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- »Sisterqueens« im Kino
Eine Doku als Safe Space
Der Dokumentarfilm »Sisterqueens« der Regisseurin Clara Stella Hüneke handelt von drei Berliner Mädchen und ihrem Rap-Projekt. Ein Gespräch
Andere Filme über empowernde Projekte von Jugendlichen enden in der Regel mit der erfolgreichen Umsetzung auf der Bühne. Ihr Film geht nach dem großen Auftritt der Mädchen aus dem Wedding mit ihrem Rap-Projekt »Sisterqueens« noch weiter. Warum?
Als wir angefangen haben, den Film zu machen, waren die beiden älteren Protagonistinnen, Faseeha und Rachel, bereits länger in dem feministischen Rap-Projekt aktiv. Von diesem Projekt und diesem Empowerment-Modus, die in der Mitte des Films in dieses eine große Konzert im Hebbel am Ufer münden, gehe ich mehr in die kleinen Geschichten: Was hat diese Erfahrung mit jedem einzelnen Mädchen gemacht? Ich wollte von Anfang an eine Langzeitbeobachtung machen, weil diese Mädchen, die sich in dem interkulturellen Mädchenzentrum Mädea treffen, so große Fragen ans Leben und an die Politik haben, dass man wissen will, was daraus entsteht. Ich hätte das Rap-Projekt auch nur für einen zwölfmonatigen Turnus begleiten können, aber wenn dann so große Umbrüche wie Corona und Black Lives Matter dazukommen, ergibt sich die Frage: Wie ist es überhaupt möglich, sich selber unabhängig davon weiterzuentwickeln? Um das zu ergründen, braucht es eine gewisse Ruhe, aber der in vier Jahren entstandene Film ist auch sehr anekdotisch erzählt. Man erlebt Jugend in einzelnen großen und kleinen Ereignissen. Und der Film endet mit einer hoffnungsvollen Note, mit ganz eigenen Entscheidungen.
Es wirkt, als hätten die Mädchen die Anwesenheit der Kamera zeitweise vergessen. Inwieweit hatten sie Einfluss darauf, welche Bilder verwendet wurden?
Zunächst haben die Mädchen und das Mädchenzentrum diskutiert, ob sie den Film überhaupt wollen. Mit unserem festen Team aus drei Frauen haben wir die Bedingungen dafür geschaffen, sich sehr gut kennenzulernen. Das Vertrauensverhältnis war für mich total wichtig. Wir haben während der ganzen Drehzeit sehr intensive Gespräche mit allen Beteiligten geführt und die Themen und den Rahmen abgesteckt. Auch galt es, die Absprachen immer wieder zu aktualisieren, weil sich Bedürfnisse verändern können. Wir haben die Privatsphäre der Familien respektiert, und es gab jederzeit die Möglichkeit, auszusteigen oder Grenzen zu setzen. Unser inhaltlicher Fokus auf Selbstbestimmung, Kunst und Politik hat den Mädchen sehr viel Sicherheit gegeben. Themen wie Sexualität blieben eher außen vor. Es bleibt aber ein Autorinnenfilm, wir haben den Film alleine geschnitten und übernehmen die Verantwortung. Natürlich haben wir ihn als Erstes mit den Mädchen geguckt, dann mit einem internen Publikum. Es war eine eher empowernde Erfahrung und schön zu sehen, dass andere von den drei Protagonistinnen inspiriert sind.
Clara Stella Hüneke wurde in Frankfurt am Main geboren. Während ihres Studiums der Videokunst arbeitete sie als Regieassistentin. Ihren Bachelor-Dokumentarfilm drehte sie 2015 in Athen. 2018 hat sie begonnen, an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie zu studieren. »Sisterqueens« ist ihr Diplomfilm. Sie lebt momentan in Berlin.
Weil Kinder in Dokumentarfilmen nicht so geschützt sind wie in Spielfilmen, rät der Kinderschutzbund außerdem dazu, eine externe Beraterin dabeizuhaben.
Das Mädchenzentrum, an das die Beteiligten so eng angebunden sind, hatte da ein Auge drauf. Auch in unserer Crew sind verschiedene Perspektiven auf die Biografien der Mädchen vertreten. Besonders wichtig war mir die – für einen Dokumentarfilm sehr ungewöhnliche – Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Rebecca Ajnwojner (ehemals Gorki-Theater). Über sie habe ich die Mädchen kennengelernt, und wir wollten herausfinden, was sie eigentlich selber von sich erzählen wollten. Da war der Rap der Schlüssel: Die Lyrics enthalten die Themen, die sie gerade nach außen pushen wollen. Die drei Mädchen führen durch den Film, nicht irgendein Lehrer oder erwachsene Protagonistinnen. Wir wollten sie begleiten, statt von außen zu fragen: Was will man über Mädchen im Wedding wissen, wenn man in Buxtehude lebt?
