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Sich zuhören

Sebastian Weiermann über die Herausforderung der Linken, sich inhaltlich zu erneuern

Gerade ist die Stimmung gut, der beste Zeitpunkt für solidarische Debatten.
Gerade ist die Stimmung gut, der beste Zeitpunkt für solidarische Debatten.

Die Linke ist wieder da, und sie ist so groß wie nie. Zum Jahreswechsel 2023/2024 hatte sie 50 000 Mitglieder. Jetzt sind es über 100 000. In manchem Landesverband ist die Veränderung noch größer. In Nordrhein-Westfalen ist die Mitgliederzahl von 7500 auf 20 000 gesprungen. Zehntausende Neumitglieder kommen nicht als weiße Blätter in die Partei. Manche waren vorher in anderen Strukturen aktiv, andere haben für sich politische Vorstellungen entwickelt. In die Partei sind viele eingetreten, weil sie die einzige wahrnehmbare soziale und antifaschistische Kraft im deutschen Parteienspektrum ist. Sie haben der Linken den Arsch gerettet.

Jetzt machen sich allerdings zahlreiche Strömungshäuptlinge (Gendern nicht notwendig) und Altkader bereit. Beinahe im Stundentakt verfassen sie Welterklärungstexte in den sozialen Medien, und längst tot geglaubte Strömungen zeigen sich wieder auf Parteitagen. Sie vertreten die Positionen, die sie immer vertreten haben, und missionieren dafür. Bei Widerspruch, der nicht nur von Neumitgliedern, etwa bei außenpolitischen Themen kommt, wird auf das Erfurter Programm von 2011 verwiesen.

Nun ist das Erfurter Programm keine heilige Schrift, und ein Update würde der linken Programmatik schon allein deshalb guttun, weil sich die Welt in den letzten 14 Jahren ein ganz kleines bisschen verändert hat. Für die Erneuerung der Partei, und um Frustration gerade bei den Neuen zu vermeiden, wäre es richtig, wenn sich die etablierten Strömungen und Kader in nächster Zeit zurückhalten würden. Sie sind in der Partei lange Zuhause, bundesweit vernetzt und kennen alle Kniffe für Beschlüsse. Ein Vorteil, den Neumitglieder, die gerade erst beginnen, sich thematisch zu organisieren, nicht haben. Um faire Debatten zu ermöglichen, muss die Partei dem Rechnung tragen.

Die Debatten zu führen, ist notwendig. Die Linke sollte davor keine Angst haben. Die Partei ist nach der BSW-Abspaltung eng zusammengerückt, der Wahlerfolg und der Mitgliederboom haben dazu geführt, dass gute Stimmung herrscht. Das sind gute Voraussetzungen, um gemeinsam und solidarisch darüber zu streiten, wie die Linke in die Zukunft gehen soll. Wird so ein Prozess verpasst, kann es schnell wieder bergab gehen. Mitglieder können gehen und Fraktionen sich zerstreiten. Niemand weiß das besser, als die Linke selbst.

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