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Das Parlament der Frauen
In der »EU-Volksvertretung« sitzen heute mehr Frauen als in den meisten nationalen Parlamenten. Die »Mütter Europas« aber finden selten Erwähnung
Bertolt Brecht hat in seinen »Fragen eines lesenden Arbeiters« geschrieben: »Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen.« Und an anderer Stelle: »Alle zehn Jahre ein großer Mann.« Schaut man sich die EU-»Geschichtsbücher« an, stehen dort ebenfalls die Namen vieler Männer. Von Frauen ist kaum die Rede. Hatten Frauen zur europäischen Integration nichts beizutragen?
Ecker: Das ist eine gute Frage. Nun müssen wir dazu wissen, dass die erste europäische Gemeinschaft 1952 den sperrigen Namen »Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl«, kurz EGKS, trug. Das war das, womit man nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Nun sind Kohle und Stahl ja nicht gerade Frauenthemen. Im Bergbau durften Frauen damals in Westdeutschland überhaupt nicht arbeiten, die durften nicht Untertage. Und aus den Stahlwerken hat man sie nach dem Krieg auch wieder rausgeworfen, wo sie während des Krieges durchaus gelitten waren als Arbeiterinnen. Das waren keine Frauenthemen. Deshalb saßen in der Verwaltung, der sogenannten Hohen Behörde, nur Männer. In der Parlamentarischen Versammlung der EGKS war es 1952 so, dass dort 78 Abgeordnete vertreten waren, die von den nationalen Parlamenten entsandt wurden: 77 Männer und nur eine einzige Frau.
Warum wurden nicht mehr Frauen in die Vertretung entsandt?
Ecker: Na ja, wir müssen zunächst dazu sagen, dass Frankreich, Italien und Belgien den Frauen das Wahlrecht erst während des Zweiten Weltkriegs oder danach gegeben haben. Frankreich 1944, Italien 1946, Belgien 1948. Das heißt, in diesen Parlamenten gab es noch gar nicht viele Frauen. Luxemburg hatte zwar Frauenwahlrecht seit 1919, aber die hatten zwischen 1931 und 1965 null Frauen im Parlament. Also die konnten auch keine entsenden. Die deutschen Frauen hatten wahrscheinlich mit der Re-Demokratisierung Deutschlands etwas anderes zu tun. Das heißt, es bleibt die Niederlande, und die hat dann 1952 tatsächlich auch eine Frau geschickt. Ja, das waren nicht so ideale Bedingungen, muss man sagen. Und es wurden dann mehr Frauen mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Euratom, also ab 1958 gab es dann ein paar mehr Frauen in der Parlamentarischen Versammlung.
Judith Ecker arbeitet seit 1994 für das Europäische Parlament, seit 2018 im Bereich Weiterbildung. Sie hat in den letzten Jahren Nachforschungen betrieben über die frühen weiblichen Abgeordneten und deren Einfluss auf die europäische Integration und die Gesellschaft in ihren Ländern.
Sie beschäftigen sich schon länger mit den »Müttern Europas«. Auf welche Namen sind Sie dabei als Erstes gestoßen?
Sylvia-Yvonne Kaufmann zog erstmals 1991 als Beobachterin ins Europäische Parlament ein. Es folgten mehrere Legislaturperioden zunächst für die Linkspartei, später für die SPD. Zeitweilig bekleidete sie die Funktion einer Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Für ihr europapolitisches Engagement wurde ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen; zudem erhielt sie den Preis Frauen Europas 2022.
Ecker: Ich habe angefangen mit der allerersten Frau, also dieser einen, die nur in der EGKS-Versammlung war, das war Marga Klompé, eine promovierte Chemikerin. Das hat ja auch dann ganz gut gepasst mit Kohle und Stahl. Und sie wurde danach die erste Ministerin der Niederlande, hat also Geschichte geschrieben in mehreren Bereichen. Ein bisschen schwieriger war es für mich, ein paar andere Frauen zu finden, die an der EU-Geschichte mitgewirkt haben. Entdeckt habe ich dann zum Beispiel die Belgierin Marguerite de Riemacker-Legot. Sie ist, obwohl sie die erste belgische Ministerin danach war, quasi in Vergessenheit geraten. Es gibt in ganz Belgien keine einzige Straße, die nach ihr benannt ist, auch keine Biografie. Aber es gibt auch Frauen, zu denen viele Dokumente vorliegen, vor allem dann nach der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments, Louise Weiss etwa oder Simone Veil.
