Heimstaden: Die Prozesswelle rollt an

Wegen befristeter Mietverträge droht Hunderten Berliner Mietern die Räumung

Befristete Mietverträge sorgen für große Unsicherheit.
Befristete Mietverträge sorgen für große Unsicherheit.

Anwält*innen sind vor Gericht nichts Ungewöhnliches. Am Donnerstag fand vor dem Amtsgericht Neukölln ein Räumungsprozess von Heimstaden gegen eine Student*innen-WG statt. Neben fast 30 Besucher*innen waren dort gleich vier bekannte Mietrechtsanwält*innen im Publikum. Zwar gibt es in Berlin jedes Jahr mehr als 1000 solcher Gerichtsverfahren, aber der hier verhandelte Fall ist der erste von wahrscheinlich Hunderten, die der Immobilienriese Heimstaden gegen Mieter*innen führen wird.

Die drei Student*innen, die aus ihrer Wohnung geschmissen werden sollen, hatten 2019 mit Akelius einen auf fünf Jahre befristeten Mietvertrag geschlossen. Damit sind sie nicht alleine. »Wir haben in den vergangenen Monaten festgestellt, dass es sich um Hunderte von befristeten Mietverträgen handelt, die alle mit gleichlautenden Formulierungen begründet wurden«, berichtet Franziska Schulte, Pressesprecherin des Berliner Mietervereins (BMV), in einem Pressegespräch. Die Begründung für die Befristung: geplante Instandsetzungen und Modernisierungen.

Mit der Übernahme durch Heimstaden gingen die Akelius-Wohungen 2022 in den Bestand von Heimstaden über. Und der neue Eigentümer macht Druck auf die Mieter*innen, ihre Wohnungen zu verlassen. Franziska Schulte sagt, der BMV behandele zahlreiche Fälle. Teilweise seien Drohungen ausgesprochen worden, die Anwälte*innen als haltlos bezeichneten.

Auch die drei Student*innen, deren Fall in Neukölln verhandelt wird, hatten die Aufforderung erhalten, ihre Wohnung zu verlassen. Am Anfang seien sie eigentlich dazu bereit gewesen, sagt eine der drei, die nicht mit Namen in der Zeitung stehen will, zu »nd«. Nachdem sie aber beim Bauamt recherchiert und festgestellt hätten, dass kein Bauantrag gestellt wurde, hätten sie sich entschlossen, in ihrer Wohnung zu bleiben. Mittlerweile wurde zwar ein entsprechender Bauantrag gestellt, aber in wesentlich geringerem Umfang als ursprünglich beabsichtigt. Unter anderem das Bad und die Küche sollen saniert werden. Dennoch seien das »mehr als nur Pinselarbeiten«, wie der Richter in der Verhandlung sagt.

»Die Befristungen waren dazu da, um den Mietendeckel zu umgehen.«

Carola Handwerg Rechtsanwältin

Der erste Verhandlungstag endet ohne Ergebnis, im Mai soll es weitergehen. Aber es wird deutlich, dass es Heimstaden mittelfristig vor allem um eine Erhöhung der Miete geht. Der Rechtsanwalt des Unternehmens sagt, man könne sich unter Umständen vorstellen, den Vertrag um »drei oder vier Jahre« zu verlängern, bis die Mieter*innen ihr Studium abgeschlossen hätten. Man wolle sich aber nicht bis ans Ende aller Tage einen Mietvertrag zu diesen Konditionen aufdrängen lassen.

Der BMV hält die Befristungen für rechtswidrig. Mietrechtsanwältin Carola Handwerg führt aus: Anders als in anderen Ländern seien in Deutschland Mietverträge in der Regel unbefristet, nur in Ausnahmefällen sei eine Befristung möglich. Handwerg hat Dutzende der fraglichen Mietverträge gesichtet und kommt zum Schluss, dass die angeblich beabsichtigten Baumaßnahmen auch durchgeführt werden könnten, ohne dass die betroffenen Mieter*innen ausziehen müssen. Stattdessen könnte etwa eine Modernisierungsvereinbarung getroffen werden.

