Stagnation löst den freien Fall ab

Leichter Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal sorgt für Verzückung und Warnrufe

Nach verbesserten Konjunkturdaten diskutieren Politiker und Ökonomen die Frage: Ist der Aufschwung da?

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat nach einjähriger Talfahrt im zweiten Quartal 2009 um 0,3 Prozent gegenüber den ersten drei Monaten zugenommen. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mitteilte, lag der Wert aller erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen preisbereinigt aber deutlich um 7,1 Prozent unter dem des gleichen Vorjahreszeitraumes. Kalenderbereinigt betrug der Rückgang wegen der unterschiedlichen Zahl von Arbeitstagen 5,9 Prozent.

Als Grund für den leichten Anstieg der wirtschaftlichen Gesamtleistung seit dem ersten Quartal führen die Statistiker »positive Impulse von den privaten und staatlichen Konsumausgaben und von den Bauinvestitionen« an. Außerdem nahmen die Importe nach Deutschland stärker ab als die Exporte hiesiger Unternehmen – der Saldo des Außenhandels fließt in die BIP-Statistik ein. Trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich die Gesamtzahl der Erwerbstätigen wegen der Kurzarbeiterregelung bisher kaum verändert. Sie fiel im Jahresvergleich um 0,1 Prozent oder 25 000 Personen auf 40,2 Millionen.

In der Bundesregierung sorgten die Daten teilweise für Verzückung. Nach Einschätzung von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) dürfte »der stärkste Einbruch der Wirtschaftsleistung hinter uns liegen«. Die Konjunkturprogramme der Bundesregierung zeigten Wirkung, so dass nun eine nachhaltige Erholung möglich sei. Allerdings gebe es »keinen Anlass zur Euphorie«.

Nach Auffassung von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier ist das Ende der Wirtschaftskrise noch nicht sicher. »Was geschehen muss, ist, die Krise in den Köpfen zu beseitigen«, sagte Steinmeier bei einer Wahlkampfveranstaltung in Niedersachsen. Es dürfe nicht sein, dass alle alten Fehler wie die Zahlung von Boni wieder einrissen. Die Rettungsmaßnahmen mit den immensen Kosten ließen sich nicht wiederholen.

Auch unter Ökonomen gab es divergierende Einschätzungen. Der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Christian Dreger, nannte die BIP-Zahlen »eine positive Überraschung«: »Es mehren sich die Anzeichen, dass die Krise vorbei ist.« Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, sagte: »Das Wachstum im Frühjahr wird keine Eintagsfliege bleiben.« Grund dafür sei die Erholung der Weltwirtschaft. Die Auftragseingänge der Industrie hätten bereits stark angezogen und der Export werde wieder zum Motor.

Laut Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung, ist es jedoch verfrüht, von einem Aufschwung zu sprechen. Es sei »gelungen, den freien Fall zu stoppen«, sagte Horn gegenüber ND. Dank der Wirtschaftspolitik befinde sich die Wirtschaft jetzt in einer Phase der Stagnation. Nun aber müssten die Geld- und die Finanzpolitik »ihren expansiven Kurs fortsetzen«. Denkbar sei ein drittes Konjunkturprogramm, mit dem langfristig ohnehin geplante Investitionen im Umwelt- und Bildungsbereich vorgezogen werden. Dies sei auch deshalb wichtig, weil Unternehmen in den nächsten Monaten verstärkt ihre Beschäftigtenzahl senken dürften, was den Konsum und die Konjunktur wieder belasten werde.

In der Eurozone gab es nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat von April bis Juni im Quartalsvergleich einen BIP-Rückgang um 0,1 Prozent und gegenüber dem Vorjahresquartal um 4,6 Prozent. »Die Lage ist viel besser, als wir es angenommen hatten«, sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Die Europäische Zentralbank rechnet indes nur mit einer langsamen Erholung. Die Konjunktur werde im zweiten Halbjahr in der gesamten Eurozone schwach bleiben.

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