Konnten Sie gerade bei jenen Frauen, die zu Beginn im Europaparlament aktiv waren, eine politische Richtung ausmachen oder waren die Frauen über die Parteien verteilt?
Ecker: Die waren verteilt. Zum Beispiel Marga Klompé war eine Christdemokratin, hat sich auch nach ihrer politischen Karriere sehr eingesetzt für die katholische Kirche. Dann hatten wir aus Deutschland Käte Strobel aus der Arbeiterschicht in Nürnberg, eine Sozialdemokratin. Ihr Mann war in Dachau interniert, weil er nach 1933 nicht die SPD verlassen hat. Sie war dann auch später Ministerin, unter anderem in der Brandt-Regierung. Und dann hatten wir auch liberale Frauen, wie Simone Veil. Ich würde sagen, die »Mütter Europas« waren über die Parteien verteilt.
Frau Kaufmann, Sie selbst waren »über zwei Parteien verteilt« in Ihrer Zeit im Europaparlament. Als Sie 1991 das erste Mal mit Beobachterstatus eingezogen sind – das war doch bestimmt noch eine reine Männerveranstaltung.
Kaufmann: Na ja, auf jeden Fall gab es damals noch eine sehr starke Dominanz von Männern. Weibliche Abgeordnete waren eher die Ausnahme. Aber im ersten direkt gewählten Europäischen Parlament 1979 waren, glaube ich, so 15 bis 16 Prozent Frauen Abgeordnete. Und wenn man das heute sieht, dann sind es so 38 bis 39 Prozent. Das heißt, über die Jahrzehnte hinweg hat sich der Anteil der Frauen im Europäischen Parlament langsam und stetig, aber eben doch positiv entwickelt. Und wenn man die heutige Situation betrachtet, dann darf man natürlich auch nicht vergessen, dass es drei Frauen gelungen ist, die, würde ich sagen, unsichtbare gläserne Decke zu durchbrechen, nämlich an die Spitze von EU-Institutionen zu kommen. Mit Roberta Metsola haben wir die Präsidentin des Europäischen Parlaments, wir haben Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin und Christine Lagarde als Präsidentin der EZB. Ich finde, in diese Richtung sollte es weitergehen. Aber da liegt noch ein weiter Weg vor uns, bis wir Geschlechterparität hergestellt haben und vor allen Dingen, bis das gesellschaftliche Normalität wird. Das muss immer wieder neu erkämpft werden. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Sie sagten, Frauen mussten ihren politischen Platz erkämpfen. Wie war das bei Ihnen persönlich? Wo mussten Sie sich besonders durchbeißen, oder haben Sie »männlichen Widerstand« gar nicht so hart erlebt?
Bei der Europawahl 2024 ist der Anteil von Frauen im Europäischen Parlament erstmals gesunken. Insgesamt 38,75 Prozent der 720 Abgeordneten sind weiblich. Das ist ein Rückgang um etwa einen Prozentpunkt – in der Legislatur 2019 bis 2024 lag die Frauenquote bei 39,5 Prozent. Trotzdem liegt die »EU-Volksvertretung« mit ihrem Frauenanteil weit vor den meisten nationalen Parlamenten. Im Jahr 1979, in dem das EU-Parlament erstmals direkt gewählt wurde, waren nur 16,3 Prozent der Abgeordneten weiblich.
Als einzige Fraktion im EU-Parlament sind die Grünen paritätisch besetzt – mit 50,9 Prozent weiblichen Abgeordneten in ihren Reihen. Die Linksfraktion The Left und die liberale Renew folgen mit rund 45 Prozent. In der rechtsextremen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten ist nur etwa ein Fünftel der Abgeordneten weiblich – der niedrigste Wert aller Fraktionen.