Es gibt aber noch einen anderen Verdacht. Als die Verträge abgeschlossen wurden, war klar, dass das Land Berlin den Mietendeckel verabschieden würde. »In der Zeit hätte man die Mieten nicht endlos erhöhen können«, sagt Rechtsanwältin Handwerg. Die Befristungen, mit gleichlautenden Textbausteinen begründet, seien da, um den Mietendeckel zu umgehen.

Tatsächlich berichtet der BMV, dass die beabsichtigten Baumaßnahmen nicht in allen bekannten Fällen vorgenommen worden seien. In einigen Fällen würden Räumungsprozesse angestrengt. Teilweise wurden aber auch Mietverträge entfristet, teilweise neue, teure Mietverträge angeboten, die eine Indexklausel beinhalten, wonach die Miete entsprechend der Inflationsrate noch weiter steigen soll.

Der Druck auf die Mieter*innen ist enorm. Charlotte Ruhme, die eigentlich anders heißt, ist der Aufforderung gefolgt, ihre Wohnung zu räumen. Sie hat eine andere Wohnung gefunden, zu schlechteren Konditionen zwar, aber unbefristet. »Ich habe das psychisch und gesundheitlich nicht mehr ausgehalten«, erklärt sie. Auch ein weiterer betroffener Mieter, Janez Kovacic, berichtet von dem Stress, den die Androhung, die Wohnung zu verlieren, auslöst. »Wenn ich schlafe und jemand ist im Treppenhaus, werde ich sofort wach«, berichtet er. Kovacic hatte eigentlich eine Entfristung des Mietvertrags beantragt, darauf aber keine Antwort bekommen. Jetzt droht auch ihm eine Räumungsklage.

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Angesichts der zahlreichen Verfahren, die auf Heimstaden-Mieter*innen zurollen, hat Anwältin Handwerg eine eigene Klage vorbereitet. »Es gibt keine juristische Grundlage für diese Befristungen«, erklärt sie. »Um das klarzustellen, haben wir für einen Fall eine Feststellungsklage erhoben.« Die Initiative Stop Heimstaden fordert eine »Generalentfristung« der jeweiligen Verträge. »Wir erwarten, dass Heimstaden alle befristeten Verträge sofort und bedingungslos entfristet«, so eine Sprecherin zu »nd«.

Heimstaden erklärt auf nd-Anfrage, man habe die Verträge von Akelius »geerbt« und man sei zu dem Schluss gekommen, dass Befristung und Befristungsgrund rechtmäßig seien, wenn es zur Durchführung der vertraglich festgehaltenen Sanierungsmaßnahmen kommt. »Wenn wir zu dem Entschluss kommen, dass eine Sanierung nicht erfolgt, dann entfristen wir auch Verträge«, so ein Sprecher des Unternehmens. In Fällen, in denen eine Sanierung unausweichlich sei, bestehe man aber auf einer Befristung. »Dann gibt es aber noch immer die Möglichkeit, dass der Mieter/die Mieterin in eine andere Wohnung von Heimstaden zieht.« Der Sprecher erklärt weiter, dass es bei Heimstaden üblich sei, Mietverträge mit »Index-Wertsicherungsklausel« abzuschließen. Zusammen mit einer »moderaten« Mieterhöhung seien so auch in den Fällen, in denen man Mieter*innen freiwillig einen Verzicht auf den Befristungsgrund vorgeschlagen habe, die Lösungsvorschläge gestaltet.

Der BMV und Stop Heimstaden sehen den Senat in der Pflicht. Dieser müsse Druck machen, »damit die Befristungen in den bestehenden Mietverträgen aufgehoben werden und Mieter*innen endlich wieder sicher wohnen können«. Die Senatsverwaltung für Wohnen sagt auf Anfrage, dass das Thema der befristeten Mietverträge dem Senat bekannt sei. Allerdings falle es ins Zivilrecht. »Die Gerichte haben dann im Streit zwischen den Mietvertragsparteien auch in jedem Einzelfall darüber zu entscheiden, ob die Befristung nur vorgeschoben ist, um den Mieterschutz aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch auszuhebeln.« Diese Entscheidungen gelte es abzuwarten.

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