Soziale Kälte im Radiator

Derzeit dämpfen die Energiepreise die Inflation. Ist die Krise also vorbei?

Ein einsamer Radiator: In Deutschland gibt es keine Definition von Energiearmut.
Ein einsamer Radiator: In Deutschland gibt es keine Definition von Energiearmut.

Manchen stecken die Heizkostennachzahlungen von 2023 noch in den Knochen, da geben die aktuellen Inflationszahlen Grund zum Aufatmen. Im Februar ging die Teuerungsrate in der Eurozone etwas stärker zurück als erwartet, wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch in Luxemburg mitteilte. Die Verbraucherpreise stiegen um 2,3 Prozent, im Januar hatte die Inflation bei 2,5 Prozent gelegen. Ursächlich für die weiterhin steigenden Zahlen sind vor allem Dienstleistungen und Lebensmittelpreise. Ähnlich sieht es in Deutschland aus, wo die Inflation bei 2,6 Prozent liegt und im Vergleich zum Vormonat gesunken ist. Hierzulande wie in der Eurozone dämpft die Energiepreisentwicklung die Inflation – ist die Energiekrise gerade für ärmere Haushalte also vorbei?

Energiearmut bedeutet, dass Haushalte nicht in der Lage sind, ihren Energiebedarf zu decken. Das heißt, sie können ihre Wohnungen nicht angemessen heizen, ihre Heiz- oder Stromkosten nicht begleichen oder müssen bei ihren Grundbedürfnissen Einschränkungen beim Stromverbrauch vornehmen. In Deutschland gibt es keine offizielle Definition von Energiearmut und dementsprechend auch keine offiziellen Zahlen.

In einer EU-Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen gaben jedoch 6,2 Prozent der Haushalte an, ihre Wohnungen 2024 nicht angemessen heizen zu können, 4,7 Prozent waren in Zahlungsverzug bei ihren Energieversorgern. Zehn Prozent der deutschen Haushalte sind außerdem laut einer Studie des Öko-Instituts im Auftrag des Bundesumweltamts vulnerabel gegenüber steigenden Energiepreisen. Sie können aus finanziellen Gründen nicht so viel heizen wie benötigt, oder ihre Haushaltseinkommen sind dadurch sehr stark belastet.

Die Ursachen für Energiearmut sind vielfältig. Sie kann durch steigende Preise entstehen, beispielsweise wenn diese arme Haushalte mit niedrigem Einkommen und ohne Ersparnisse treffen. Die Energiepreise steigen einerseits inflationsbedingt, andererseits werden fossile Brennstoffe auch durch klimapolitische Maßnahmen teurer. So sollen Investitionen in klimafreundliche Alternativen angereizt werden.

»Vor allem strukturelle Faktoren verursachen eine hohe Belastung und können zu Energiearmut führen.«

Katja Schumacher Öko-Institut e.V.

»Vor allem strukturelle Faktoren führen zu hohen erforderlichen Energiebedarfen, verursachen dadurch eine hohe Belastung und können zu Energiearmut führen«, erklärt Katja Schumacher vom Öko-Institut e.V. gegenüber »nd«. Das wären zum Beispiel die schlechte Energieeffizienz von Gebäuden oder von Haushaltsgeräten. Für Menschen, die in gut sanierten Gebäuden leben, seien Energieausgaben meist tragbar.

Die Energiekrise und damit verbundene Kosten fanden Einzug in die Wahlprogramme. Nach der Wärmepumpen-Debatte der letzten Legislaturperiode, die die Öffentlichkeit am sozialen Ansatz der Grünen zweifeln ließ, zeigten sich die Parteien bemüht, öko-soziale Konzepte einfließen zu lassen. So schrieb die SPD, sie wolle mit »geeigneten Maßnahmen« dafür sorgen, dass »niemand überfordert wird«, wenn Deutschland 2027 in das europäische System ETS II eintritt. Ab dann wird die Steuer für den CO2-Ausstoß durch Angebot und Nachfrage bestimmt, der CO2-Preis demnach stark steigen. Modellrechnungen gehen von 200 bis 300 Euro je Tonne aus. Derzeit liegt der Preis bei 55 Euro.

