Der Blick über die Bratwurstgrenze

Unterwegs mit Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linkspartei in Thüringen

  • Anke Engelmann, Eisenach
  • Lesedauer: 3 Min.
Bodo Ramelow auf Dialogtour. Ein Knochenjob, immer in Eile, Leben aus dem Koffer: 30 Städte und 80 Gesprächstermine in 15 Tagen. ND begleitete den Linkspolitiker bei Terminen in Eisenach.
Bodo Ramelow im Gespräch mit Michael und Claudia Richter Foto. Engelmann
Bodo Ramelow im Gespräch mit Michael und Claudia Richter Foto. Engelmann

Der Tag beginnt im Bürgersolarpark Eisenach, ein grauer, kalter Morgen. Der Mann, den wir hier treffen, auf der ersten Station der Ramelow-Dialogtour in Eisenach, gehört einer anderen als der Linkspartei an und will nicht genannt werden. Mit Ramelow verbindet ihn das Engagement für eine nachhaltige Energiepolitik.

Schnell sind die beiden in ein Fachgespräch vertieft, vergessen die herbstliche Kälte. 34 Solarsegel stehen auf dem Gelände des früheren städtischen Bauhofs – bezahlt von Bürgern, auch aus Eisenach. Die Eigentümer erhalten die Erlöse aus der Einspeisung des Stroms in das Netz. Thüringen ist zwar ein wichtiger Photovoltaik-Produzent, doch in punkto Energiegewinnung aus Solarenergie ein Entwicklungsland, sagt unser Gesprächspartner. Der Bürgersolarpark in Eisenach jedenfalls rechne sich für alle Beteiligten. Energiepolitik ist ein Schlüsselthema des Regierungsprogramms der Linkspartei. »Wir brauchen eine Energieagentur, die alles bündelt«, sagt Ramelow. »Und Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe«, ergänzt Katja Wolf von der Linksfraktion im Landtag, die auch im Eisenacher Stadtrat sitzt.

Die Zeit ist knapp, der nächste Termin nah: Marktplatz, 9 Uhr. Jemand hat Bodo Ramelow einen Becher Kaffee in die Hand gedrückt. Er kommt kaum zum Trinken. Journalisten, Fotos vorm roten Bus, Menschen, die Kritisches loswerden, andere, die ihrem Lieblingskandidaten danken wollen. Einer ist Michael Richter. Der ALG-II-Empfänger schimpft über das marode Bildungssystem. »Ich will das meinen zwei Kindern nicht antun«, sagt er, und dass er der Linkspartei seine Hilfe anbiete. »Wir können jeden gebrauchen«, bedankt sich Ramelow.

Der Politiker geht auf alle ein, auch auf kontroverse Positionen. Bildung, Steuern, Verwaltungsreform, Finanzkrise und Risikoabschirmungen auf lokaler Ebene. Ein alter Mann fragt nach einer möglichen Koalition mit den Sozialdemokraten. »Die SPD muss sagen, was sie will. Einen Politikwechsel wird es nur mit uns geben«, erwidert Ramelow. Mit Uwe Schenke von der Stadtratsfraktion der Linkspartei in Eisenach diskutiert Ramelow über den Religionsunterricht als Pflichtfach. »Ich möchte keine areligiöse Partei«, sagt Ramelow, der selbst praktizierender Christ ist. Im Hintergrund deutet schon wieder jemand auf die Uhr.

Abfahrt ins Klinikum St. Georg, zum Treffen mit Geschäftsführer Hans-Peter Jochum und Aufsichtsratsmitglied Ursel Neuhäuser von der Linkspartei. Es geht um »ein Burg-Katz- und Burg-Maus-Spiel« wie Ramelow später zusammenfasst: Konkurrenz zwischen dem Eisenacher Klinikum und dem an der Grenze zu Hessen gelegenem Klinikum Bad Salzungen, das dem St. Georg die Geschäftsfelder streitig macht. Kreis und Stadt als Gesellschafter der Einrichtungen kommen nicht klar miteinander, wird im Gespräch deutlich. Kleinstaaterei, der Blick über den Bratwurstrand tut Not, schimpft Ramelow und plädiert für ein Schlichtungsverfahren. Man müsse einen Deal finden, der allen Beteiligten Nutzen bringt.

Im Café Balance am Fuß der Wartburg warten schon ehemalige Mitarbeiter des früheren Landestheaters. Nach einer Fusion genannten Großabwicklung wurde das Landesorchester auf eine Mini-Version geschrumpft und ein Großteil der Theaterleute entlassen. Nur schwer gelingt es, das Gespräch von den persönlichen Schicksalen zur Kulturpolitik des Landes und der Stadt zu bringen. Immer wieder erklärt Ramelow das Procedere beim Arbeitsgericht. Doch die Musiker sollen über ihren Tellerrand schauen. Die Stadt habe ihr Theater nicht verteidigt. Warum? Zu wenig Druck von der Straße, sagt er. »Wir müssen mit aller Kraft erhalten, was in Eisenach noch da ist«, beschwört auch Sabine Chmura, die 26 Jahre im Orchester spielte.

Die frühere Betriebsrätin Sophie Pompe stellt viele Fragen nach der Kulturpolitik der Linkspartei. Auch Volker Lindner will Ramelow auf den Zahn fühlen, der Sozialpädagoge hat sich extra frei genommen. Ein Politiker müsse über die Fähigkeit verfügen, mit sich selbst kritisch ins Gericht zu gehen, dabei auch professionelle Hilfe von neutralen Personen in Anspruch nehmen. »Diese Fähigkeit sehe ich bei Ramelow«, sagt Lindner. Sympathisch sei ihm zudem, dass Ramelow zu seiner christlichen Konfession stehe.

Der indes ist schon wieder unterwegs. Nächste Station: Bad Salzungen.

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