Nach der Neuwahl 2024 gehören neben der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola dem Präsidium 14 Vizepräsident*innen an, darunter sieben Frauen. Drei der fünf Quästor*innen (Finanzverantwortliche), die ebenfalls zum Präsidium gehören, sind weiblich.
Kaufmann: Die Antwort auf die Frage ist gar nicht ganz so einfach. Ich habe mich im Parlament inhaltlich mit sehr vielen verschiedenen Themen befasst. Zum Beispiel mit den europäischen Verträgen und institutionellen Fragen wie der europäischen Bürgerinitiative. Ich war Mitglied im Europäischen Verfassungskonvent als einzige Frau aus Deutschland. Dann habe ich mich im Bereich Innenpolitik engagiert, europäische Staatsanwaltschaft war mein Thema, Sicherheitsmerkmale in Personalausweisen, Visapolitik. Und ich war auch ganz zum Schluss Rechtspolitische Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion. Bei all diesen Themen gingen die Auseinandersetzungen vor allen Dingen um inhaltliche Fragen, also ich habe mich sowohl mit den Kolleginnen als auch mit den Kollegen inhaltlich gestritten. Und unter dem Strich muss man ja im Europäischen Parlament immer länder- und fraktionsübergreifend eine gemeinsame Position finden. Und insofern gab es keine klassische Männer-Frauen-Konfrontation.
Aber weil Sie gefragt haben: Natürlich gab es auch Widerstand. Dafür will ich zwei Beispiele nennen. Ich war als Vizepräsidentin zum Beispiel verantwortlich für die Gleichstellung der Frauen im Parlament selbst, also im Haus, in der Verwaltung. Und habe damals einen Bericht vorgelegt, wie mehr Frauen in Leitungspositionen gebracht werden können. Da habe ich konkrete Zielvorschläge gemacht. Und das war natürlich gar nicht so einfach. Denn wenn es um die Besetzung von Positionen ging, dann heißt das natürlich auch immer, dass es unterm Strich einen Kampf Frauen gegen Männer gibt.
Anderes Beispiel: Ich war im Jahr 2000 Mitglied im Grundrechtekonvent und habe mich da sehr für die Verankerung von Nichtdiskriminierung und Gleichstellung der Geschlechter in der Charta eingesetzt. Damals gab es verschiedene Textentwürfe zu dem Thema, andere Kolleginnen und ich waren sehr unzufrieden mit diesen Entwürfen. Auf meine Initiative hin haben wir Frauen uns über die Fraktionsgrenzen und Ländergrenzen hinweg zusammengefunden, haben uns einen gemeinsamen Text erarbeitet und den dann eben auch länder- und fraktionsübergreifend im Konventspräsidium eingebracht. Daran konnten die Männer und das Konventspräsidium nicht mehr vorbei. Darauf bin ich sogar ein kleines bisschen stolz. Den Artikel 23 der Grundrechte-Charta (über die Gleichheit von Frauen und Männern, Anm. d. Red.) haben wir Frauen damals im Grundrechtekonvent eingebracht. Und wenn ich das noch anfügen darf: Wir haben übrigens auch durchgesetzt, dass in geschlechtsneutraler Sprache die Grundrechte-Charta formuliert worden ist.
Frau Ecker, ich würde gerne noch einmal zu Ihnen kommen. Frau Kaufmann hat ja im Parlament die Frauen organisiert und mit ihnen gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg gearbeitet. Ist Ihnen so etwas auch in Ihrer Beschäftigung mit den »Müttern Europas« begegnet, also haben Sie darüber schon mal gelesen, dass sich die Frauen organisiert haben, um gemeinsame Sache zu machen?
