Tesla und IG Metall: Im Clinch auf dem Heidefeld

Wie Tesla und die IG Metall um die Vorherrschaft in der Autofabrik ringen

Die Betriebsratsvorsitzende Michaela Schmitz spricht zu Tesla-Beschäftigten.
Die Betriebsratsvorsitzende Michaela Schmitz spricht zu Tesla-Beschäftigten.

Wenn sich im Kampfsport zwei Kontrahent*innen eng im Klammergriff halten, so spricht man vom Clinch. Im Boxsport ist die Umklammerung regelwidrig. Gleichwohl ist das Bild von eng umschlungenen Kämpfer*innen auch im Boxen ein gewohntes. Um der Schlagdistanz zu entkommen und einige Sekunden zu verschnaufen, treten die Boxer*innen die Flucht nach vorne an. Aus dieser Position heraus kann sich der Kampf jedoch nicht weiterentwickeln, weshalb der*die Ringrichter*in die Kontrahent*innen voneinander trennt und Wiederholungsfälle im Zweifel mit Punktabzug ahndet.

Auf einem ganz anderen Feld scheint der Kampf ebenfalls festzustecken: Im brandenburgischen Grünheide, wo das Tesla-Management und die IG Metall um die Gunst der Belegschaft ringen, geht es für keine der beiden Seiten voran. Das ist, zumindest wenn man sich die Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat anschaut, gut für Tesla. Hier dominiert die managementnahe Fraktion. Die Gewerkschaft IG Metall stellt 16 der 39 Sitze. Ein Ergebnis, das Bezirksleiter Dirk Schulze zuletzt als »guten Erfolg«, aber auch als »nicht zufriedenstellend« beurteilte. Zumal die Minderheit der IG Metall im ersten Betriebsrat damit erklärt wurde, dass bei der Wahl im Jahr 2022 im Vergleich zu den Führungskräften nur wenige Produktionsarbeiter*innen in der Gigafactory angestellt waren. Das war 2024 anders. Doch erneut entschied sich nur eine Minderheit der nun knapp 13 000 Beschäftigten für eine Stimme für die Liste IG Metall – Workers GFBB.

Die IG Metall hat bisher wenig Greifbares für die Mitarbeiter*innen erreichen können. Allerdings braucht es hierfür auch Mehrheiten. Ob Lohnerhöhungen, wie die Gewerkschaft behauptet, auf ihre Präsenz im Werk zurückzuführen sind, lässt sich nicht nachweisen.

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Nach der Betriebsratswahl im Frühjahr 2024 hatte sich Werksleiter André Thierig bei der Belegschaft bedankt, dass sie sich »mehrheitlich gegen einen gewerkschaftlichen Betriebsrat« und »für eine unabhängige Zukunft der Gigafactory Berlin-Brandenburg« ausgesprochen habe. Immer wieder fiel auch die Betriebsratsvorsitzende Michaela Schmitz durch ihre ablehnende Haltung gegenüber der IG Metall auf. Bereits vor ihrer Wiederwahl hatte Schmitz laut »Handelsblatt«, das sich auf Mitschnitte von Belegschaftsversammlungen beruft, erklärt: »Was wir nicht brauchen, ist eine Gewerkschaft, eine Gewerkschaft, die versucht, uns auszubremsen, die versucht, uns eine Schablone drüberzulegen, nur damit wir allen anderen Autobauern gleicher werden.« Im Juli 2024 habe Schmitz diese Ansicht bestätigt. »Ich versuche mal, es charmant auszudrücken«, sagte Schmitz. »Wir haben hier leider Mitglieder im Betriebsrat, die sich eher instrumentalisieren lassen von der Gewerkschaft von außen.« Diese würden versuchen, »die Interessen der Gewerkschaft durchzusetzen«, und so »geile Ergebnisse für euch« verhindern.

Das Agieren von Schmitz ist mittlerweile Verhandlungsgegenstand vor dem Arbeitsgericht in Frankfurt (Oder). Die IG Metall selbst hat nach dem Richter gerufen. Sie will feststellen lassen, ob sich das Verhalten der Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes bewegt. Am Ende könnte Schmitz aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden, sofern sich eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten herausstellt. An den Mehrheitsverhältnissen in dem Gremium würde das nichts ändern, für Schmitz würde ein*e weitere*r Kandidat*in ihrer Liste nachrücken.

Der Versuch beim ersten Verhandlungstermin am Dienstag, eine gütliche Einigung zwischen IG Metall und Schmitz zu erreichen, scheiterte wenig überraschend. Die IG Metall hatte einen umfassenden Katalog an Vorwürfen vorgelegt, zu denen Schmitz und ihre Verteidigung bisher noch nicht im Detail Stellung genommen haben. Wie ein Sprecher der IG Metall »nd« mitteilte, sollen Newsletter, die Kritik an der IG Metall enthielten, ohne Abstimmung mit den IG-Metall-Mitgliedern des Betriebsrats verschickt worden sein. Weiterhin, erklärte der Sprecher, werte man als Gesetzesverstoß, dass Besprechungspunkte der Mitglieder nicht auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Der Hauptvorwurf, so kristallisierte es sich auch beim ersten Termin heraus, bezieht sich auf den mutmaßlich unrechtmäßigen Ausschluss eines Gewerkschaftsvertreters von einer Betriebsratssitzung.

