Wie man Feindbilder begründet

Wolfram Adolphi wollte wissen, wie Mao in deutsche Köpfe kam – eine Presseschau

  • Jutta Grieser
  • Lesedauer: 5 Min.
Mao führt die Massen an.
Mao führt die Massen an.

Angesichts der vielen Konflikte auf der Welt verwunderte es wenig, dass der jüngste chinesische Volkskongress im hiesigen Blätterwald Anfang März so geringe Aufmerksamkeit fand. Bis auf die scheinheilige Entrüstung darüber, dass das bevölkerungsreichste Land der Welt seine Rüstungsausgaben auf 231 Milliarden Dollar erhöhen wird (zum Vergleich: USA 895 Milliarden, Nato-EU 352 Milliarden im letzten Jahr), kehrte rasch Ruhe ein. Nicht mal die zwei Teetassen, die Xi Jinping vor sich stehen hatte (alle anderen Volksvertreter bekamen nur eine), wurden einer kritischen Analyse unterzogen.

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So nimmt es nicht wunder, dass der Staatsgründer Mao Zedong – sonst Hassobjekt Nr. 1 beim antikommunistischen China-Bashing – keine geifernde Zeile wert war. Für die Verbreitung eines Buches, das Mao zum Gegenstand hat, denkbar schlechte Zeiten. Denn selbst negative Kritik, so will es die Dialektik, ist Werbung und nützt dem Absatz eines Druckwerks. Wenn man ein Buch unterdrücken will, muss man es totschweigen. Die Ignoranz der Medien ist in der Informationsgesellschaft eine der schärfsten Waffen.

Nichtsdestotrotz hat sich Wolfram Adolphi die Frage gestellt, wie Mao in deutsche Köpfe kam: bevor dieser 1949 die Volksrepublik China ausrief, der erste Mann im Staate wurde, man sein Porträt über dem Tor zur Verbotenen Stadt in Beijing installierte und Studenten bei Demonstrationen in Westeuropa rote Büchlein mit seinen Zitaten über ihren Köpfen schwenkten. Auf welche Weise kam also Maos Name nach Europa, wer brachte Kunde von ihm aus dem Reich der Mitte ins Deutsche Reich und mit welchen Intentionen?

Der studierte und habilitierte Außenpolitiker Adolphi, Jahrgang 1951, hatte offenbar nach seinem ziemlich bewegten Berufsleben freie Kapazitäten, um nach Antworten darauf in Presse- und anderen Archiven zu suchen. Denn akribische Forschungen waren erforderlich; es mussten unzählige vergilbte Zeitungsseiten umgeblättert werden, denn in der Digitalwüste Deutschland sind keineswegs historische Tageszeitungen elektronisch archiviert, um auf Tastendruck konkrete Begriffe zu finden. Ausgenommen vielleicht das »Neue Deutschland«, wo alle Ausgaben vom ersten Tage bis zum 2. Oktober 1990 digitalisiert sind. (Das »nd«-Archiv ist eine vorzügliche Nachrichtenquelle, die man für nur fünf Euro im Monat nutzen kann. Wer sich mit DDR-Geschichte beschäftigt, weiß, was er daran hat.)

Also Adolphi stöberte in alten Zeitungen, und er tat dies systematisch und mit Akribie, denn er ist Akademiker. Und notierte alles Wichtige, wohl wissend, dass mit einer Buchveröffentlichung kaum ein Platz in den Bestsellerlisten zu erobern ist. So etwas ist keine Lektüre für ein Massenpublikum. Warum sollten sich viele Menschen dafür interessieren, was Journalisten vor 100 Jahren über Mao berichteten und wie sie dies taten? Aber, und das wird wohl die Überlegung gewesen sein, einige wohl doch, zumal man daraus mindestens zwei Schlüsse ziehen kann: wie und wann etwa bestimmte Narrative begründet wurden (Massenmörder Mao, kommunistischer Blutsauger, Stalins Bruder im Geiste) – und warum sie in der Gegenwart absichtsvoll bedient, das heißt instrumentalisiert werden. Nämlich: Mit einem Verbrecher und Dämon als Feindbild lässt sich leicht in die Schlacht ziehen gegen jenen Staat, den dieser begründete.

