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Hilfe für die Wissenschaft

Aus Deutschland sollen Millionen für den Wiederaufbau von Bildung und Forschung in der Ukraine fließen

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 7 Min.
Viele Universitätsgebäude wurden, wie hier in der Stadt Irpin, im Krieg zerstört.
Viele Universitätsgebäude wurden, wie hier in der Stadt Irpin, im Krieg zerstört.

Als Georg Schütte, der Generalsekretär der Volkswagenstiftung, im vergangenen Herbst die Universität Mariupol in ihrem Ausweichquartier in der ukrainischen Hauptstadt Kiew besuchte, wurde ihm eine nach seinen Worten »traurige Bilanz präsentiert«: Mehr als 250 Studierende der Hochschule werden heute vermisst, 18 Professoren sind tot. »Insgesamt 400 000 Schüler und Studierende sind aus dem Land geflohen, mit ihnen eine große Zahl Forschender«, berichtet Schütte. Und trotzdem sei »der Verteidigungswille in der Ukraine ungebrochen«. So programmieren Studierende Drohnen zur Luftabwehr und entwickeln Sensoren und Steuerungselektronik für das Militär. »In Ermangelung von Nachschub aus dem Ausland hat der ukrainische Forschungssektor die Innovations-Pipeline zum Militär weit geöffnet und Prozesse radikal verkürzt«, stellt Schütte fest. Der Krieg als Vater aller Dinge? Tatsächlich macht in der Ukraine die Not offenbar besonders erfinderisch.

Überall ist in dem vor drei Jahren von Russland überfallenen Land auch die Wissenschaft schwer getroffen worden. Nach einer Erhebung der Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur der Vereinten Nationen, der Unesco, wurden seit 2022 in der Ukraine über 2500 Bildungseinrichtungen zerstört oder stark beschädigt. Ebenso die wissenschaftliche Infrastruktur, wo über 1400 Gebäude in mehr als 177 Hochschulen und Forschungseinrichtungen von Zerstörungen betroffen sind. Etwa ein Drittel der ukrainischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten laut Bericht gezwungenermaßen remote.

Viele Universitäten mussten in sicherere Regionen verlegt werden, da sie sich in besetzten Gebieten befanden, wie im Falle Mariupol im Süden des Landes.

Nach einer Studie des »Science at Risk Emergency Office«, das vom deutschen »Akademischen Netzwerk Osteuropa« getragen wird, haben 18,5 Prozent der ukrainischen Akademikerinnen und Akademiker das Land verlassen, viele davon Frauen. Zudem sind rund 1500 Wissenschaftler an der Front im Einsatz.

Milliardenschäden an Gebäuden und Forschungsinfrastruktur

Die materiellen Schäden sind groß. So schätzt die Unesco die Kosten für den Wiederaufbau der wissenschaftlichen Infrastruktur auf über 1,26 Milliarden US-Dollar. Dies umfasst auch die Erneuerung wissenschaftlicher Geräte und die Wiederherstellung von Forschungseinrichtungen.

Auch der Umfang der Forschung musste notgedrungen reduziert werden. So wurde das Budget der Nationalen Akademie der Wissenschaften seit Kriegsbeginn um fast die Hälfte gekürzt. Die betroffenen Wissenschaftler mussten Gehaltseinbußen von etwa 40 Prozent hinnehmen. Die erschwerten Umstände haben auch die wissenschaftliche Produktivität beeinträchtigt. So wurden nach UN-Statistik sieben Prozent weniger wissenschaftliche Artikel verfasst als in Friedenszeiten.

Das Ausland ist bemüht, die Wissenschaft in der Ukraine nach Kräften zu unterstützen. Von deutscher Seite ist besonders der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) engagiert, der im September 2023 die Ukraine-Konferenz »Bildung in Zeiten des Krieges« in Berlin veranstaltete. Neben einer Zwischenbilanz der bisherigen Förderprogramme wurden auch neue Ideen besprochen, um den Wiederaufbau des Landes und die Erneuerung der ukrainischen Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen voranzubringen.

»Der Wiederaufbau der Ukraine muss jetzt beginnen, wobei der Wissenschaft eine entscheidende Rolle zukommt«, sagte Dr. Klaus Birk, Leiter der Abteilung Projekte des DAAD. Am wichtigsten sei die Stärkung der Hochschulausbildung in vielen Fächern, von den Ingenieurwissenschaften bis zum Europarecht. Die Personalgewinnung sei entscheidend für die Zukunft der Ukraine. »Um körperliche und psychische Verletzungen zu behandeln, zerstörte Gebäude und Infrastruktur wiederaufzubauen und Gesetze zu erarbeiten, die das Land näher an die EU heranführen, werden hoch qualifizierte Fachkräfte gebraucht«, begründete Birk die Schwerpunktsetzung.

Unterstützung für geflüchtete Studierende und Hochschullehrer

Die deutsche Unterstützung wird dankend angenommen. »Sofort nach der Invasion haben sich die deutschen Hochschulen und der DAAD auf unsere Seite gestellt. Diese Solidarität ist für uns sehr wichtig«, sagte die Germanistikprofessorin Alla Paslawska von der Iwan-Franko-Universität Lwiw bei der Berliner Konferenz. Ihre Hochschule in Lwiw ist unterbesetzt, weil viele Lehrende, vor allem Mütter mit Kindern, ins Ausland geflüchtet sind. Auch viele Studierende lebten derzeit im Ausland. »Wir freuen uns, wenn sie dort Stipendien bekommen, sind aber auch besorgt, dass sie nicht mehr zurückkehren könnten«, sagte Paslawska.

