Standhalten im Bildwerk

Plastik von Horst Weiße in Dresden

  • Sebastian Hennig
  • Lesedauer: 5 Min.
Kopf mit Hand an der Stirn, Serpentinstein, 1988
Kopf mit Hand an der Stirn, Serpentinstein, 1988

Gelenke haben eine große Bedeutung in Horst Weißes plastischer Konzeption. Des Sinnenden spitzes Kinn ruht in der Höhlung der Hand, wie die Kugel in der Pfanne. Die Reihung der Fingerknöchel des Todes liegt wie ein Scharnier auf dem Körper des Mädchens. Das für den Bildhauer wichtige Motiv des Buches bleibt derart nicht länger Attribut, sondern erweitert die Körperlichkeit. Der Übergang vom Arm zur Hand ist um nichts bedeutender als der von der Hand zum Buch. Die Strahlungsmächte der Bildhauerkunst des zwanzigsten Jahrhunderts haben auch Weiße in ihren Bann gezogen.

Es sind vor allem die formalen Übersteigerungen eines Moore, Brancusi, Zadkine oder Gaudier-Brzeska die sich dem flüchtigen Blick aufdrängen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, das Horst Weiße in dieser Spannung gegenüber anderen Positionen zu einer ganz eigenen, einmaligen Ausdruckswelt vorgestoßen ist. Ernst Barlach wurde zu einem Leitstern von Horst Weiße. Mit ihm verbindet ihn die Deutlichkeit der Kunst im doppelten Wortsinne: Sie schillert nicht zwischen verschiedenen Erfahrungen. Sie ist deutlich dem Auge als Eines fassbar und hat zugleich eine klar meinende Bedeutung. Die Gesten mancher Figuren Barlachs dirigieren den Betrachter. Das rhetorische Pathos ist auch Weiße alles andere als fremd. Nur hat er es ganz in den Versen abgelegt, die er gelegentlich zu den Plastiken verfasste. Diese Scheidung bewahrt seinen Bildwerken ihre unteilbare Anschaulichkeit. Sie verweisen auf nichts außer sich. Durch sich allein geben sie zu denken.

Weiße wurde 1919 im Erzgebirge geboren und erlernte den Beruf des handwerklichen Schnitzers. Im Zweiten Weltkrieg, 1942, verliert er ein Bein. Später legt er die Meisterprüfung ab und gründet eine eigene Werkstatt. 1960 wechselt er die Provinz-Kulisse und zieht nach Bautzen. Als wäre die räumliche Trennung eine wichtige Vorbereitung, vollzieht sich nun die Ablösung vom Handwerk und die Zuwendung zur Kunst. Vorerst über Zirkel des künstlerischen Volksschaffens, bald als Kandidat des Künstlerverbandes. Als ihn 1976, zu Beginn seines öffentlichen Auftretens als Plastiker, die Enge, die er zurückgelassen glaubte, wieder einholt, bleibt er fest. Denn nun steht er auf dem Boden der Kunst. Nur deren Regeln lässt er gelten und wendet sie bis zuletzt auch streng gegen das eigene Werk. Die Diskussion um Aufstellung und Entfernung der überlebensgroßen Gruppe »Sitzendes altes Paar« führt weit über Bautzen hinaus. Erst ein Gutachten des Bildhauers Wieland Förster, ausgestattet mit der Autorität der Akademie der Künste, lässt die Unkenrufe verstummen.

Holz hat in seinem bildhauerischen Werk nie wieder eine Rolle gespielt. Seine Neigung galt dem Zöblitzer Serpentin mit seinen Adern und Einschlüssen. Die uralte und ewig-neue Ausprägung seiner Heimat in dem magmatischen Gestein mag ihn gefesselt haben. Die Gefährdung des Bildhauers durch den Steinstaub wird gesteigert durch die Asbesteinlagerungen, welche der Serpentin birgt. Dass er nicht ablassen konnte von dem Stein, trug gewiss zum Verlauf der Krankheit bei, der er 1993 schließlich erlag. Sein Material wurde ihm im Guten wie im Schlechten zum Schicksal.

Über die Gruppe »Das Mädchen und der Tod« (1988) ziehen sich die weißen Adern des Minerals, wie ein Spinnengewebe das runde Leben mit dem Verhängnis des hohläugigen Mannes verstrickend. Das mürbe Material und die offen gelassene Oberfläche der Sandsteinfigur lassen die »Sitzende Alte« durchzittert erscheinen von Todesangst wie Lebensgier. Die »Lesende Alte« (1981) wurde zu einem der am meisten besprochenen Werke der IX. Kunstausstellung der DDR. Die Marmorskulptur bedeutet den künstlerischen Durchbruch für einen bereits über 60-jährigen Bildhauer. Die Alte ist geduckt. Das Leben hat sie zusammengedrückt. Die Parallele von Handflächen und Buchrücken wirkt als eine mächtige Stütze. Was die Greisin beugt, das führt sie zugleich ihrem Ursprung zu. Das Buch birgt ihr überzeitliches Lebensgesetz. Wie es der vom Bildhauer geliebte Hölderlin in der Hymne »Der Rhein« ausdrückt: »Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. ... Denn wie du anfingst, wirst du bleiben, so viel auch wirket die Not und Zucht ...«

Auch bei der Bronze »Den Opfern des 13. Februar 1945« wirkt das mit der Rechten umklammerte Buch wie ein Fundament für den angstvoll in die Höhe starrenden Kopf, der von der Schulter noch überragt wird, während die Linke bewahrend auf die Buchseiten gelegt ist. Mit seiner unaufdringlichen Monumentalität ist es neben dem 8. Streichquartett von Schostakowitsch das überzeugendste Mahnmal für dieses ungeheure Ereignis.

Die großen Figuren »Später Wanderer« und »Vulkantänzer« weisen in eine Richtung, die weiterzugehen ihm versagt blieb. Der beschränkte Raum der Ausstellung erlaubte die Einbeziehung dieser Arbeiten nicht.

In einem Bildband von 1993 sind Fotografien der Plastiken Gedichte gegenübergestellt, die sich auf deren Ausdruck und Haltung beziehen. Das macht deutlich, wie entschieden dem Künstler an einer bestimmten Aussage gelegen war, wie er mehrdeutig-vage Eindrücke, selbst um den Preis der Über-Deutlichkeit ausschließen wollte. Im Hintergrund der Ausstellung hängen nun auch einige dieser »Poetischen Kommentare«. Die plastische Präsenz der Werke hat Kommentierung allerdings nicht nötig. Eine Darlegung der Entwicklung der figurativen Plastik im zwanzigsten Jahrhundert kann an diesem Werk nicht vorbeigehen.

Horst Weise (1919-1993): Plastik, Zeichnungen, Poetische Kommentare, Haus der Kirche/ Dreikönigskirche, Hauptstraße 23, Dresden, bis 26. April, Mo-Fr 9-18, Sa 10-18, So 10-16 Uhr

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