Zu wenig Einsatz für Gleichstellung

Auf den ersten Blick ist Gleichberechtigung in der Weiterbildung bereits erreicht. Doch dieser täuscht

Immer noch gibt es weiblich und männlich dominierte Berufe. Die Auswirkungen davon zeigen sich auch in der Weiterbildung. Dabei könnte sie einen Beitrag zu Veränderung leisten.
Immer noch gibt es weiblich und männlich dominierte Berufe. Die Auswirkungen davon zeigen sich auch in der Weiterbildung. Dabei könnte sie einen Beitrag zu Veränderung leisten.

Die Gebäudereinigung ist ein Paradebeispiel eines Berufs, der in die Unsichtbarkeit gedrängt wurde. Vorrangig nachts huschen allein in Berlin 45 000 Beschäftigte durch die Gänge leerer Büroräume und stellen sicher, dass dort Angestellte am nächsten Tag in Ruhe ihre Berufe ausführen können. Von jenen Gebäudereiniger*innen arbeiten 72 Prozent in Teilzeit, 71 Prozent auf Hilfskraftniveau, 52 Prozent von ihnen sind Frauen und 45 Prozent besitzen keinen deutschen Pass. Sichtbarer – und wiederum überwiegend männlich – sind nur Glas- und Fassadenreiniger.

Das wirkt sich negativ auf die Arbeitsbedingungen der Branche aus. Tarifverträge helfen bei drei bis vier Stunden täglicher Arbeitszeit wenig. Eine Möglichkeit, das zu ändern, wäre, die Arbeit in den Tag zu verlagern, und dazu bräuchte es Weiterbildungen, so Rickmer Roscher von der Arbeitgestalten GmbH. »Es braucht einen Kulturwandel. Dass die Anforderungen auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, kann nicht funktionieren«, stellt er auf dem Gleichstellungsforum der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung fest. Das steht in diesem Jahr unter dem Schwerpunkt »Weiterbildung«.

Dass Ungleichheit am Arbeitsplatz immer noch ein Thema ist, machen allseits bekannte Parameter offensichtlich. Laut dem Gender-Pay-Gap, der Auskunft über das geschlechtsspezifische Gefälle von Gehältern gibt, verdienten Frauen in Deutschland 2024 16 Prozent weniger als Männer. Es ist der vierthöchste Gender-Pay-Gap der EU. Bei vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie lag der Unterschied bei sechs Prozent. Laut dem Gender Pension Gap waren die Alterseinkünfte von Frauen 2024 um mehr als ein Viertel geringer als jene von Männern. Den sogenannten Gender Training Gap gibt es dagegen in Deutschland inzwischen gar nicht mehr, führt Yvonne Lott vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Böckler-Stiftung aus. Zumindest auf den ersten Blick.

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Denn inzwischen nehmen in Deutschland mehr Frauen in Vollzeit oder Teilzeit an non-formalen Weiterbildungen teil als Männer. Bei näherer Analyse der Daten stellt sich jedoch heraus: Frauen werden seltener finanziell durch den Arbeitgeber unterstützt als Männer und erhalten häufiger Weiterbildungen im Rahmen einiger Stunden, während sich Männer mehrere Tage weiterbilden können. Außerdem nehmen Frauen häufiger durch Eigeninitiative an betrieblichen Weiterbildungen teil, Männer eher auf den Vorschlag von Vorgesetzten hin.

»Mütter nehmen ihre berufliche Weiterentwicklung besonders häufig selbst in die Hand.«

Yvonne Lott
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut

Diese Aspekte führen dazu, dass die Struktur der Weiterbildung eher Männer in der beruflichen Laufbahn unterstützt. Dabei zeigen Mütter besonders viel Eigeninitiative, entgegen allgemeiner Annahmen, wie Lott ausführt: »Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Mütter nehmen ihre berufliche Weiterentwicklung besonders häufig selbst in die Hand.«

Auch bei Hindernissen, die Fortbildungen im Weg stehen, zeigen sich altbekannte Strukturen. Frauen geben zu 17,2 Prozent familiäre Verpflichtungen an, Männer zu 9,1 Prozent. Dagegen erwähnen Männer zu 33,6 Prozent berufliche Termine, Frauen zu 24 Prozent. Mütter führen familiäre Verpflichtungen sogar zu 39,3 Prozent ins Feld, Väter zu 22 Prozent. Das Fazit ist simpel: »Ungleichheit aus anderen Bereichen schwappt in den Weiterbildungsbereich über«, so Lott.

Dabei könnte Weiterbildung helfen, weiblich dominierte Berufe aufzuwerten. Die Arbeit in der Gebäudereinigung sichtbar zu machen, erfordere beispielsweise zusätzliche Kompetenzen, führt Roscher aus. Wenn Reinigungskräfte tagsüber mit anderen Personen in Kontakt kommen, erfordere dies Kommunikationskompetenz, Kenntnisse im Konfliktmanagement und erweiterte Sprachkenntnisse. Die Tagesreinigung könnte so, gerade unter dem Gesichtspunkt, dass es sich um einen Ankunftsberuf handele, von der abgewerteten »Einfacharbeit« zu einem »sozialen Ort« werden. So würden die Arbeitskräfte auch ansprechbarer für Betriebsräte.

Grundsätzlich sei festzuhalten, betont Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, dass mit derlei Projekten vor allem Symptom- und nicht Ursachenbekämpfung betrieben werde: »Weiterbildung ist ein wichtiger Baustein, Gleichstellung werden wir damit aber nicht umsetzen.« Sowohl bei der CDU als auch bei der SPD sehe sie sich aber derzeit vergeblich nach Gleichstellungsthemen um.

In ihren Wahlprogrammen plante die SPD ein »Recht auf Weiterbildung und berufliche Neuorientierung in allen Lebensphasen«, die Grünen einen Qualifizierungszuschuss, der Menschen im Erwerbsleben bei der Umschulung oder Weiterqualifizierung unterstützen sollte und Die Linke, unter anderem, eine gesetzliche Freistellung von der beruflichen auf die allgemeine Weiterbildung auszuweiten, Unternehmensbeteiligung für Weiterbildungen auszubauen und ein Weiterbildungsgeld nach Arbeitsplatzverlust.

Die CDU forderte, im Gegenteil, in ihrem Sofortprogramm wöchentliche anstelle von täglichen Höchstarbeitszeiten und wollte Überstunden- sowie Rentenzuschläge für längeres Arbeiten steuerfrei gestalten. Durch derlei Initiativen zu Mehrarbeit würde die Stigmatisierung von Teilzeit steigen und Mütter würden stärker abgeschreckt, urteilt Lott. Stattdessen müsse die Devise gelten: »Wir machen alle weniger und haben davon alle mehr.« Am Ende stelle sich die eigentliche Frage nach einer Umverteilung von bezahlter Erwerbsarbeit hin zur unbezahlten Care-Arbeit, so Hannack. Dabei empfinde sie inzwischen »revolutionäre Ungeduld«.

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