Wenn klare Haltung mal belohnt wird

Wahlerfolge der Linken sind mit klaren Inhalten zu erklären, haben aber auch etwas Dubai-Schokoladen-Haftes, meint Christoph Ruf

Hype, der bald davon schmilzt? Oder doch gekommen, um zu bleiben. Die Frage stellt sich bei der Dubai-Schokolade ebenso wie bei linken Jungwählern.
Hype, der bald davon schmilzt? Oder doch gekommen, um zu bleiben. Die Frage stellt sich bei der Dubai-Schokolade ebenso wie bei linken Jungwählern.

Fast fühlt es sich wie zu Zeiten von Fridays-for-future an, wenn man hört, was 50-Jährige bei der Wahlnachlese so von sich geben. Nicht, dass Banalitäten wie das Schicksal der Menschheit nun doch wieder eine Rolle spielen würden, nein, es geht darum, wie die eigenen Kids abgestimmt haben: 26 Prozent der Erstwählerinnen und -wähler haben bekanntlich links gewählt. Und auch Eltern, die mit erstaunlicher Kondition grün wählen, sind erkennbar stolz auf den Nachwuchs.

Offenbar hat in den Wochen vor der Wahl dank Friedrich Merz generationsübergreifend noch mal eine Politisierung stattgefunden. Dass der bei seinen Migrationsplänen die Zustimmung der AfD billigend in Kauf nahm, war offenbar für viele Junge das erste wirklich einschneidende Erlebnis ihrer politischen Sozialisation. So einschneidend, dass sie die Partei wählten, die die Gegnerschaft am glaubwürdigsten verkörpert (und ins Netz transportiert) hat. Hinzu kam eine klare Sprache, wie sie zumindest zwei der drei Silberlocken und ganz sicher Heidi Reichinnek und Jan van Aken zueigen ist. Und natürlich: Eine Social-Media-Strategie, die sich von der Konkurrenz abhob, weil sie zwei wesentliche Punkte beherrschte, die dem sprachfähigen Teil der Tik-Tok-Klientel wichtig ist: Wenn du’s machst, mach’s richtig! Und bieder’ dich nicht an!

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Abgesehen vom letzten Punkt dürften das aber auch für 70-jährige Linke-Wähler entscheidende Punkte gewesen sein. Dass Haltung auch mal belohnt werden kann, ist dann auch für mich das erfreulichste Ergebnis der Wahl. Und wenn mich davor die oft polemische Berichterstattung übers BSW – auch van Akens »Kreml-Fraktion« ist mir da zu hohl – ärgerte, wundert mich nun zum Teil die Nachbetrachtung vor allem im konservativen Lager. Nach diesem Ergebnis von der Erosion der Mitte zu sprechen und die Ergebnisse von Linker und AfD heranzuführen, ist eine Unverschämtheit. Zum einen, weil es heute selbst in Niederbayern albern klingt, wenn man der Linken irgendetwas Extremistisches unterstellt. Zum anderen, weil man die monströse AfD relativiert und verniedlicht, wenn man sie im gleichen Atemzug mit der Linken zum »Rand« zählt. Und natürlich auch, weil man so tut, als sei es irgendwie vernünftiger, CDU, SPD, Grüne oder FDP zu wählen. Das sehen viele Menschen aus sehr guten Gründen anders.

So oder so tut die Linke gut daran, ihren Wahlerfolg nicht zu überhöhen, zumal ihr gutes Abschneiden bei den Jugendlichen auch etwas Dubai-Schokoladen-Haftes hat. Wenn auch in konservativen Landstrichen fast komplette Schulklassen links gewählt haben, darunter viele, die sich erklärtermaßen nicht für Politik interessieren, ist das zumindest nicht mehr allein mit Inhalten zu erklären. Wobei spontane Wahlentscheidungen natürlich kein Privileg der Jugend sind. Es ist schließlich immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen ihe Kreuze von Talkshow-Schnipseln oder gleich vom Ergebnis des »Wahlomaten« abhängig machen und das ganze Wahlkampf-Geklingel so rein gar nicht mit dem verrechnen, was die jeweiligen Parteien in den Jahren zuvor abgeliefert haben. Manchmal ist die Statistik von gestern eben doch noch ganz interessant: Vor drei Jahren war es die FDP, die bei den Jungen satte 23 Prozent bekam. Diesmal waren es fünf.

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