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All power to the people!
Zum Wohle der Natur und der Menschen – der Appell eines französischen Umweltkollektivs
Deutsche Linke haben durch Jahrzehnt, Jahrhunderte immer wieder hinüber geblickt, ins westliche Nachbarland Frankreich. Wo die Menschen viel eher zu haben waren und sind für Proteste und Aufruhr. Ski jedenfalls schien es bis jetzt, von der Großen Revolution der Franzosen 1789 über die Julirevolution 1830 und die Studentenrebellion 1968 bis hin zu den Gelbwesten. Doch dieses große Vorbild scheint erlahmt, entschlummert, verschwunden zu sein. Während der Coronakrise. Irrtum, sie sind wieder da, unsere wackeren, aufsässigen Franzosen. Der Rückzug ins Private, in die Resignation ist beendet.
Heftiger Wind schlägt Emanuel Macron entgegen, angetreten mit der Reformbewegung En Marche als Hoffnungsträger der Veränderung und Modernisierung des Landes. Widerstand formiert sich wieder, sei es gegen die Rentenreform oder rigide Asyleinschränkungen der Regierung. Der rassistische Mord an den 17-jährigen Nahel Merzouk durch die Polizei trieb die Menschen zu tausenden auf die Straße. Die Bauern äußern ihren Unmut über die Agrarpolitik der Regierung mit Blockaden. Umweltaktivisten sind zu neuer Tatkraft erwacht. »Im westfranzösischen Deux-Sèvres strömte plötzlich ganz Frankreich zusammen und protestierte gegen das Watergrabbing. Die riesigen Wasserrückhaltebecken der Agrarindustrie, die Mega-Bassines, wurden zu umkämpften Festungen und ihre Belagerung zum Symbol für den Kampf gegen den ökologischen Raubbau«, liest man in dem hier vorzustellenden Buch. Und: »Die schreiende Wut lässt sich nicht besänftigen. In Anbetracht ihrer Maßnahmen, scheint die Regierung zu glauben, das Feuer mit Benzin löschen zu können.«
»Erste Beben« titelte das französische Autorenkollektiv diese Bestandsaufnahme, die zugleich ein Appell ist. »Aufstände der Erde« nennt sich die aktivistische Gruppe, die sich die Verteidigung von Land und Wasser auf die Fahne geschrieben hat und längst kein unbeschriebenes Blatt mehr ist, sich in der französischen Umwelt- und Klimabewegung etabliert hat. Sie sorgt für Aufmerksamkeit und Schlagzeilen mit spektakulären Aktionen, darunter auch Sabotage in Unternehmen, die nach wie vor auf fossile Energien setzen und/oder die Natur vergiften. Die Gruppe schwört auf Massenaktionen wie auch individuelle Störmanöver.
Vorangestellt haben die Autor*innen ihrer Streitschrift ein Zitat der französischen Sozialrevolutionärin und Philosophin Simone Weil aus dem Jahr 1936 – und doch noch hochaktuell wie ermutigend: »Niemand weiß, wie sich die Dinge entwickeln werden. Katastrophen sind zu befürchten. Aber keine Furcht löscht die Freude aus, dass jene, die das Haupt stets zu senken bestimmt sind, es einmal erhoben haben.«
Mit der Ökologie ernst machen, wollen unsere französischen Freunde. Keine Sonntagsreden und erst keine Ausreden mit irgendwelchen Scheinargumenten und angeblichen Sachzwängen. Die weitere Zubetonierung der Städte und Gemeinden stoppen, Beton und Betonköpfen den Kampf ansagen, den agrar-industriellen Komplex demontieren und der Pharmamafia das Handwerk legen. Fröhlich verkünden sie »Bye-bye Bayer, ciao Monsanto«. Sie ermuntern, die »Ärmel hochkrempeln«, die Böden zurückerobern und die Wälder zu bewaffnen.
Sympathisch wie konsequent das Statement: »Die Einwohner*ininnen eines Gebiets sollen selbst darüber entscheiden, wie sie dort leben wollen. Diejenigen, deren Leben unmittelbar von ihren Beziehungen zum Land und den Maschinen, zu ihren Nachbar*innen oder Kolleg*innen abhängt, sollen entscheiden, wie diese Beziehungen geregelt werden sollen – nicht jene, die diese Regionen und Menschen aus der Ferne ausbeuten oder verwalten. ›All power to the people!‹ ist wohl das passendste Motto im Umweltschutz.« Genau.
Im vierten Kapitel berichten die Autr*innen, wie sie sich fanden und gründeten. Es begann inmitten der Coronakrise, im Januar 2021. »Wir träumen von Mobilisierungen, bei denen die Gen Z und Rentner*innen, städtische und ländliche Milieus, Berufstätige der unterschiedlichsten Branchen und Aussteiger*innen jedweder Couleur Seite an Seite stehen. Es geht niemals nur um die Aktion selbst, sondern immer auch um das Gemeinschaftsgefühl.« Ein erstes Manifest entsteht.
Im vierten Kapitel berichten die Autor*innen, wie sie sich fanden und gründeten, um »Himmel und Hölle« in Bewegung zu setzen. Es begann inmitten der Coronakrise, im Januar 2021. »Wir träumen von Mobilisierungen, bei denen die Gen Z und Rentner*innen, städtische und ländliche Milieus, Berufstätige der unterschiedlichsten Branchen und Aussteiger*innen jedweder Couleur Seite an Seite stehen. Es geht niemals nur um die Aktion selbst, sondern immer auch
um das Gemeinschaftsgefühl.
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