Reporter ohne Grenzen: Mehr Angriffe auf Journalisten

Laut einem Bericht hat sich die Zahl der Übergriffe auf Medienschaffende 2024 deutlich erhöht

Kundgebung unter dem Motto «Solidarität mit Palästina» am Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel am Südstern in Berlin-Kreuzberg.
Kundgebung unter dem Motto «Solidarität mit Palästina» am Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel am Südstern in Berlin-Kreuzberg.

2024 erlebten Medienschaffende in Deutschland so viel Gewalt wie in kaum einem anderen Jahr seit dem Beginn der Erhebungen von Reporter ohne Grenzen (RSF) im Jahr 2015. Insgesamt stellte die NGO im vergangenen Jahr 75 körperliche Angriffe auf Journalist*innen fest und 14 weitere Angriffe auf Redaktionen und Wohngebäude. 2023 waren es noch 41. Nur 2022 lag die Zahl mit insgesamt 103 Übergriffen höher.

Größte Gefahr geht von Pro-Palästina-Demos aus

Laut dem am Dienstag veröffentlichten Bericht zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland waren Pro-Palästina-Demonstrationen der gefährlichste Ort für Medienschaffende: 38 Angriffe fanden dort statt, die meisten davon in Berlin. Besonders häufig betroffen waren »Bild«-Reporter Iman Sefati und der Foto- und Videojournalist Yalcin Askin, die häufig gemeinsam berichten. 29-mal wurden sie geschlagen, getreten, bespuckt oder geschubst – das entspricht mehr als jedem dritten in ganz Deutschland gezählten Angriff auf Medienschaffende.

Besonders gewalttätig war ein Übergriff im Rahmen einer Pro-Palästina-Demonstration in Leipzig: Ein Journalist des Privatsenders »Sachsen Fernsehen« wurde regelrecht krankenhausreif geschlagen, selbst als er auf dem Boden lag, wurde noch auf ihn eingetreten.

Dass sich so viel Gewalt gegen die »Bild« richtet, ist wohl kein Zufall: Sefati bezeichnet die Demonstrierenden in seinen Beiträgen meist als »Israel-Hasser« oder »Juden-Hasser«. Bereits im Dezember 2023 erntete die verzerrte Berichterstattung des Blattes über den Krieg in Gaza vom Medienkritik-Magazin »Übermedien« das Label »Anti-Journalismus«.

Selbstzensur aus Angst vor Antisemitismusvorwürfen

Doch RSF sieht die Pressefreiheit im Zusammenhang mit der Nahost-Berichterstattung nicht nur durch Gewalt auf der Straße bedroht. Auch von den Redaktionen selbst gehe Gefahr aus.

Aus mehr als 60 Interviews mit freien und festangestellten Redakteur*innen und Korrespondent*innen zieht die Organisation den Schluss, dass zumindest in den Monaten nach Kriegsbeginn immer wieder Artikelvorschläge grundsätzlich abgelehnt worden seien, in denen die israelische Kriegsführung problematisiert wurde. Das israelische Militär hingegen werde als Quelle nur selten infrage gestellt, während nicht nur Angaben palästinensischer Quellen, sondern auch solche von Menschenrechtsorganisationen oder den Vereinten Nationen grundsätzlich hinterfragt würden.

Die Angst, sich einen Antisemitismusvorwurf einzuhandeln, führte RSF zufolge in einzelnen Redaktionen zu einer Verengung des Meinungskorridors: betreffende Maßnahmen reichten von strengen Sprachregelungen »bis hin zu einer erzwungenen Selbstzensur«, weil manche »Fakten und Perspektiven systematisch aus der Berichterstattung ausgeschlossen wurden«.

»Viele Bürgerinnen und Bürger betrachten Medienschaffende mittlerweile als Feinde.«

Katharina Viktoria Weiß
Referentin bei Reporter ohne Grenzen

Die zweithäufigsten Angriffe auf Medienschaffende kamen 2024 laut RSF aus dem rechten Spektrum. 21 solcher gewalttätigen Übergriffe registrierte die Organisation im Laufe des vergangenen Jahres; darunter zwölf Attacken bei Naziaufmärschen, rechten Demonstrationen oder AfD-Veranstaltungen. Sechsmal wurde allein die freie Journalistin mit dem Pseudonym Kili Weber angegriffen, die seit Jahren über rechtsradikale Veranstaltungen in Sachsen berichtet.

Kommende Regierung soll Journalismus gezielter fördern

»Viele Bürgerinnen und Bürger betrachten Medienschaffende mittlerweile als Feinde. Es ist die Aufgabe von Medienhäusern und Politik, das Vertrauen in die ›vierte Gewalt‹ wiederherzustellen«, sagt Katharina Viktoria Weiß, RSF-Referentin für Deutschland und Ko-Autorin des Reports. Die neue Regierung müsse wichtige medienpolitische Vorhaben so schnell wie möglich umsetzen, um Journalistinnen und Journalisten besser vor Angriffen zu schützen.

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RSF fordert unter anderem ein Gesetz gegen digitale Gewalt, eine plattformunabhängige Journalismusförderung sowie die steuerliche Förderung von gemeinnützigem Journalismus.

Insgesamt sammelte RSF im Jahr 2024 123 Hinweise auf Gewalt gegen Medienschaffende, von denen die Organisation jedoch nicht alle verifizieren konnte. Nach eigenen Angaben versucht sie »mit aufwendiger Recherche und Verifizierung einen Überblick herzustellen«. Als Attacken zählt RSF neben körperlichen Angriffen auf Journalist*innen und ihre Ausrüstung auch Sachbeschädigung an Redaktionsgebäuden; neben den Betroffenen werden dazu auch mögliche Zeug*innen und die Polizei zu den Vorfällen befragt.

Auf der, ebenfalls von RSF herausgegebenen, Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland aktuell auf Platz zehn von 180 erfassten Staaten. Anfang Mai erscheint die Rangliste für das Jahr 2025.

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