Ecker: Ja. Sie haben zum Beispiel Anfragen gestellt an die Kommission, und zwar wirklich fraktionsübergreifend. Das ging von der Kommunistin Nilde Iotti aus Italien über die deutsche Sozialdemokratin Strobel bis zu Simone Veil von den Liberalen. Sie haben zum Beispiel die Staats- und Regierungschefs auch in einer Resolution aufgefordert, weibliche Kommissare zu benennen. Es gab bis zur Delors-III-Kommission, glaube ich, keine weiblichen Kommissare. Und so kam es dann dazu, dass es in der Kommission Delors-III zwei Frauen gab. Die Abgeordneten haben auch die Verwaltung gebeten, dort mehr Frauen zu beschäftigen. Das Parlament hatte lange vor der Europäischen Kommission die erste Frau als Generaldirektor. Das war eine Spanierin, die die Übersetzung geleitet hat.
Kaufmann: Frau Ecker, das freut mich sehr, wie Sie das gerade beschrieben haben. Ich wollte nämlich einen Punkt auch noch erwähnen. Die Frauen haben sich engagiert, ja, in der Weise, die Sie beschrieben haben, die ich beschrieben habe, auch indem sie eben fraktions- und länderübergreifend für die Sache der Frau gestritten haben. Aber gleichzeitig hätten sie natürlich nicht so weit kommen können bis heute, wenn wir nicht auch Männer gehabt hätten, die an der Seite der Frauen gestanden haben und mitgestritten haben. Es ist sehr wichtig, auch daran zu erinnern und das zum Ausdruck zu bringen. Denn alleine hätten die Frauen das nicht geschafft, wenn wir die Unterstützung fortschrittlicher Männer in den verschiedensten Parteien nicht gehabt hätten.
Sie haben es angesprochen, Frau Kaufmann, die Zahl weiblicher Abgeordneter im Europaparlament ist relativ hoch. Sie ist zwar bei den letzten Wahlen um einen Prozentpunkt gesunken, aber unter dem Strich gesehen ist die Frauenquote im Europäischen Parlament sehr viel höher als in den meisten nationalen Parlamenten. Was wurde im Europäischen Parlament möglicherweise anders gemacht als in den Nationalstaaten?
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Kaufmann: Also was das Europäische Parlament angeht, kann man auf jeden Fall festhalten, dass das Thema Gleichstellung der Geschlechter sehr frühzeitig ein wichtiges politisches Thema war. Und wenn ich mich recht erinnere, war auch gleich nach der ersten Direktwahl im Parlament ein Ausschuss für die Rechte der Frau eingesetzt worden, der dieses Thema stets ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt und nicht lockergelassen hat. Und die Tatsache, dass sie einen Ausschuss haben, der für die Rechte der Frau streitet, für die Gleichstellung der Geschlechter, ist auf keinen Fall zu unterschätzen. Denn dieser Ausschuss ist ein mitberatender Ausschuss. Das heißt, dass bei allen Gesetzesvorhaben der Ausschuss seine Meinung kundtun kann, mit Einfluss nehmen kann aus geschlechterspezifischer Sicht auf europäische Gesetzgebung. Gleichstellungsfragen sind in der Arbeit des Europäischen Parlaments über die Jahre hinweg wirklich eine Querschnittsaufgabe geworden.
Ecker: Wenn ich vielleicht ergänzen darf zum Frauenausschuss. Der wurde gleich 1979 auf Vorschlag einer Französin, Yvette Roudy, französische Sozialistin, gegründet. Und das war ein Ad-hoc-Ausschuss. Ad hoc heißt, der sollte erst mal nicht für ewig bestehen. Ab der zweiten Direktwahl wurde er zum permanenten Ausschuss.
Es sind ja nicht nur 38 Prozent der Abgeordneten Frauen, sondern es sind auch, so war zumindest unser Eindruck beim letzten Besuch, relativ viele jüngere Frauen in den Gängen des Europaparlaments unterwegs. Ist Europa ein junges, weibliches Thema, oder ist da die Gleichberechtigung einfach noch ein bisschen weiter vorangeschritten?