Adolphi fand in den frühen Nachrichten der christlich-abendländischen Presse über China und Mao eine fatale Kontinuität begründet. So las er in der »Sächsischen Volkszeitung« vom 8. Juli 1931 über »ein von Revolutionsangst getragenes Bild des ›Kommunismus in China‹«. Durch diesen Text über den »labyrinthisch irren Lauf des chinesischen Bürgerkrieges« geisterte auch Maos Name. Er und seinesgleichen nutzten »das Elend der chinesischen Volksmassen in Dorf und Stadt zu ihren politischen Zwecken« aus, hieß es.

Die Frage nach den Ursachen des Elends wurde nicht gestellt, wohl aber behauptet, dass viele Menschen erschlagen oder gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen. »Wo die ›Roten‹ die Macht ergreifen, setzten sie einen ›Ausschuss für Ausrottung der Reaktionäre‹ ein, dessen Aufgabe darin bestehe, Landeigentümer, Kaufleute, Regierungsbeamte usw. zu bestrafen oder zu vernichten.« Das Privateigentum von Gutsbesitzern, Kaufleuten usw. werde beschlagnahmt und »die Arbeiter werden veranlaßt, Erhöhung der Löhne, Verringerung der Arbeitszeit usw. zu verlangen.« Hört, hört!

Die Nazi-Presse setzte, wofür Adolphi ebenfalls Belege liefert, die antikommunistische China-Sicht fort: »ein Gebräu aus Falschmeldungen, Teilwahrheiten und Offenbarung der faschistischen Herrschafts- und Vernichtungspläne«. In der Ausgabe des »Hauptorgans der NSDAP Gau Baden Baden« vom 23. Dezember 1936 beispielsweise warnte man vor dem »roten Schatten Moskaus« (der natürlich Ursprung allen Übels in der Welt war und ist), der sich »wieder einmal über dem Horizont Chinas erhoben« habe. »Drahtzieher aller Aufstände und Revolutionen in China, die im Interesse Moskaus liegen«, sei der »berüchtigte rote General Mao-tse-tung«, »Chef der chinesischen Kommunisten«, »Vertrauter, fast Freund Stalins«, »des Russischen mächtig«, »mit der Komintern in ständiger Verbindung« stehend, ein »in Moskau an der von Radek gegründeten kommunistischen Propagandauniversität ausgebildeter« Terrorist.

Alles Unsinn. Moskau besuchte Mao erstmals 1949, und er sprach weder Russisch, noch war er Stalins Freund.

Wolfram Adolphi zeigt sich in seinen Analysen als exzellenter Kenner der Materie: Er weiß um die historischen Zusammenhänge und vermag auch eine Schneise durch den sprachlichen Dschungel zu schlagen (die unterschiedlichen Schreibweisen chinesischer Namen in den Zeitungen und Zeitschriften sind ein Problem, weil jeder Journalist augenscheinlich nur seiner eigenen Phonetik folgte). Zugegeben, mitunter nervt die Vielzahl der in Klammern beigefügten offiziellen Transkriptionen, und die Auslassungen, ebenfalls mit eckigen Klammern und drei Punkten markiert, hemmen den Lesefluss. Aber was will man machen: Der Autor vermag seine wissenschaftliche Herkunft nicht zu leugnen. Und das ist nun wirklich lediglich eine Fußnote zu dieser bemerkenswerten Arbeit, deren Wert unbestritten ist und darum Aufmerksamkeit wie Anerkennung verdient.

Wolfram Adolphi: Wie Mao in deutsche Köpfe kam. Eine Presseschau 1927–1949.
Verlag am Park in der Edition Ost, 170 S., br., 18 €.

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