Das Elend mit der schwarzen Null

Schuldenbremse, Sondervermögen, EU-Defizitregeln – das kleine Einmaleins staatlicher Haushaltsführung

Schuldenbremse

Vor allem konservative Politiker und Initiativen wie der Bund der Steuerzähler möchten die Schuldenbremse nicht missen.
Vor allem konservative Politiker und Initiativen wie der Bund der Steuerzähler möchten die Schuldenbremse nicht missen.

»Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.« Es ist dieser Passus in Artikel 109 des Grundgesetzes, der den Finanzministern in Deutschland und indirekt auch den Kämmerern in den Kommunen die Hände bindet. Im Jahr 2009 wurde diese Schuldenbremse von Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit beschlossen und erhielt somit Verfassungsrang. Konkret sollen die öffentlichen Haushalte ganz ohne strukturelles Defizit (Länder) bzw. mit einem Mini-Defizit von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (Bund) auskommen. Ziel ist also, ein dauerhaftes Minus jenseits konkunktureller Schwankungen zu vermeiden. Verbindlich wurde die Einhaltung ab dem Jahr 2016 für den Bund und ab 2020 für die Länder.

Der Vorschlag kam von der zweiten Föderalismuskommission. Zuvor waren im Zuge der Weltfinanzkrise auch in Deutschland Gelder für die Bankenrettung sowie die Stabilisierung der Wirtschaft in bis dahin unbekannten Dimensionen quasi über Nacht bereitgestellt wurden. Damit die Staatsverschuldung nicht aus dem Ruder läuft, wurde den Haushältern ein enges Korsett angelegt. Allerdings hat die Idee die Vorausetzung, dass sich derartige Krisen nicht häufen. Doch dann kamen die Corona-Pandemie mit ihren Lockdownfolgen und der Ukraine-Krieg, in dessen Gefolge erneut große Finanzpakete in dreistelligem Milliardenumfang geschnürt wurden.

Im Falle von Naturkatastrophen und »außergewöhnlichen Notsituationen« kann indes der Bundtag per Mehrheitsbeschluss die Schuldenbremse für ein Jahr aussetzen. Es muss dann jedoch ein konkreter Tilgungsplan vorlegt werden.

Vor allem die Linkspartei, linke Ökonomen und die Gewerkschaften opponierten von Anfang an gegen diese Beschärnkung der Kreditaufnahme. Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger und Gustav A. Horn warnten 2009 in einem Aufruf, »die Schuldenbremse gefährdet die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Zukunft unserer Kinder«. Der DGB wiederum sah die konkrete Gefahr, dass es zu einem Abbau von Investitionen in Bildung und Wirtschaft kommen werde. Zurecht – bei der öffentlichen Infrastruktur reichten zuletzt die Finanzmittel nicht einmal mehr für die Instandhaltung.

Sondervermögen

Da sich die Finanzierungsprobleme weiter verschärften, wurde nach einem Schlupfloch gesucht, das sich in sogenannten Sondervermögen auftut. Dabei handelt es sich um einen wirtschaftlich selbständigen, vom Staat kontrollierten Nebenhaushalt zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes in einer besonderen Situation. Die vorher festgelegten Ausgaben sind anders als als im allgemeinen Etat streng zweckgebunden.

Zunächst wurden Sondervermögen wie das zur Stabilisierung der Wirtschaft während der Corona-Zeit aufgefüllt, indem der Bund in einem Jahr mit erklärter Notlage Kredite dafür aufnahm. Da dies unflexibel ist und den Staatshaushalt ncht entlastet, wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Sondervermögen selbst Schulden aufnehmen dürfen, für die der Staat lediglich bürgt und die im Kernhaushalt nicht ausgewiesen werden.

Insbesondere von rechter politischer Seite gab es von Anfang Kritik an dieser »Verschleierungstaktik«. Gefordert wird stattdessen, die Mittel durch Kürzungen an anderer Stelle im Haushalt zu beschaffen. Eine CDU-geführte Klage vor dem Bundesverfassungsgericht führte zu einem Erfolg. Im November 2023 untersagte Karlsruhe die von der Ampel-Koalition beschlossene Übertragung von nicht mehr benötigten Kreditermächtigungen des Corona-Fonds an den Klima- und Transformationsfonds. Daraufhin kam es zu erheblichen Turbulenzen in der Dreier-Regierung über die Finanzpolitik, die letztlich zum Bruch führten.

Allerdings hegen die Verfassungsrichter keine Zweifel, dass Sondervermögen per se grundgesetzwirdig sind. Es braucht lediglich gewichtige Gründe für Ausnahmen vom Prinzip der Haushaltseinheit. Und wenn man ein Sondervermögen wie das bestehende für die Bundeswehr per Zwei-Drittel-Mehrheit im Grundgesetz verankert, kann man es so auch von der Schuldenbremse ausnehmen.

EU-Defizit-Regel

Übergerodnet der Schuldenbremse sind schließlich die seit 1992 gültigen Defizitregeln der EU, die vor allem auf Druck Deutschlands verankert wurden. Das jährliche Haushaltsdefizit darf demnach nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Ansonsten drohen den Mitgliedstaaten empfindliche Bußgelder. Dennoch gab es immer wieder Verstöße, auch durch Deutschland. Aus diesem Grund wurden die Regeln nach der Eurokrise verschärft, indem ein Land nach Verstößen Maßnahmen einleiten muss, um Verschuldung und Defizit zu senken. Nach der Coronakrise kam es hingegen zu einer Lockerung, so dass mehr Spielraum für öffentliche Investitionen besteht. Weitere Ausnahmen sollen jetzt für Militärausgaben kommen.

Am Ende schließt sich wieder der Kreis zu Artikel 109 Grundgesetz. Dort ist geregelt, wer hierzulande wieviel blechen muss, wenn die EU wegen Defizitüberschreitung Bußgelder verhängt: »Sanktionsmaßnahmen zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35.«

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