Bauernkrieg: »Die Veränderung der Welt sitzt vor der Tür«

Vor 500 Jahren stellten Thomas Müntzer und seine Bundesgenossen die politische Ordnung grundsätzlich infrage

  • Tobias Prüwer
  • Lesedauer: 8 Min.
Thomas Müntzer führt Truppen unter der Regenbohnenfahne. Unten: Müntzer wird gefoltert und hingerichtet. Beides Szenen aus der Graphic Novel »1525. Der Aufstand«.
Thomas Müntzer führt Truppen unter der Regenbohnenfahne. Unten: Müntzer wird gefoltert und hingerichtet. Beides Szenen aus der Graphic Novel »1525. Der Aufstand«.

Wer kennt ihn noch, den Mann vom Fünf-Mark-Schein der DDR? Vor allem dürften es jene sein, die vor 1989 im »Arbeiter- und Bauernstaat« sozialisiert wurden – denn dieser nutzte Thomas Müntzer, um sich in eine Traditionslinie mit der Bauernerhebung 1525 zu stellen. Stichwort: frühbürgerliche Revolution. Müntzers Leben war eng verbunden mit diesen Ereignissen, die man gemeinhin Deutscher Bauernkrieg nennt. Seine Hinrichtung nach der verlorenen Schlacht von Frankenhausen bildete Zenit wie Fanal der Aufstandsbewegung. Müntzer wurde zum Streitpunkt der Historiker in Ost und West und zum Symbol, auf das sich selbst lateinamerikanische Befreiungstheologen bezogen. Den einen galt Müntzer als Theologe auf Abwegen, den anderen als Revolutionär mit Regenbogenfahne. Und er steht für ein uneingelöstes Versprechen, denn die damals gestellten Gerechtigkeitsfragen sind noch 500 Jahre später aktuell.

Der große Unbekannte

»Es war trübe um ihn von vorn an«, beginnt der Philosoph Ernst Bloch seine Müntzer-Biografie: »Fast verlassen wuchs der junge düstere Mensch auf. Müntzer wurde als einziger Sohn kleiner Leute um 1490 in Stolberg geboren. Seinen Vater hat er früh verloren, seine Mutter wurde übel behandelt, man suchte sie, als angeblich mittellos, aus der Stadt zu weisen. Der Vater soll, ein Opfer gräflicher Willkür, am Galgen geendet haben. So erfuhr schon der Knabe alle Bitternisse der Schande und des Unrechts.« Das klingt herzzerreißend und so, als ob Müntzers Weg sich aus den Umständen seiner Kindheit ergäbe – allein, außer dem Geburtsort im Harz stimmt nichts daran, ist alles Projektion.

Thomas Müntzer – Bauernkrieg: »Die Veränderung der Welt sitzt vor der Tür«

Auch Müntzers exaktes Geburtsdatum ist unbekannt. Wahrscheinlich ist das Jahr 1489, wenn man von seiner Einschreibung an der Leipziger Universität zurückrechnet. Die soziale Herkunft bleibt vage, die Familie wird nicht völlig unvermögend gewesen sein, weil er mit dem Vater ums Erbe stritt. Auch weitere Lebensstationen Müntzers sind fragmentarisch erhalten; die meisten Dokumente stammen aus den letzten fünf Lebensjahren. Selbst der Name seiner Frau Ottilie wurde nur über Umwege bekannt – ihre Spuren und das der zwei gemeinsamen Kinder sind nach Müntzers Hinrichtung 1525 verweht.

Nach dem Theologiestudium arbeitet Müntzer an verschiedenen Pfarrstellen und teilte Luthers Kirchenkritik. Von diesem persönlich wird er 1520 nach Zwickau geschickt, wo er eine eigenständige Glaubensauffassung entwickelte, die sich radikal von Wittenberg unterschied. Glaube müsse durch einen inneren Leidensprozess erfahren werden, der Mensch quasi unvermittelt die Passion Christi nachvollziehen: So wuchs Müntzers Überzeugung. Es gebe keinen privilegierten Zugang zu Gott, er stehe jedem offen. Zudem sah er das Endgericht nahen – und damit die Herrschaft Christi auf Erden: »Die Veränderung der Welt sitzt vor der Tür«. Folglich griff Müntzer Altgläubige und die »sanftlebigen« Doktoren der Reformationsbewegung gleichermaßen an: Sie versperrten den Menschen den Zugang zum wahren Glauben. Für die Reinigung der Kirche sah er in den Bauern und Bürgern seine Gewährsleute, die sich in Süddeutschland erhoben.

