Schizofaschismus und Memekultur

Ironie als willkommene Waffe der Rechtsradikalen weltweit

  • Lukas Werle
  • Lesedauer: 5 Min.
Elon Musk holt auf der Republikaner-Versammlung CPAC die Kettensäge raus: sieht ironisch aus, ist aber ernst gemeint.
Elon Musk holt auf der Republikaner-Versammlung CPAC die Kettensäge raus: sieht ironisch aus, ist aber ernst gemeint.

Die aktuelle Debatte über die Ultrarechte von Trump über Meloni bis zur AfD ist von einer begrifflichen Unschärfe geprägt. Viele Medien und Politiker benutzen für sie weiterhin die verharmlosenden Begriffe »Populismus« und »Rechtsextremismus«. Und werden die neuen Faschisten als solche bezeichnet, drehen sie den Spieß einfach um und behaupten, in Wahrheit seien ihre Kritiker diktatorisch unterwegs und wollten nichts anderes, als den Menschen ihre Meinung aufzwingen!

Wer politisch nicht aktiv ist, dem scheint es, als würden sich hier zwei Seiten gegenüberstehen und sich gegenseitig des »Faschismus« bezichtigen. Deshalb wäre es für Antifaschisten besser, einen anderen Begriff zu benutzen: Schizofaschismus. Eingeführt hat ihn der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder 2019 in seinem Buch »Der Weg in die Unfreiheit – Russland, Europa, Amerika«. Er beschreibt damit die Taktik der russischen Rechten, die völkerrechtliche Souveränität und die kulturell-historische Einheit der Ukraine zu leugnen, was eine ideologische Vorwegnahme des 2022 von Russland begonnenen Angriffskriegs war. Snyder sieht in Russland eine klare Linie von den Äußerungen des rechtsradikalen Soziologen Alexander Dugins bis zu Wladimir Putins Geschichtsdefinition, die der Ukraine jedwede politische und kulturelle Unabhängigkeit abspricht.

Einfach heruntergebrochen funktioniert diese Denkfigur so: »Faktische Faschisten nennen ihre Gegner ›Faschisten‹, schieben den Juden die Schuld am Holocaust zu und behandeln den Zweiten Weltkrieg als ein Argument für mehr Gewalt«, schreibt Snyder. Wenn der politische Gegner ein faschistisches und autoritäres Regime sein soll, dann ist gegen ihn jedes Mittel gerechtfertigt. Fragt man Putin nach seiner völkerrechtswidrigen Invasion, wird er antworten, die Ukraine sei von »Nazis« infiziert! Fragt man die AfD, warum die Medien auf eine deutsch-nationale Linie gebracht werden sollen, werden ihre Politiker versichern, die öffentlich-rechtlichen Medien seien dabei, Deutschland in eine »Gesinnungsdiktatur« zu verwandeln! Fragt man die Trump-Regierung, warum in den Ministerien und Behörden die Leute, die keine Trumpisten sind, entlassen werden sollen, bekommt man zu hören, das Staatswesen in den USA sei von »Kulturmarxisten« durchsetzt und die westliche Zivilisation müsse vor ihren »bolschewistischen Einflüssen« geschützt werden!

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Die Schizofaschisten leugnen ihre eigene reaktionäre Ideologie und fantasieren stattdessen eine diktatorische Welt als Gegner herbei, um die autoritäre Vorgehensweise dagegen zu rechtfertigen. Diese Propaganda wird im Internet durch rechte Memefication unterstützt. Seit den 2010er Jahren werden faschistische, sexistische und rassistische Inhalte massenhaft geteilt, oft ohne Konsequenzen. Um die Content-Regulierung der jeweiligen Plattformen zu umgehen, werden reaktionäre Inhalte »ironisch« transportiert, sie werden zu Memes, um sie als ungefährlich oder zumindest als humoristisch gemeint darzustellen.

