Machtspiele am Berliner Ensemble

Medienberichte über Diskriminierung an dem berühmten Theater im Kontext fragwürdiger Arbeitsbedingungen in der Branche

In der Maske für Bertolt Brechts »Dreigroschenoper« (2021)
In der Maske für Bertolt Brechts »Dreigroschenoper« (2021)

Ein zum Frauenkampftag veröffentlichter Bericht des Nachrichtenmagazins »Spiegel« über mutmaßliche Diskriminierung von Frauen, insbesondere Müttern, am Berliner Ensemble (BE) hat weitreichende Folgen. Zunächst hatte das BE die Darstellungen von hauptsächlich ehemaligen Maskenbildnerinnen des Theaters über eine Anwaltskanzlei ausdrücklich zurückgewiesen. Die Vorwürfe gegen die Geschäftsleitung und die Leiterin der Maske seien »unsubstantiiert«. Eine Schlechterbehandlung von Müttern am BE finde nicht statt. Vielmehr erhielten sie von der Leitung »besondere Unterstützung«, so die erste Reaktion des BE laut »Spiegel«.

Am 11. März verkündeten die beiden Regisseurinnen von »#Motherfuckinghood« – eines feministischen Kassenschlagers über Mutterschaft – zu pausieren, bis die Anschuldigungen aufgeklärt seien. Man wolle in der »politischen Aussage glaubhaft« bleiben. Am 14. März teilte BE-Intendant Oliver Reese mit, dass er sich »persönlich für die vollständige Aufklärung aller Vorwürfe« einsetze – in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und der senatsgeförderten Beratungsstelle »Diversity Arts Culture«. Man werde auch die Organisationsstrukturen überpüfen, »um eventuelle strukturelle Defizite zu beheben«. Im Zuge der Aufarbeitung sei die Leiterin der Maskenabteilung am 13. März freigestellt worden.

In einer weiteren Mitteilung hatte Reese am 18. März bekannt gegeben, dass ebenfalls am 13. März der Ko-Geschäftsführer Jan Fischer sein Amt niedergelegt habe. In der Folge habe Reese Fischers Vertrag aufgelöst. Reese erklärte, den Ausstieg von Fischer zu bedauern.

Doch was steht überhaupt im Raum? Soweit bekannt, hat sich bisher niemand namentlich über die Vorgänge am BE geäußert. Der »Spiegel« gibt an, »mit 16 ehemaligen und aktuellen Angestellten aus der Maskenabteilung« gesprochen zu haben. Diejenigen, die über Foto und Vorname identifiziert werden könnten, arbeiten nicht mehr am BE. Sie berichten von einem »System von Kontrolle und Gehorsam«, das die stets präsente, laute Maskenchefin geschaffen habe. Regelmäßig sei sie zu Personalgesprächen gebeten worden und dort dann minutenlang angeschrien worden, berichtete eine Frau. Die Maskenchefin dementiert. Für »nd« ist sie nicht zu erreichen. »Ich bin bis einschließlich 01. April 2025 nicht im Haus«, kommt eine automatische E-Mail-Antwort.

Innerhalb des beschriebenen Systems sei der Arbeitsdruck enorm gewesen, heißt es. Penibel genaues Arbeiten und ständige Verfügbarkeit seien verlangt worden, was vor allem für alleinerziehende Mütter eine kaum zu bewältigende Herausforderung gewesen sei. In der Folge hätten sich viele krankschreiben lassen müssen oder um Auflösungsverträge gebeten. Sie hätten das Gefühl gehabt, »auf der Abschussliste zu stehen, hätten sie krank gemacht«, sagte eine der Maskenbildnerinnen dem »Spiegel«. Ab 2023 sei versucht worden, die Situation zu verbessern. Doch Briefe an die Chefin der Maske und Gespräche mit der Geschäftsführung hätten zu keiner annehmbaren Lösung geführt.

Diese Schilderungen aus der Maske, bezogen auf die Vergangenheit, seien der Geschäftsführung bekannt gewesen, erklärte das BE dem »Tagesspiegel«. Daraufhin habe es regelmäßig Gespräche mit den Beteiligten gegeben. Professionelle Coachings, Teamworkshops und Mediationsverfahren seien durchgeführt worden. »Zuletzt hat es Ende 2024 ein Gespräch der Geschäftsführung mit der gesamten Abteilung ›Maske‹ gegeben, in dem sich die Beteiligten positiv über die gegenwärtige Stimmung im Team und am Haus geäußert haben«, zitiert der »Tagesspiegel« die Geschäftsführung. Weder in diesem Gespräch noch im Nachgang seien der Geschäftsführung Probleme mitgeteilt worden, auch nicht anonym. Der Prozess werde gleichwohl fortgesetzt.

Inwieweit die Situation noch heute besteht, bleibt im Spiegel-Bericht weitgehend offen. Das Nachrichtenmagazin schreibt von einem Fall, in dem der Betriebsrat bei der Leitung »die harte Vorgehensweise gegenüber der Mitarbeiterin« beklagt. Ob die mutmaßlichen Vorgänge eine Heftigkeit darstellen, die man von anderen Häusern nicht kennt, wie es ein Sekretär der Gewerkschaft Verdi beurteilt, lässt sich für Branchenfremde von außen schwer beurteilen. Doch klar ist, Machtmissbrauch und Diskriminierung sowie patriarchale Strukturen sind in der Theaterbranche kein Einzelfall.