Eine weitere Vertiefung der deutsch-ukrainischen Wissenschaftsbeziehungen markierte im Oktober 2024 die Reise von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in die Ukraine, ihre letzte Auslandsreise in dieser Funktion. Dort unterzeichnete sie mit dem ukrainischen Minister für Bildung und Wissenschaft, Oksen Lisovyi, das bilaterale Abkommen zur wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit (WTZ).

»Wir im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stehen fest an der Seite der Ukraine und unterstützen das Land in Kriegszeiten und beim Wiederaufbau«, betonte die Ministerin. So standen unmittelbar nach dem russischen Angriff im Februar 2022 vor allem Maßnahmen im Fokus, um die dramatischen Kriegsfolgen abzufedern. In diesem Zusammenhang wurden an Schulen und Hochschulen in Deutschland seit Februar 2022 mehr als 200 000 Schülerinnen und Schüler sowie über 1000 Forschende aus der Ukraine aufgenommen.

Langfristiger Braindrain soll verhindert werden

»Mittel- und langfristig gewinnen jedoch Instrumente an Bedeutung, die dem Braindrain aus dem Land nachhaltig entgegenwirken, Erhalt und Ausbau der wissenschaftlichen Potenziale fördern und die Ukraine beim Wiederaufbau des Wissenschaftssystems unterstützen«, so Stark-Watzinger. Dafür wurde die neue BMBF-Initiative »Wiederaufbau Ukraine« gestartet, über die 51,2 Millionen Euro sollen bis 2029 bereitgestellt werden.

Die Mittel fließen vor allem an vier deutsch-ukrainische »Exzellenzkerne« der Forschung in den Städten Lwiw, Kiew und Charkiw. Sie beschäftigen sich mit Grundlagenforschung in Medizin, Quantentechnologie, Materialforschung und Geschichte und werden jeweils mit bis zu 2,5 Millionen Euro bis 2028 finanziert.

Zudem wurde das DAAD-Programm »Ukraine digital: Studienerfolg in Krisenzeiten sichern« zur Aufrechterhaltung der Lehre an ukrainischen Hochschulen bis Juni 2025 verlängert und um 3,2 Millionen auf insgesamt 22,6 Millionen Euro aufgestockt. Insgesamt unterstützt das BMBF die Ukraine mit mehreren Programmen bis zum Jahr 2029 mit rund 100 Millionen Euro.

»Der Wiederaufbau der kriegszerstörten Wissenschaftslandschaft wird ein Kraftakt sein«, heißt es aus dem BMBF. Es biete sich damit aber auch die Chance, die Reform- und Umstrukturierungsprozesse weiter voranzutreiben und »das ukrainische Wissenschaftssystem im Einklang mit gemeinsamen europäischen Werten zu erneuern«. Das deutsche Ministerium plant entsprechende Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, »Rahmenbedingungen für Forschung und Innovation in der Ukraine zu verbessern, Forschungskapazitäten und -infrastrukturen (wieder-)aufzubauen und dem wissenschaftlichen Nachwuchs gute Bleibe- und Rückkehrperspektiven zu bieten«.

Deutsch-ukrainisches Hochschulnetzwerk

So wird unter anderem mit 24 Millionen Euro der Aufbau eines deutsch-ukrainischen Hochschulnetzwerks gefördert, mit dem im Juli 2025 begonnen werden soll. Das Netzwerk hat die Aufgabe, den Wiederaufbau des akademischen Sektors in der Ukraine zu unterstützen und die Zusammenarbeit von Hochschulen beider Länder zu vertiefen. Sie können beispielsweise digitale Lehrveranstaltungen oder gemeinsame Studiengänge anbieten.

Auch einzelne Wissenschaftseinrichtungen starten Kooperationen mit der Ukraine, wie etwa die Max Weber Stiftung der deutschen geisteswissenschaftlichen Institute im Ausland. Im Januar gab die Stiftung bekannt, in Lwiw eine Forschungsstelle einzurichten, die von der Münchner Historikerin Iryna Klymenko geleitet wird. »Die Forschungsstelle wird sich mit der transnationalen Geschichte der Region beschäftigen, die durch die politischen Grenzen der heutigen Ukraine markiert ist«, teilte die Stiftung mit. Der Fokus liege dabei auf den »Kommunikationsprozessen, durch die sich die Region seit der Frühen Neuzeit mit west- und mitteleuropäischen Akteuren und Institutionen verflochten sah«. Es sei geplant, die Forschungsstelle nach Ende der Projektlaufzeit 2028 zu verstetigen und nach Möglichkeit auszubauen.

In Berlin startete im Dezember das vom Senat geförderte Projekt »Ecosystem Connectors: Berlin Kiew«, mit dem die wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit mit der Ukraine vertieft werden soll. Dabei werden Berliner Unternehmen gezielt mit Start-up-Akteuren in der Partnerstadt Kiew vernetzt. »Kiew hat sich in den vergangenen Jahren als aufstrebender Tech-Hub in Osteuropa etabliert«, begündete Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey die Kooperation. »Hier findet man eine spannende Kombination aus hoch qualifizierten IT-Fachkräften und kreativen Talenten in einem innovativen Ökosystem.« Zugleich sei die Resilienz der Menschen in dem vom Krieg erschütterten Land »beeindruckend«. Die Zusammenarbeit stärke beide Seiten und eröffne neue Märkte und Möglichkeiten – »trotz des Krieges, aber vor allem für die Zeit nach dem Krieg«.

»Insgesamt 400 000 Schüler und Studierende sind aus dem Land geflohen.«

Georg Schütte Volkswagenstiftung

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