind im Permafrost gespeichert, hat ein anderes Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Schweden, Dänemark, Deutschland und den USA im vergangenen Jahr berechnet. Das entspricht rund 4 bis 5,5 Billionen Tonnen CO2 oder, grob gerechnet, mindestens dem Hundertfachen der derzeitigen jährlichen Treibhausgasemissionen. Zum Glück wird davon bisher vergleichsweise wenig freigesetzt. 2019 hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachblatt »Nature Climate Change« abgeschätzt, dass zwischen 2003 und 2017 jährlich etwa 1,7 Milliarden Tonnen Kohlenstoff verloren gingen, die arktische Vegetation aber zugleich jährlich eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff aufnahm. Die Region wäre demnach bereits zu einer weiteren Treibhausgasquelle von netto etwa 700 Millionen Tonnen Kohlenstoff im Jahr geworden. Sofern dies in Form von CO2 frei wird, entspräche das 2,6 Milliarden Tonnen des Treibhausgases, also etwas mehr als 6 Prozent der globalen Emissionen aus menschlichen Aktivitäten.

Nun sind die letztgenannten Zahlen alles andere als Konsens in der Wissenschaft. Vielmehr hat sich in den letzten Jahren die Ansicht verbreitet, dass die Prozesse in der Arktis eher langsam ablaufen und die Gefahren daher begrenzt sind. Auch die neue Studie von Park und ihrem Team geht von deutlich geringeren Emissionen aus. Sie macht vor allem deutlich: Auch wenn die menschliche Gesellschaft endlich ihre Treibhausgasemissionen einstellt, wird das Erdsystem noch viele Hundert Jahre benötigen, um sich auf ein neues Gleichgewicht einzupendeln.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.