Am Maxim-Gorki-Theater stand ab 2021 die Intendantin Shermin Langhoff in der Kritik. Auch ihr wurden Machtmissbrauch und Mobbing vorgeworfen. Damals hatten 15 zum Teil ehemalige Mitarbeiter*innen dem »Spiegel« anonym von einem Klima der Angst und von körperlichen Übergriffen berichtet. Seit 2019 ist laut »Taz« mehrfach die Beratungsstelle Themis konsultiert worden. Themis berät zu sexueller Belästigung und Gewalt in der Branche. Langhoff hatte sich zu den einzelnen Vorwürfen nicht direkt geäußert, sie seien aber »auf- und abgearbeitet« worden, wie sie dem »Spiegel« sagte. Doch auch in den Folgejahren war die Kritik nie ganz verstummt. Beschäftigte gaben an, nicht offen vorzutragen, aus Angst vor einer Nichtverlängerung ihrer Arbeitsverträge.

Künstlerische Angestellte an deutschen Bühnen hängen in der Regel in einem System der Kettenbefristung fest. Erst nach 15 Jahren am gleichen Haus gibt es das Recht auf eine Entfristung. Damit läuft auch der Sonderkündigungsschutz für Personal- und Betriebsräte ins Leere, da die Arbeitsverhältnisse durch Nichtverlängerung der Verträge beendet werden können. Diese Ausgangssituation allein beugt jedem Aufbegehren vor. Am BE gehörten im Jahr 2023 etwa 100 der 290 Mitarbeiter*innen zum künstlerischen Betrieb.

»Machtmissbrauch hat viele Gesichter und ist ein Dauerbrenner in der Branche.«

Genossenschaft Deutscher
Bühnen-Angehöriger (GDBA)

Seit August 2024 ist das Berliner Ensemble Mitglied im Deutschen Bühnenverein, quasi dem Arbeitgeberverband der Theater. Somit werden die Beschäftigungsverhältnisse des überwiegend künstlerischen Personals, wozu auch die Maskenbildner*innen gehören, durch den Normalvertrag (NV) Bühne bestimmt, wie der Tarifvertrag für derartig Beschäftigte heißt.

Erst in dieser Woche hatten die Gewerkschaften GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) und BFFS (Bundesverband Schauspiel) ihre Mitglieder zum ersten Mal überhaupt zu einem halbstündigen Streik aufgerufen. Mehr als 1000 Beschäftigte von über 100 Bühnen sind Gewerkschaftsangaben zufolge diesem Aufruf gefolgt. Der Grund: Seit mehreren Jahren versuchen die Gewerkschaften bisher erfolglos, den NV Bühne zu erneuern, »da er mangelhaft bis gar nicht das regelt, was ein Tarifvertrag eigentlich regeln sollte: Arbeitszeit, Bezahlung, Sozialschutz«. Konkret fordern die Gewerkschaften unter anderem fünf Stunden Ruhezeit vor einer Vorstellung, verbindliche Wochenpläne und Regelungen für Überstunden und Überstundenzuschläge.

Darüber hinaus benennt die GDBA weitere Forderungen, die sie bisher aber nicht in der laufenden Tarifrunde erhebt. Da heißt es mit Blick auf die Kettenbefristungen: »Die Nichtverlängerungspraxis muss grundlegend geändert werden, denn die dauerhafte Angst der Beschäftigten, dass ihr Vertragsverhältnis aus den sogenannten künstlerischen Gründen endet, ist der ultimative Nährboden für Machtmissbrauch.«

»Machtmissbrauch«, erklärt die GDBA weiter, »hat viele Gesichter und ist ein Dauerbrenner in der Branche«. Die Angst vor Nichtverlängerung und auch die Angst vor »künstlerischem Liebesentzug« durch die Besetzungspolitik würden zu dauerhaftem Schweigen führen. Auch die gängige Praxis, dass beim Wechsel der Intendanz ein Großteil der Belegschaft ausgetauscht werde, müsse geändert werden.

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Dieses Vorgehen hatte Reese-Vorgänger Claus Peymann an seinem Nachfolger kritisiert. Der sich selbst als aufgeklärten Monarchen bezeichnende Peymann hatte sich zwar Mitbestimmung von Mitarbeiter*innen in künstlerischen Fragen verbeten, den Austausch eines Gros der Belegschaft aber als Zerstörungsschlag verurteilt, der »sich über alle sozialen Standards hinwegsetzt«.

Das Berliner Ensemble wird als GmbH geführt. Seit dem Abgang von Jan Fischer obliegt dem Intendanten Oliver Reese die Geschäftsführung und die künstlerische Leitung allein. Die 50 000 Euro für die Übernahme der Geschäftsanteile hatte Reese an Peymann per Überweisung bezahlt. 20 Prozent der Kosten kann das Theater mit eigenen Einnahmen durch Ticketverkäufe und auswärtige Gastspiele decken. Mit 19,6 Millionen Euro bezuschusste das Land Berlin das BE im Jahr 2024. Der frühere Linke-Kultursenator Klaus Lederer hatte 2023 angekündigt, die Berliner Ensemble GmbH in Landeshand überführen zu wollen. Heute teilt die Senatsverwaltung lediglich mit, dass die Frage der Rechtsform evaluiert werde. »Einen aktuellen Stand zur Rekommunalisierung des Berliner Ensembles gibt es nicht.« Ob es am BE zu arbeitsrechtlich problematischen Vorgängen gekommen sei, sei Gegenstand eines laufenden Verfahrens. Machtmissbrauch und Diskriminierung seien inakzeptable Verhaltensweisen, denen der Kultursenat entgegenwirke. Aber: »Einer Sanktionierung von Einrichtungen in Bezug auf Fördermittel beziehungsweise deren Entzug sind zu Recht sehr hohe Hürden gesetzt.«

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