Schmus

Was ist Schmus? Da will ich nicht groß drumherumlabern. Obwohl.

Point of view: Wie mir gerade noch eine wichtige Ergänzung zum eben Angerissenen einfällt.
Point of view: Wie mir gerade noch eine wichtige Ergänzung zum eben Angerissenen einfällt.

Wo waren wir doch gerade? Stimmt: beim Schmonzes. Obwohl beim Schmonzes nichts stimmt, sonst wäre es ja gerade kein Schmonzes.

Und wenn wir schon beim Schmonzes sind oder vielmehr noch immer: Was ist sonst noch beim Schmonzes – außer uns? Beim Schmonzes sind mindestens noch der Schmu und der Schmus. Was ist Schmus? Da will ich nicht groß drumherumlabern, obwohl Schmus genau das ist: groß drumherumlabern. Warum sollte aber jemand groß drumherumlabern, wenn er auch direkt mittenreinlabern könnte? Nu, weil er glaubt: Je mehr man redet, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, etwas Richtiges zu sagen. Doch Schmus wird durch noch mehr Schmus nicht weniger Schmus, sondern manchmal sogar mehr.

Außerdem labern manche dennoch in deine eigenen Worte mittenrein, auch wenn sie nur drumherumlabern.

Nun weiß man: Wer nicht reden will, muss schweigen. Schweigen aber ist schwer. Und man weiß ja auch, dass es falsch ist zu schweigen, wenn man etwas zu sagen hat, auch wenn man oft nicht weiß, was genau man zu sagen hat – deshalb redet man. Außerdem ist Schweigen schwer.

Manche reden viel, aber dafür über wenig; andere reden über alles, aber sagen nichts; wieder andere – auch wenn es manchmal dieselben sind – reden nicht für den anderen und nicht einmal für sich selbst, sondern nur um des Redens willen. Denn Schweigen ist schließlich schwer.

Zugegeben: Wenn man nebenher redet, funktionieren manche Tätigkeiten deutlich besser. Zum Beispiel Gespräche. Schweigen dagegen ist schwer. Das kann man schon daran erkennen, wie lang die Ausbildung zum Psychoanalytiker dauert.

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Um Schmus zu labern, braucht man hingegen keine Ausbildung, denn es ist eine Gabe: Entweder man hat sie – oder man leidet darunter.

Wer darunter leidet, geht zum Arzt und läßt den Schmus untersuchen, unter dem man leidet. Nachdem der Arzt den Schmus untersucht hat, beginnt er Schmus darüber zu labern. Das Erzeugen von Schmus, sagt er, ist bei manchen Patienten als eigenständige Funktion derart entwickelt, dass es sowohl psychologisch als auch physiologisch nur noch entfernt ans Reden erinnert. Die Wahrnehmung des Gegenübers ist nur noch rudimentär vorhanden, die Semantik minimiert, die Sprechmelodie monoton, der ausströmende Luftstrom nahezu ungehindert, das Kiefergelenk gelockert, die Zunge in den vorderen Bereich des Rachenraums vorgelagert.

Die mit extraordinärem Schmusvermögen Begabten sind einer Blase gleich aufgebläht vor geleeartiger Substanzlosigkeit. Sie befinden sich, fast zerplatzend vor Mitteilungsdrang, auf der fortwährenden Suche, auf der Jagd nach einem Opfer, über das sie ihre Logorrhoe ausströmen lassen könnten. Die perfidesten von ihnen sind solche, die einem ihre eigene Gesprächigkeit auch noch übelnehmen: Man hält sie durch Zuhören auf.

Das klingt klug. Jene, die Schmus reden, denken meistens, dass sie etwas Kluges sagen. Das liegt aber daran, dass sie zu viel reden, um viel denken zu können. Außerdem steht ja geschrieben: »Ich esse nicht, bis dass ich meine Worte gesprochen.« Und das ist nicht gerade förderlich für diese Worte, die da gesprochen werden, weil es viele Worte sind und viele Worte lang dauern; und wer aber lang nicht isst, hungrig wird; und wer hungrig wird, essen will; und wer essen will, nicht denken mag; und wer nicht denken mag, nicht schweigen will; und wer nicht schweigen will, reden muss. Doch Schweigen ist schwer. Und so kommt es zuletzt zum endgültigen Triumph des Schmus.

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