»Es soll hier eine Vielzahl von Pflichten verletzt worden sein, die wir allesamt entkräften können«, sagt Schmitz’ Anwalt Peter Krebühl am Dienstag. Der Termin wird auch von einigen Tesla-Vertretern verfolgt, darunter Werksleiter Thierig. Anwalt Krebühl gibt sich gelassen: »Von diesen Vorwürfen bleibt am Ende keiner übrig, der den Ausschluss rechtfertigen würde.« Er wertet das Verfahren als Wahlkampfmaßnahme der Gewerkschaft. Im Frühjahr 2026 wird gemäß dem gesetzlich vorgeschriebenen Turnus der Betriebsrat erneut gewählt. Die IG Metall wolle offenbar die Betriebsratschefin diskreditieren und eine Angriffsfläche suchen, führt Krebühl aus. Überhaupt sei der Frieden im Betriebsrat durch das Agieren der IG Metall verletzt. Die Mehrheitsfraktion, zu der auch »Mitglieder und ehemalige Mitglieder der IG Metall« zählten, seien gegen einen Ausschluss der Betriebsratsvorsitzenden. Der Anwalt bittet die IG Metall, den Antrag zurückzunehmen.

Am Ende legt die Richterin Schmitz und ihrem Anwalt nahe, innerhalb von sechs Wochen substanziell und gegebenenfalls beweisfest zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, insbesondere dazu, »welche Art und Weise des Vortrages der Meinungsäußerung« des Gewerkschaftssekretärs den Gebrauch des Hausrechts notwendig machte. Er soll von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes abgeführt worden sein.

»Das Gericht muss einschreiten und klarstellen, dass nicht das Recht des Stärkeren, des Reicheren gilt.«

Damiano Valgolio Rechtsanwalt

Schmitz’ Anwalt Krebühl behauptet zunächst, der Gewerkschaftssekretär habe seine Befugnisse als beratender Teilnehmer überschritten, indem er »stark politisch agitiert« habe. Der »Einfluss auf das Abstimmungsverhalten und die Meinungsbildung war für die Mehrheit nicht hinnehmbar«, sagt der Anwalt. Ob es denn nicht zur beratenden Tätigkeit des Sekretärs dazugehöre, mitzuteilen, »was er wovon hält und wie er es sieht«, wollte die Richterin von Krebühl wissen. Die Gegenseite habe umfassend vorgetragen, man müsse sich das im Detail anschauen, erwidert Krebühl. Es gehe um dauerhaftes wiederholtes Stören, er habe Diskussionen unterbunden. Anders als bei anderen Sitzungen mit Gewerkschaftsbeteiligung sei eine Rückkehr zum Sitzungsablauf nicht mehr möglich gewesen.

Die Richterin befragt auch Schmitz selbst: »Wie hat er gestört?« Schmitz erklärt, dass der Sekretär als Teil des Betriebsrates aufgetreten sei. »Wir sind der Betriebsrat«, habe er gesagt. Sie habe ihn dann korrigiert und auf seine beratende Rolle verwiesen. Auch Schmitz sagt, der Fall sei zu umfangreich, um am Dienstag die Details auszuarbeiten. Sie stehe zu ihrem damaligen Verhalten noch heute.

Benedikt Rüdersheim, der die IG Metall vertritt, verweist auf eine E-Mail der Betriebsratschefin an den Gewerkschaftssekretär. In der habe sie die Gesetzesüberschreitung mit den mehrmaligen wertenden Kommentaren begründet. »Eine Störung ist etwas Subjektives, und hier wurde die Störung offenbar durch eine Meinung wahrgenommen«, sagt Rüdersheim. Sein Anwaltskollege Damiano Valgolio holt noch weiter aus: »Offensichtlich kann die Gegenseite nicht benennen, welches Verhalten konkret den Gesetzesverstoß darstellen soll.« So liege nahe, dass der demokratische Prozess als solcher als störend empfunden und »mit administrativen, rechtswidrigen Mitteln unterbunden wird«. An diesem Punkt müsse das Gericht einschreiten und klarstellen, dass nicht das Recht des Stärkeren, des Reicheren, gilt.

Auch die Vorsitzende Richterin wird am Ende noch mal grundsätzlich. Die Betriebsratsvorsitzende habe die Aufgabe, eine Fraktionenbildung zu verhindern. Sie habe jedoch den Eindruck, Schmitz habe sie stattdessen befeuert. Schmitz’ Anwalt Krebühl weist dagegen auf ihr integratives Wirken im ersten Betriebsrat hin. Zudem wundert er sich über die »Sitzungsführung«. Es sei es nicht üblich, dass die Richterin von den Parteien während eines Gütetermins detaillierte Stellungnahmen einfordere und so deutliche Einschätzungen vornehme.

Die IG Metall erklärte »nd«, dass es ihr um einen arbeitsfähigen Betriebsrat so bald wie möglich gehe und nicht um Wahlkampf. Einen nächsten Gerichtstermin könnte es »wahrscheinlich im Sommer oder Herbst« geben, stellte die Richterin in Aussicht. Eine weitere Verhandlung eines ehemaligen IG-Metall-Betriebsrats gegen Tesla, die für Donnerstag angesetzt war, wurde verschoben. Hier wehrt sich der ehemalige Mitarbeiter gegen seine Kündigung. Tesla nennt als Kündigungsgrund die Androhung von Tätlichkeiten gegen Beschäftigte und Betriebsratsmitglieder. Das sagte Gerichtsdirektor Martin Guth dem »nd«. Es ist nicht der erste Fall, in dem Tesla Betriebsräte der IG Metall vor die Tür gesetzt hat.

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