Kaufmann: Auf jeden Fall geht von dem Thema Europa für junge Leute durchaus eine Faszination aus. Es ist ganz toll, dass man heutzutage ohne Grenzen zwischen den Ländern hin- und herreisen kann. Man hat die Studienmöglichkeiten und auch vieles andere mehr, kann arbeiten, seinen Beruf ausüben in verschiedenen Mitgliedstaaten und kann sich da auf ganz gut ausgestattete soziale Rechte stützen, weil die auch im Laufe der Jahrzehnte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erkämpft worden sind. Und insofern stelle ich mir das schon ganz spannend vor für junge Leute, zu sagen, ja, ich will mal über den eigenen Tellerrand hier zu Hause in Berlin oder in Brüssel schauen und mich mit Themen beschäftigen, die eben Menschen auch in anderen Ländern genauso bewegen und deren Kultur und deren Sichtweise kennenlernen. Also ich glaube, die Faszination des Themas Europa ist bei jungen Leuten ganz besonders gegeben.
Ecker: Also generell: In den europäischen Institutionen arbeiten mehr Frauen als Männer. Und das hängt vielleicht damit zusammen, dass wir auch viele Kolleginnen im Sprachendienst haben und dass tendenziell mehr Frauen Sprachen studieren. An den Hochschulen kann man sich das anschauen.
Das klingt mir jetzt alles fast zu positiv. Gibt es keinen Nachholbedarf für das Europäische Parlament in Sachen Frauenrechte?
Kaufmann: Wenn wir in die Geschichte schauen, Frau Ecker hat das ja super beschrieben, dann ist eben im Laufe der Jahrzehnte sehr viel erreicht worden, und darauf können wir durchaus stolz sein. Aber bei allem Positiven ist ja doch zu sehen, dass es immer Kampf war. Nichts ist von allein gekommen. Und es dauert ziemlich lange, bis man etwas durchsetzt. Ich will mal noch ein Beispiel nennen: Das Europäische Parlament hat lange gemeinsam mit der Kommission dafür gestritten, dass in börsennotierten großen Unternehmen mehr Frauen in Aufsichtsräten und in Vorständen sind. Da hat es massiven Widerstand gegeben aus der Wirtschaft, aus den Mitgliedstaaten, von unterschiedlichsten politischen Kräften. Ich glaube, es hat über zehn Jahre gedauert, bis man dann gesagt hat, okay, das Prinzip Freiwilligkeit, mehr Frauen in Aufsichtsräten, funktioniert nicht, wir brauchen hier eine Quote. Ich glaube, das ist erst im Jahr 2022 gewesen, dass ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde. Anderes Beispiel: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das steht von Anfang an in den europäischen Verträgen. Wenn wir uns die Realität anschauen, dann ist es so, dass wir immer noch einen sogenannten Equal-Pay-Gap haben, also nicht gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Das ist nach wie vor ein Dauerbrenner.
Wir erleben auf nationalen Ebenen, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen europäischen Ländern, einen konservativen, teils rechten Backlash, Forderungen nach Gender-Verboten, Rufe nach »Frauen zurück an den Herd«. Ist dies auch auf europäischer Ebene erkennbar?
Kaufmann: Das Grundproblem ist, dass wir in fast allen Mitgliedstaaten leider ein deutliches Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Kräfte haben, die sagen, mein Land first, à la Trump. Nationalismus ist auf dem Vormarsch. Und Nationalismus ist das schlimmste Gift, die größte Gefahr für das europäische Projekt. Vieles von dem, was wir erreicht haben, kann von diesen Kräften wirklich per se infrage gestellt werden. Und deshalb ist es so wichtig, sich dem entgegenzustellen und sicherzustellen, dass das, was wir erreicht haben, eben bleibt und dass wir auch weiter Fortschritte erzielen können. Ich möchte nicht in eine Situation kommen, dass unsere Kinder dieselben Schlachten schlagen müssen, für die die Großmütter und Großväter schon Siege errungen haben.
Das – gekürzte und bearbeitete – Gespräch basiert auf einem Podcast der Reihe »Europa to go«, die gemeinsam von »nd«, die-zukunft.eu und europa.blog produziert wird.
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