In einem Interview sagten Sie, Sie haben sich selber gefilmt, um diese Erfahrung besser zu verstehen.
Ja, den Kurzfilm »auf bald, deine Clara« habe ich mit 26 Jahren in der Recherchephase zu »Sisterqueens« gemacht. Es ist eine sehr kritische Selbstbefragung, mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten daraus zu entwickeln und zu verstehen, was ich als Regisseurin berücksichtigen muss. Viele Mädchen sind etwa unsicher, was ihr Aussehen betrifft. Daher haben wir in »Sisterqueens« wertschätzende Bilder produziert und wollten die Mädchen nicht ausstellen. Allerdings haben sie schon eine gewisse Medienexpertise mitgebracht, weil sie Musikvideos veröffentlicht und Interviews gegeben hatten. Damit, dass sie da auch Shitstorms erleben mussten, haben wir uns in den Vorgesprächen auseinandergesetzt.
Solche negativen Erfahrungen oder Probleme mit Eltern, die das Rap-Projekt ebenfalls mit sich brachte, kommen im Film kaum vor. Lag Ihr Fokus auf Empowerment?
Während des Drehs gab es keine derartigen Vorfälle. Tatsächlich hatten die Mädchen auch schon eine gefestigtere Haltung dazu. Trotzdem hätte man Gegenwind als Konzept noch mehr in den Filmen einarbeiten können, wir haben uns aber dafür entschieden, einen hoffnungsvollen Film zu machen, der die Perspektiven der Mädchen stärkt.
Mit Corona, Demonstrationen und eben mit den eigenen Anliegen der Mädchen wie Gleichberechtigung und Antirassismus ist das frustrierende und diskriminierende Außen im Film jedoch präsent. Es ist ein sehr fröhlicher Film, in dem die Härte und Schwere der Themen, die drinstecken, durchscheinen. Um die Mädchen nicht auszustellen, wollten wir sie nicht mit den härtesten Situationen konfrontieren, sondern in vielen Interviews, die den Film strukturieren, etwas von ihren Gedankengängen erfahren.
Soll der Film selbst eine Art Safe Space sein? Väter und Jungs kommen kaum vor.
Natürlich ist das Mädchenzentrum, in dem wir viel gedreht haben, eben auch ein Mädchenzentrum, das nur als Safer Space funktioniert. Die Väter sind tatsächlich teilweise abwesend oder nicht mehr am Leben, das ist eine biografische Gegebenheit. Aber es kommt ein Bruder vor, der durch seine feministische und supportende Haltung mit stereotypen Geschlechterrollen von Männern, wie sie oft in Filmen dargestellt werden, bricht.
Corona hat nicht nur den Dreh behindert, sondern macht im Film auch bestimmte Dinge sichtbar: das besondere Verantwortungsgefühl der Mädchen gegenüber Angehörigen, die Bemühungen, über Zoom Verbindung zu den Sisters zu halten. Haben Sie aus der Not eine Tugend gemacht?
Auf jeden Fall, ich bin im Nachhinein sehr dankbar, dass wir weiter gedreht haben. Corona ist fürs Publikum ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt. Da zeigt sich auch, wie wichtig diese Mädchenzentren und künstlerischen Projekte für diese Jugendlichen sind, weil sie eine Infrastruktur geschaffen haben, die für viele andere weggebrochen ist. Da wurden in mühseliger Arbeit und mit hohem logistischen Aufwand Workshops online gestaltet; die Mädchen hatten großes Glück, da so eingebunden zu sein und weiterhin selbstwirksam künstlerische Projekte machen zu können. Und als man sich wieder im Sommer draußen begegnen konnte, ist das Zentrum ganz sicher ein wichtiger Auffangort gewesen, der den meisten Jugendlichen verwehrt geblieben ist.
Es ist erstaunlich und beglückend, dass sich da schon eine etwa Zehnjährige ausdrücklich als Feministin versteht.
Bei Mädea erleben die Mädchen eine feministische Bildung und lernen Vorbilder kennen, die zu ihrer Lebensrealität passen, was in der Schule oft leider ausbleibt. Aber alles ist freiwillig. Es gibt durchaus Leute, die dort einfach nur Tischtennis spielen, während sich andere in Theaterprojekten mit Malala und Rosa Parks auseinandersetzen. Leider sind solche demokratiefördernden Projekte wie »Sisterqueens« aktuell durch den Einbruch der Kulturförderung und soziale Kürzungen bedroht. Für das Fortbestehen ist das feministische Hip-Hop-Projekt aktuell auf Spenden angewiesen.
»Sisterqueens«, Deutschland 2024. Regie: Clara Stella Hüneke. 97 Min. Kinostart: 6.3.
Am 9.3. präsentiert das Filmteam »Sisterqueens« mit Panel-Diskussion im Babylon Kreuzberg, mehr Infos unter: kollaboev.de
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