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Die SPD führte als Beispiel ein Klimageld an, das höhere Ausgaben kompensieren sollte. Das hatte die Ampel-Regierung im Koalitionsprogramm festgeschrieben, aber nicht umgesetzt, und auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Metz hatte das Klimageld im vergangenen Wahlkampf in Aussicht gestellt. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von Anfang Februar befürwortet jede*r Zweite in Deutschland die Einführung eines pauschalen Klimageldes. In den aktuellen Koalitionsverhandlungen ist davon aber nicht mehr die Rede.

Stattdessen planen SPD und CDU, die Strompreise und Netzentgelte durch Steuersenkungen zu verringern und außerdem den »Standort Deutschland wettbewerbsfähig zu machen«, indem die Strompreiskompensation auf weitere energieintensive Branchen ausgeweitet wird. Bisher gehören dazu Sektoren wie Aluminium und Metall, Chemie, Stahl und Zement. Weil sich insbesondere die CDU darum sorgt, dass Unternehmen ihre Standorte ins Ausland verlagern könnten, will sie die Kompensation auf die Automobil-, Maschinenbau- und Bauindustrie ausweiten.

Generell biete eine Senkung der Strompreise bei gleichzeitiger Steigerung der Preise für fossile Brennstoffe einen umweltfreundlichen Anreiz, schätzt Schumacher die geplanten Maßnahmen ein. Für energiearme und vulnerable Haushalte führe die Strompreissenkung zu einer Entlastung: »Dadurch kann Energiearmut positiv beeinflusst werden und es gibt einen Anreiz, auf strombasierte Alternativen umzusteigen«.

Zugleich brauche es unterstützende Maßnahmen. Im Gebäudeenergiegesetz gibt es für den Heizungstausch bei Eigenheimbesitzern bereits einen Einkommensbonus von 30 Prozent, der auf Maßnahmen wie Dachsanierungen, Fenstertausch oder Wanddämmungen ausgeweitet werden könnte. Mieter*innen haben dagegen meist keine Entscheidungsmacht über die Energieeffizienz ihrer Wohnungen, steigende Heizkosten werden aber auf sie umgelegt. Deswegen müssten Lösungen gefunden werden, durch die bei Sanierungen die Gesamtmiete nicht steige, damit Haushalte ihre Wohnkosten weiter bezahlen könnten, so Schumacher. »Spezielle Förderprogramme für Vermietende in Verbindung mit einer Mietobergrenze können überlegt werden.«

Wichtig sei, so schreiben es Öko-Institut und Paritätischer in ihrer Analyse, bei der CO2-Bepreisung nicht auf eine reine Marktlösung zu setzen, denn das würde Heizen zum Luxus machen.

Im Februar legte der Paritätische Wohlfahrtsverband in Kooperation mit dem Öko-Institut ein Konzept für eine soziale Wärmewende vor. Diese baue, so die Studie, auf Ordnungsrecht, sozialen Ausgleich für einzelne Haushalte und stärkere Unterstützung sozialer Institutionen. Das würde im Konkreten bedeuten, zum Beispiel Sanierungsprogramme im Sozialen Wohnungsbau zu fördern, eine Preisaufsicht für das Fernwärmenetz zu schaffen, wie es übrigens auch die SPD in ihrem Wahlprogramm forderte, oder das bereits erwähnte Klimageld sozial zu staffeln. Weitere Vorschläge, Energiekosten aufzuteilen, lagen während der Wahlen ebenfalls auf dem Tisch. So etwa sozial gestaffelte Energiepreise und einen niedrigen Sockeltarif, finanziert durch einen Energie-Soli für Reiche, wie ihn Die Linke in ihr Wahlprogramm geschrieben hatte.

Derzeit gibt es Maßnahmen gegen Energiearmut vor allem auf EU-Ebene. Die neue Energieeffizienz-Richtlinie enthält erstmals eine Definition von Energiearmut, 2026 führt die EU den Klima-Sozialfonds ein. Wichtig sei, so schreiben es Öko-Institut und Paritätischer in ihrer Analyse, bei der CO2-Bepreisung nicht auf eine reine Marktlösung zu setzen, denn das würde Heizen zum Luxus machen. »Der Weg aus der Energiearmut sollte durch Maßnahmen erfolgen, die dazu führen, dass vor allem der fossile Energieverbrauch reduziert werden kann«, fasst Schumacher zusammen.

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