Eine Ikone par excellence

Sebastian Conrad über die globale Karriere der Nofretete

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Büste der Königin Nofretete (um 1340 v.Chr) im Neuen Museum.
Die Büste der Königin Nofretete (um 1340 v.Chr) im Neuen Museum.

Sie ist die unbestrittene Primadonna unter den »Royals«, in aller Welt geschätzt, kopiert und vermarktet: Nofretete. Ihre über 3300 Jahre alte Büste übt ihren ungebrochenen Zauber trotz oder wegen des Fehlens ihres linken Auges auch heute noch aus. Gefunden wurde sie im Dezember 1912 im ägyptischen Amarna von deutschen Archäologen, die der Berliner Baumwollfabrikant James Simon beauftragt und finanziert hatte. Ägypten war seinerzeit britisches Protektorat. Die damaligen Regeln der Teilung archäologischer Funde sahen vor, dass jeder Fund zu gleichen Teilen an den Finder und an das Land gehen sollten. Die Büste der Nofretete fiel an Simon, ein großes Altarbild an Ägypten. Simon schenkte die Büste später dem preußischen Staat und so wurde sie erstmals 1924 im Neuen Museum ausgestellt, wo sie heute noch beziehungsweise wieder zu bewundern ist.

Die Geschichte ihrer Entdeckung und des Streits um sie hat der Historiker Sebastian Conrad von der Freien Universität Berlin in einem wissenschaftlich fundierten, mit üppigem Bildmaterial geschmückten Sachbuch interessant aufbereitet. Seit über hundert Jahren fordert Ägypten die Königin zurück, sie sei koloniale Raubkunst. Bisher vergebens. Zwischendurch stritten auch die DDR und die Bundesrepublik um sie. Aus diesem Stoff strickte die Berliner Autorin Stefanie Gerhold einen Roman, der die historischen Tatsachen mit feinen fiktionalen Garnierungen fesselnd erzählt. Sie lädt ihr Lesepublikum auf die Weihnachtsfeier der Firma »Gebrüder Simon« anno domini 1912 ein. Mitten in die Ansprache von James S. vor der Belegschaft seines Baumwollunternehmens bringt ein Telegrammbote frohe Botschaft aus Kairo: »Bedeutenden Fund gemacht. Beschreiben nutzlos. Borchardt«. Dieser Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie, Ludwig Borchardt, seines Zeichens Ägyptologe, hatte damals die Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Amarna geleitet, bei denen man in der Bildhauerwerkstatt von Thutmosis auf Nofretetes Büste stieß. Stefanie Gerhold berichtet auch vom Kunstschutzoffizier der US-Army Walter I. Farmer, der nach 1945 alle Begehrlichkeiten US-amerikanischer Museen abwehrte und Nofretete für Deutschland rettete, wofür er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde.

Unterhaltsam beginnt auch das Sachbuch von Conrad. Er erinnert an den spektakulären Auftritt der afroamerikanischen Popsängerin Beyoncé im April 2018 als Wiedergängerin der Nofretete. Für sie ist die Pharaonin mehr als ein Schönheitsideal, sie verbindet die Gemahlin und Mitregentin von Echnaton als eine selbstbewusste Schwarze Frau mit ihrem eigenen Eintreten für die Black Power- und Black-Lives-Matter-Bewegung. Was nach anfänglicher guter Zusammenarbeit zum Bruch mit Zahi Hawass, dem ehemaligen Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, führte, der Nofretete einzig in der ägyptischen Tradition verortet wissen will und seit Jahrzehnten hartnäckig um die Rückgabe der Büste nach Kairo kämpft. Im Herbst vergangenen Jahres hatte er wiederholt eine Petition mit diesem Ansinnen an die Bundesregierung gestartet. Beyoncé war übrigens vor ihrem legendären Konzert nach Berlin gereist, um die Nofretetes Büste zu sehen, vor der sie sich medienwirksam ablichten ließ. Das Museum wurde extra zum Fototermin der Popikone weiträumig abgesperrt. 

Laut Conrad gehört Nofretete der ganzen Welt. Auch wenn sie schon in den 60er/70er Jahren als Inspiration für die kollektive Selbstermächtigung und Selbstvergewisserung »Black is beautiful« diente und vom südafrikanischen Freiheitskämpfer Nelson Mandela als herausragende Protagonistin an der Wiege afrikanischer Kultur und Zivilisation gewürdigt wurde, stünde sie zugleich für die Moderne global, auch des sogenannten Abendlandes. Feministinnen der Weimarer Republik bezogen sich ebenfalls auf die schöne und kluge Pharaonin aus Ägypten, die tapfer mit ihrem Mann dem Widerstand der alten Priesterschaft gegen die Einführung einer monotheistischen Religion, des Sonnenkults, Aton, bis zuletzt trotzte. »Nofretete ist Teil einer weltumspannenden Kultur geworden, bei der Zitate nicht mehr auf das Original verweisen; sie wurde zur global zirkulierenden Ikone par excellence«, urteilt Conrad. Gern hätte man allerdings noch mehr über Leben und Wirken der authentischen Nofretete erfahren, doch dazu bedarf es eines anderen Buches, dies war nicht Thema dieses vorzüglichen Sachbuches.

Sebastian Conrad: Die Königin. Nofretetes globale Karriere. Propyläen, 376 S., geb., 29 €.
Stefanie Gerhold: Das Lächeln der Königin. Galiani, 232 S., geb., 23 €.

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