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Krise der Bahn: Stau auf der Schiene

Initiative Bürgerbahn kritisiert strategische Ausrichtung der DB auf Großprojekte

Bei der Generalsanierung der Riedbahn
Bei der Generalsanierung der Riedbahn

Wenn der Vorstand der Deutschen Bahn (DB) an diesem Donnerstag vor die Kameras tritt, um die Bilanz des abgelaufenen Geschäftsjahres vorzustellen, werden wieder rote Zahlen dominieren. Bereits für das erste Halbjahr hatte der Berliner Bahntower ein Minus von drei Prozent beim Umsatz, von sechs Prozent bei den Reisenden und von zehn Prozent bei der transportierten Fracht vermelden müssen. »Das Desaster könnte kaum größer sein«, sagte der Gründer der Bürgerinitiative Prellbock Altona, Michael Jung, am Mittwoch bei der Vorstellung des »Alternativen Geschäftsberichts zur Deutschen Bahn AG 2024«. Die Zahlen für den reinen Bahnbereich seien sogar noch schlechter, da in der Konzernbilanz die mittlerweile verkaufte Logistiksparte Schenker mitaufgeführt worden sei.

Der seit beinahe 20 Jahren veröffentlichte Alternativbericht bewertet die aktuelle Lage bei der DB und macht sich für eine bürgernahe Flächenbahn stark. In diesem Jahr steht der von 19 Autoren verfasste und von der Initiative Bürgerbahn herausgegebene 159-seitige Bericht unter dem Motto »Den Verfall stoppen – gegen eine Zerschlagung – für eine Bahnreform 2.0«. Zumindest die zweite Forderung scheint in der Politik Gehör zu finden: Bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD hat sich die zuständige Verkehrsarbeitsgruppe nicht dafür ausgeprochen, die Bahn- und die Netzsparte der DB voneinander zu trennen, wie es insbesondere konservative Politiker seit Jahren fordern. Auch das Koalitionsziel, mehr Fachkompetenz in Vorstand und Aufsichtsrat zu holen, wird auf nd-Nachfrage begrüßt: Viele Jahre lang seien Sanierer aus anderen Bereichen wie der Luftfahrt- und Autoindustrie in den Vorstand geholt worden, kritisiert Bürgerbahn-Sprecher Holger Monheim. »Wir brauchen Leute, die kreative Konzepte für eine Flächenbahn entwerfen.«

»Im Bahntower wird nicht strategisch nachgedacht.«

Holger Monheim Sprecher von Bürgerbahn

Genau das hat sich Bürgerbahn, die sich als »Denkfabrik für eine starke Schiene« versteht, auf die Fahnen geschrieben. Monheim bedauert, dass häufig über Staus auf den Straßen berichtet werde, nicht aber über den »Stau auf der Schiene«. Das drastisch reduzierte Bahnnetz führe zu Kapazitätsproblemen in Knoten und Bahnhöfen. Teilweise eingleisige Hauptstrecken sorgten für Engpässe. Der Verkehrswissenschaftler verweist zudem auf die Schweiz, wo es pro Kilometer Bahnstrecke viermal so viele Weichen gebe. So erklärt sich auch die weiter gesunkene Pünktlichkeit bei der DB.

Statt bei den Sanierungen die vielen Engpässe im Netz zu beseitigen, setzt der DB-Vorstand auf Großprojekte, Kritik übt Bürgerbahn daher am Konzept der Generalsanierungen. Die Ende 2024 abgeschlossene Modernisierung der Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim werde als Erfolg und Türöffner verkauft, aber es werde verschwiegen, dass es hier »bereits wieder jede Menge Probleme gibt«, erläutert Monheim. Falsch findet er auch, dass solche Sanierungen wie als nächstes ab August auf der Strecke Hamburg-Berlin zu monatelangen Totalsperrungen führe, wodurch Fahrgäste auf die Straße umgeleitet werden. Besser wären Sanierungen bei rollendem Verkehr.

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Bei der Verkehrswende darf es laut den DB-Kritikern nicht nur um Hauptachsen, die Metropolen verbinden, und die Hochgeschwindigkeitsstrecken für ICE gehen. Als schweren Fehler bezeichnet Bürgerbahn die Abschaffung des Interregio im Jahr 2006. Daher gebe es eine große Lücke bei mittleren Distanzen im Fernverkehr, alles werde auf den Regionalverkehr verlegt. »Im Bahntower wird nicht strategisch nachgedacht«, meint Experte Monheim dazu. Eine Wiedereinführung des Interregio schlägt der Alternative Geschäftsbericht daher genauso vor wie den Verzicht auf einseitige Großprojekte wie Stuttgart 21. Vor allem Tunnelprojekte brächten extrem lange Bauzeiten sowie explodierende Kosten und schüfen eher Probleme für einen reibungslosen Bahnverkehr. In München wird gerade für viel Geld die tiefste Bahnstrecke Deutschlands gebaut, obwohl Experten den Ausbau der Ringbahn befürwortet hatten.

Auch die Rechtsform der AG stößt bei Bürgerbahn auf Widerspruch. Im vergangenen Jahr habe die DB eine Eigenkapitalerhöhung des Bundes von gut drei Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen erhalten. Ökonom Michael Jung weist darauf hin, dass man dafür hohe Zinsen abführen müsse, die letztlich über um 20 Prozent erhöhte Trassenpreise hereingeholt werden, was nur dem Bahnverkehr schaden werde. Es sei eben falsch, die Deutsche Bahn als Kapitalgesellschaft zu führen, statt dass sie dem Gemeinwohl verpflichtet werde.

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