Film »Mond«: In die Fresse

Kurdwin Ayubs Film »Mond« zeigt Frauen in Gefangenschaft – und stellt Florentina Holzinger als eindrucksvolle Schauspielerin im Kino vor

Ein rosa Gefängnis bleibt trotzdem ein Gefängnis.
Ein rosa Gefängnis bleibt trotzdem ein Gefängnis.

Ein bisschen albern wirkt es natürlich schon, zumindest für Uneingeweihte, wenn Kampfsportler von »Entspannung«, »Meditation« oder sogar von »Philosophie« in Verbindung mit ihren gewaltverliebten Leibesübungen schwärmen. Davon ist immerhin nicht die Rede, kommt man auf Mixed Martial Arts zu sprechen. Dabei handelt es sich um eine erstaunlich populäre Art der »Kampfkunst« mit großem Schauwert, die sich durch den überaus hohen Grad an Brutalität von anderen Kampftechniken unterscheidet. Tritte und Schläge werden auch dann nicht eingestellt, wenn der Gegner bereits am Boden liegt.

Mit dem Finale eines solchen Mixed-Martial-Arts-Kampfes beginnt Kurdwin Ayubs neuer Film »Mond«. Wir sehen also nur das heftige Ende, die durchgeschwitzten Körper, Blut und Erschöpfung. Es war eine Niederlage für Sarah, die Protagonistin dieses abgründigen Films. Bald sehen wir sie wieder, als Sporttrainerin im Konflikt mit ihrer Schülerin, kurz darauf im nicht minder konfliktuösen privaten Umfeld.

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Unvermittelt erhält sie das Angebot, in Jordanien drei Teenagerinnen aus reicher Familie in Mixed Martial Arts zu unterrichten. Das klingt nach Abenteuerurlaub und nach einem vorübergehenden Ausweg aus dem unbestimmten Arbeitsleben. Aber die Gewalt, wie sie uns in oberflächlicher Weise in der ersten Szene begegnet, zieht sich in verschiedenen Spielarten durch den ganzen Film.

Gespielt wird Sarah von Florentina Holzinger, derzeit als Shooting Star des Theaterbetriebs gefeiert. Holzinger arbeitet als Regisseurin und Choreografin. Mit ihren Arbeiten hat sie sich ein begeistertes Publikum verschafft. Deren Zutaten sind eine rein weibliche Besetzung, nackte Körper, motorisierte Fahrzeuge und eine feministische Botschaft. Holzinger tritt dabei auch selbst als Performerin auf. Aber so wie in »Mond« war sie sicher noch nicht zu sehen.

Holzinger erweist sich als ungeheuer differenzierte Darstellerin, der jegliches Gekünstel fremd scheint. Durch ihr präzises Spiel wird sie zu einer tragenden Kraft für einen Film, der sich von einem Zuviel an Handlung und nur gutgemeinten Erklärungsabsichten freizumachen versteht und stattdessen auf große Bilder und die großen Fragen dahinter setzt.

Sarah wird in »Mond« in einem luxuriösen Hotel in Jordanien untergebracht. An alles scheint gedacht. Ein Fahrer holt sie morgens ab und bringt sie stumm zu einem weit entfernten, palastgleichen Anwesen. Abdul (Omar AlMajali) nimmt sie in Empfang, er ist der ältere Bruder der drei jungen Frauen Nour (Andria Tayeh), Fatima (Celina Sarhan) und Shaima (Nagham Abu Baker). Wie die Hausangestellten auch, entpuppt er sich bald als Wächter über seine Schwestern. Der Ort, an dem es an nichts zu mangeln scheint, verfügt nicht über Internet. Die jungen Frauen sind abgeschirmt von der Außenwelt. Sarah muss sich vertraglich verpflichten, auf Handyaufnahmen zu verzichten.

Das Kampftraining absolvieren sie eher halbherzig. Sarah fühlt sich sichtlich deplatziert. Was tut sie hier als scheinbar unerwünschte Trainerin? In der Fremde ist auch sie wie abgeschottet. Die Abende verbringt sie an der Hotelbar. Die Unfreiheit ergreift auch sie.

Nach und nach zeigt sich, wie schwer die Ketten der drei Schwestern wiegen.

Nach und nach zeigt sich, wie schwer die Ketten der drei Schwestern wiegen, wie weit die Unterdrückung reicht, der sie ausgesetzt sind. Sarah begreift, dass sie – als professionelle Kämpferin – zur Projektionsfläche für die Fluchtfantasien der anderen geworden ist. Das Porträt zweier gegensätzlicher Welten in Momentaufnahmen gerät zum Psychothriller.

Wie in der Kampfszene, die den Film eröffnet, stellt sich die Frage, in welcher Weise Stärke sich überhaupt ausdrückt. Ist stark, wer gewinnt? Oder doch diejenige, die, schon am Boden liegend, Schlag um Schlag einzustecken fähig ist? Ayub zeigt uns die Unfreiheit von Sarah ebenso wie die der jordanischen Frauen. Die eine wie die anderen haben eine Niederlage zu erleiden. Ohne Didaktik und vereinfachende Gleichsetzungen werden doch Parallelen gezeigt. Nur mit einem Happy End darf man nicht rechnen.

Weibliche Emanzipation, Identitätskrisen und Kulturkämpfe sind die großen Themen, die Ayub bearbeitet. »Mond« ist als zweiter Teil einer Trilogie erschienen, die sich genau daran versucht. Mit »Weiße Witwe« hat sie kürzlich auch ihr Theaterdebüt an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gegeben. Die Inszenierung war eine sympathische Unternehmung zwischen feministischer Kampfansage und (Post-)Kolonialismuskritik. Was ihr im Film bereits glückt – spannungsreiches und vielschichtiges Erzählen, eine gekonnte Dramaturgie der Bilder –, wird sie sich für das Theater erst noch aneignen müssen. Auf den letzten Teil der Trilogie wie auf weitere Versuche auf der Bühne darf man allerdings gespannt sein.

»Mond«: Österreich 2024. Regie/Buch: Kurdwin Ayub. Mit Florentina Holzinger, Andria Tayeh, Celina Antwan und Nagham Abu Baker. 92 Min. Start: 27.3.

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