Theologisch begründeter Widerstand

Im Frühjahr 1525 erreichte diese Bewegung ihren gewalttätigsten Ausdruck und ihre größte Ausdehnung. Sie erfasste den Südwesten bis zum Elsass, tobte in Oberschwaben, Franken und Thüringen. Ursache des Bauernaufstands war ein Komplex aus Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse und sozioökonomischen Positionen, wiederkehrende leibherrliche Rechte und das Verbot der Allmendenutzung (Wald, Wiesen etc.) sowie Einschränkungen von Freizügigkeit und kommunaler Autonomie. Auf einem Delegiertentreffen in Memmingen verabschiedeten die Aufständischen die »Zwölf Artikel«, die nach der englischen Magna Carta (1215) die ältesten Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten bilden. Die Aufständischen weiteten Luthers Idee von der Freiheit des Christenmenschen, der allein von Gottes Gnade im Glauben frei sei, gegen dessen Verständnis auf weltliche Dinge aus. Und auch Müntzer formulierte ein theologisch begründetes Widerstandsrecht: Wenn die Herrschaft die Gläubigen nicht schütze, dann müssen sie zur Selbsthilfe greifen – und sei es mit dem Schwert.

Im Frühjahr 1525 wirkte Müntzer in Mühlhausen, dort hatten sich Aufständische just das Stadtregiment erstritten. Er folgte einem Hilferuf des bedrängten Frankenhausens und traf ein Heer von 8000 teilweise gut bewaffneten Rebellen. Es verfügte über 14 Geschütze, aber keinerlei Reiterei; die improvisierte Bauernbewaffnung aus umgeschmiedeten Sensen und Dreschflegeln ist ein Mythos. Auch war er nie der »Bauernführer«, zu dem er später erklärt wurde, sondern fungierte als Spiritus Rector. Die militärische Führung lag in den Händen von Hauptleuten. Die Gegner – der Landgraf von Hessen, Herzog Georg von Sachsen und die Braunschweiger – vereinten ihre Heere von rund 7000 Berufssoldaten am 15. Mai vor Frankenhausen. Sie beschossen die Wagenburg, in die sich die Aufständischen verschanzt hatten. Bereits erste Geschützsalven versetzten diese in Panik. Viele flüchteten gen Stadt. Die meisten überlebten den Weg nicht, wurden niedergemacht. Die Landsknechte drangen in die Stadt ein. Am Ende standen 6000 Tote auf Seiten der Aufständischen sechs toten Söldnern auf Fürstenseite gegenüber.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Am 27. Mai 1525 stirbt Müntzer vor den Toren Mühlhausens durch das Schwert, sein abgeschlagener Kopf wird zur Schau aufgespießt. Zuvor war ihm ein Geständnis abgepresst worden, das die viel zitierte Formel »Omnia sunt communia« (»Alles gehört allen«) enthält. Diese wurde ihm wohl als Warnung vor gefährlichen Gedanken untergeschoben, für spätere Generationen galt es auch als Hoffnungssignal. Nur ein Satz ist noch populärer: »Das Volk wird frei werden, und Gott will allein der Herr darüber sein.« Auf DDR-Gedenksteinen fehlt oft der zweite Halbsatz.

Ein revolutionäres Vorhaben

Die Schlacht bei Frankenhausen war nicht das letzte Gefecht aufständischer Bauern und Bürger. Aber sie setzte einen Endpunkt. Rund 1000 Burgen und Klöster wurden in Jahresfrist zerstört. Die Zahl der Getöteten wird auf bis zu 75 000 geschätzt. Über die Überlebenden wurde die Reichsacht verhängt, sie wurden rechtlos und vogelfrei. Die Zahlen der Hingerichteten liegen zwischen 2000 und 10 000 – 0,5 bis 0,75 Prozent der Gesamtbevölkerung. Entgegen der landläufigen Vorstellung vom »Deutschen Bauernkrieg« kommt die Beschreibung als »Revolution des gemeinen Mannes« den Ereignissen 1525 näher: Sie waren nicht auf deutschsprachige Gebiete beschränkt, einen solchen Nationalstaat gab es ohnehin nicht. Und beteiligt waren nicht nur Bauern, sondern viele Gruppen des unteren Standes.

