Francesca Albanese: Die Polizei schreibt mit

Auftritt von UN-Repräsentantin Francesca Albanese in Berlin von staatlichen Repressionen begleitet

Palästina-Debatte – Francesca Albanese: Die Polizei schreibt mit

»Ich bin hier als UN-Sonderberichterstatterin und wurde als solche eingeladen. Der Druck, der von öffentlichen Personen auf Universitäten ausgeübt wurde, spiegelt die Realität und die repressive Atmosphäre wider, die in Deutschland herrscht.« Francesca Albanese ist sichtlich gestresst, noch Sekunden, bevor sie gegenüber dem »nd« diese Sätze spricht. Sie sei froh, die Bundesrepublik bald wieder verlassen zu können, sagt die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas.

An diesem Dienstagnachmittag wird sie in den Räumlichkeiten der Tageszeitung »Junge Welt« gleich über die Situation in Gaza und im Westjordanland sprechen. In ihrer Vorrede betont sie, um die Meinungsfreiheit sei es überall schlecht bestellt. Trotzdem habe sie »noch nie dieses Gefühl von mangelndem Sauerstoff gehabt«. Soll heißen: noch nie so wie hier in Deutschland.

Tatsächlich sind Menschenrechtler*innen und Akademiker*innen, die politisch nicht auf Staatslinie sind, zunehmend autoritären Maßnahmen ausgesetzt. Das gilt auch für Albanese. In ihrem Statement bedankt sie sich sarkastisch beim israelischen Botschafter, proisraelischen Gruppen, der Polizei und dem Berliner Bürgermeister, ohne deren unermüdliche Arbeit die Veranstaltung in einem viel größeren Rahmen hätte stattfinden können.

Drohungen und politischer Druck gegen Albanese und Veranstalter

Politik und Polizei hatten in den vergangenen Tagen versucht, Albanese den öffentlichen »Sauerstoff« vollends abzudrehen: Zunächst stornierte die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität einen Raum, in dem Albanese einen Vortrag halten sollte. Danach tat die Freie Universität (FU) Berlin das gleiche. Zuvor hatte es Israels Botschafter Ron Prosor in einem Brief an die Unileitung eine »Schande« genannt, sollte die UN-Repräsentantin dort sprechen dürfen. Und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner äußerte die Erwartung, dass die FU »die Veranstaltung umgehend absagt«, weil Albanese »Israel-Hass« verbreite.

Dies sind empfindliche Eingriffe in die Autonomie von Universitäten, die diesen ein erhebliches Maß an Selbstbestimmung einräumt, um freien wissenschaftlichen Diskurs abseits politischer Interessen zu gewährleisten. Die Veranstaltung musste schließlich verschoben und online ausgerichtet werden. Doch der Livestream wurde im FU-Gebäude auf Intervention des Landeskriminalamts gestoppt.

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Eine weitere Debatte mit Albanese sollte am Dienstag in Räumen des Kulturzentrums Kühlhaus Berlin stattfinden. Laut den Veranstaltern wurde auch auf diese Einrichtung erheblicher Druck ausgeübt, das Event abzusagen. Nachdem auch massive Drohungen eingegangen waren und die Fassade des Hauses mit Parolen wie »Albanese, you’re an antisemite« beschmiert worden war, zog das Kühlhaus seine Raumzusage schließlich zurück. Die »Junge Welt« stellte daraufhin spontan ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. Aus Veranstalterkreisen heißt es, die Polizei habe gedroht, diese permanent zu schließen, sollte die Veranstaltung dort stattfinden. Die Polizei Berlin äußerte sich auf »nd«-Anfrage nicht zu diesem Vorwurf.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben angesichts solcher Vorgänge mittlerweile Alarm geschlagen. Die bei der Veranstaltung am Dienstag anwesende Politikwissenschaftlerin und Journalistin Kristin Helberg sagte gegenüber »nd« mit Blick auf das große Polizeiaufgebot und zahlreiche Auflagen, ihr mache es »große Sorge, dass Veranstaltungen mit einer UN-Vertreterin auf diese Weise verhindert werden sollen«.

Anfeindungen, polizeiliche Repression, Interventionen von Politiker*innen – all das erinnere sie an Verhaltensweisen, die sie aus Süditalien kenne, sagt Albanese. Eine Anspielung auf die Mafia.

Francesca Albanese

Nach Polizeiangaben waren 200 Beamt*innen im Einsatz – für eine Veranstaltung mit etwa 200 Teilnehmenden. Teile des Films einer palästinensischen Journalistin durften nicht gezeigt werden, fünf Polizist*innen verfolgten die Debatte gegen den erklärten Willen der Veranstalter im Raum, um die Äußerungen auf der Bühne und Gespräche im Publikum zu überwachen. Wann immer Begriffe wie »Genozid« oder »Apartheid« fielen, machten sie sich Notizen. »Ich glaube, dass der Diskurs in Deutschland zunehmend autoritär verengt wird«, sagte Helberg dazu. »Wir müssen über Dinge wie Genozid und Apartheid reden. Das sind Begriffe aus dem Völkerrecht, die in Bezug auf Israels Vorgehen in Gaza international diskutiert werden.« Die Verbote und Schikanen zeigten den Zustand der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Deutschland.

Albaneses klare Positionierungen sorgen in Deutschland seit langem für Proteste, aber auch für Diffamierungskampagnen. Die UN-Repräsentantin sprach früh von Kriegsverbrechen des israelischen Militärs in Gaza, die heute umfassend dokumentiert sind. Am Dienstag bekräftigte sie in Berlin erneut, dass es sich dabei ihrer Ansicht klar um Genozid handelt. Das brachte ihr in Deutschland den Vorwurf des Antisemitismus ein, auch weil sie angeblich die Hamas nicht deutlich genug für ihre Verbrechen verurteile. Am Dienstag tat sie dies indes zweimal. Eine ihr oft vorgeworfene Aussage von 2014, nachdem die USA maßgeblich von einer »jüdischen Lobby« beeinflusst werde, hat sie bereits als Fehler bezeichnet und im nd-Interview kontextualisiert.

Gegenüber »nd« sagte die aus Italien stammende Rechtswissenschaftlerin: »Antisemitismus ist abstoßend. Es gibt keinen keinen Zweifel, dass er existiert.« Jedoch würden Antisemitismus und Kritik am Handeln des israelischen Staates gleichgesetzt. »Seit wann aber hat die Bewertung der Menschenrechtsperformance eines Staates irgendetwas mit Religion zu tun?« Die Anfeindungen, polizeiliche Repression, die Interventionen von Politiker*innen an Orten freier wissenschaftlicher Auseinandersetzung erinnerten sie an Methoden, die sie aus Regionen Süditaliens kenne, sagte Albanese – eine Anspielung auf die Mafia.

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