Der kanadische Social-Media-Influencer Steven Crowder erlangte Berühmtheit, indem er sogenannte Debatten mit unvorbereiteten Universitätsstudenten führte, die er mit falschen »Fakten« bombardierte. Zu seinem Content gehören aber auch offen rassistische Inhalte, wie das verächtliche Nachahmen eines »blaccents«, von Sprechweisen, die vor allem in schwarzen Communitys in den USA verbreitet sind. Auch ließ er es sich nicht nehmen, in einem »asiatischen« Kostüm aufzutreten, inklusive Hasenzähne und Brille. Den Polizei-Mord an George Floyd 2020 in Minneapolis stellte Crowder »satirisch« nach, um zu »beweisen«, dass Floyd nicht von einem Polizeibeamten, der auf seinem Hals kniete, erstickt wurde, sondern an einer Überdosis Fentanyl gestorben sei. Crowder benutzt Stilmittel der Comedy, um offen reaktionär aufzutreten und sich dabei aber jeder politischen Verantwortung zu entziehen. In diesem Sinne agiert er selbstverleugnend.

Nick Fuentes ist extremer unterwegs. Er ist ein US-amerikanischer Neo-Nazi und Holocaust-Leugner, der 2022 zusammen mit dem Rapper Kanye West eine Audienz bei Donald Trump erhielt. In einem seiner berühmtesten Clips leugnet Fuentes den Holocaust, indem er über das Herstellen von Keksen redet. Was anfangs absurd klingt, stellt sich schnell als perfide Strategie heraus. So behauptet Fuentes, dass mit einer gewissen Zahl an Keksfabriken (Konzentrationslagern), in einer gewissen Zeitspanne (Dauer des Krieges) keine sechs Millionen Kekse gebacken (jüdische Menschen getötet) werden könnten. Auch hier bewahrt sich Fuentes eine »plausible deniability«, also ein plausibles Abstreiten der Tatsache, dass er Holocaust-Leugnung betreibt.

Für solche Darstellungen und Auftritte hat sich in der Online-Community die Bezeichnung »Schrödingers Arschloch« herausgebildet: Reagiert das Publikum auf die reaktionären Inhalte zustimmend, war der Witz kein Witz und das Meme kein Meme. Reagiert das Publikum empört, soll es nur »ein missverstandener Scherz« gewesen sein. Selbstverständlich wird aber die politische Empörung von den Schizofaschisten dann als ein Anzeichen für die »totalitäre Ideologie« des Publikums gewertet. Es handelt sich hierbei um einen Faschismus, der sich selbst verneint, um damit zu suggerieren, er wäre keiner und um die Vorwürfe des politischen Gegners auf diesen selbst anzuwenden.

Elon Musk versteht sich als personifizierter Meme: »I am become meme!« Er ist der Poster Boy des Schizofaschismus. Jede einzelne seiner Handlungen ist ein Meme. Auch der Name der von ihm geleiteten parastaatlichen Beratungsorganisation, mit der die Behörden und Ministerien von »Bürokratie«, das heißt, von politisch missliebigen Mitarbeitern, gereinigt werden sollen, wobei er den Zugang zu den Daten von Millionen von US-Bürgern gewinnt, ist so zu verstehen: DOGE ist die Abkürzung für »Department of Government Efficiency« und eine Anspielung auf ein Meme, das einen Hund mit einem verschmitzten Blick abbildet. Auch als Musk nach Trumps Wiederwahl mehrmals den Hitlergruß zeigte, war dies natürlich nur ein »Missverständnis«. Ein Witz, der angeblich aufzeigen sollte, dass Liberale überall nur Faschisten sehen würden, gleichzeitig war es aber auch eine Geste für seine wissenden Anhänger.

Nachdem Musk ohne größere Nachbeben den Hitlergruß zeigen konnte, tat es ihm Steve Bannon nach. Trumps Ex-Berater und Vordenker der digitalen Alt-Right-Bewegung ließ sich auf der CPAC, einer Konferenz der konservativen Republikaner, ebenfalls dazu hinreißen, den Hitlergruß zu zeigen. Die Memefication der neuen Rechten ist damit im Schizofaschismus aufgegangen.

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