Thomas Müntzer teilte dieses Ansinnen einer Veränderung der Ordnung und begründete es theologisch. Und er war sich sicher, auf welcher Seite Gott steht. Dieses Vorhaben einer demokratischen Theokratie oder theokratischen Demokratie war revolutionär. Es zeigt Züge früher Ideologiekritik, wenn Müntzer die lutherische Theologie als Herrschaftsinstrument demaskiert, weil sie die Obrigkeit legitimiert. Mit der Analyse sollte er posthum Recht behalten: Die Reformation entwickelte sich zur Fürstenreformation. Sie wurde für die Territorialherren zum politischen Mittel, um sich von Roms Einfluss zu lösen.

Entgegen der Vorstellung vom »Deutschen Bauernkrieg« kommt die Beschreibung als »Revolution des gemeinen Mannes« den Ereignissen 1525 näher.

Müntzers Denken und Taten blieben nicht wirkungslos, obwohl intensiv versucht wurde, ihn dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Im Gegenteil hält die Diskussion ihn als Figur erstaunlich lebendig. Daran trägt ausgerechnet die Rufmordkampagne der Wittenberger Anteil, die zur Bildung von Legenden wie der vom kugelsicheren Prediger führte – Müntzer hätte mit seiner Unverwundbarkeit geprahlt. Zwischen Schwärmer, Hitzkopf und Revolutionär schwanken die Urteile über ihn, den Heinrich Heine einen der »heldenmütigsten und unglücklichsten Söhne« nannte. Ab der Französischen Revolution 1789 begann man, Müntzer in anderem Licht zu sehen. Denn es war erfahrbar geworden, dass die politische Ordnung veränderbar ist. Schließlich wurde er zur zentralen Figur der deutsch-deutschen Historikerdebatte im Kalten Krieg und war Galionsfigur der DDR-Erinnerungspolitik, die ironischerweise ausgerechnet einen Prediger zu ihrem Säulenheiligen machte. Müntzers theologische Munitionierung zur Änderung der Welt inspirierte sogar die lateinamerikanische Befreiungstheologie.

Wer bestimmt die Deutung?

Müntzers Antworten können nicht die unseren sein. Aber zumindest sind die Fragen, die die Bundesgenossen an die Welt stellten, auch 500 Jahre später aktuell. In den heutigen Diskussionen um die Verknappung von öffentlichem Raum und Gütern, der Privatisierung von Wasserwerken und kommunalen Stromerzeugern, den Zugang zu Wohnraum und Mobilität etwa taucht die Allmende-Frage ebenso auf wie in den Initiativen, geistige Ressourcen frei verfügbar zu machen. Auch die Ansprüche nach Selbst- und Mitbestimmung sind noch nicht vollends abgegolten.

Das letzte Wort über 1525 ist noch nicht gesprochen worden, wenn jüngst gedruckte Darstellungen die Revolution mal in Junkerworten als »Unruhen« und »wilde Handlung« beschreiben, mal sie hochjazzen zu »Deutschlands großem Volksaufstand«. Darin zeigt sich ein durchaus großer Deutungsspielraum, den es auszuloten gilt. Der Historiker Arnulf Zitelmann warnt: »Wer den Stab über Müntzer bricht, weil dieser eine Veränderung der politischen Verhältnisse herbeiführen wollte, muss aufpassen, dass er nicht den Ast absägt, auf dem er mit seiner Zustimmung zur Demokratie als der besten Staats- und Gesellschaftsform seiner Zeit sitzt, einer in den neuzeitlichen Revolutionen wurzelnden demokratischen Tradition.« Es bleibt also abzuwarten, wer im Jubiläumsjahr wie Thomas Müntzer und der Revolution des gemeinen Mannes gedenkt.

Tobias Prüwer: 1525. Thomas Müntzer und die Revolution des gemeinen Mannes. Salier-Verlag, 168 S., br., 22 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -