Die Frage der Tribunale
Hans-Christian Schmids Kinofilm »Sturm« und die Wahrheit über den Jugoslawienkrieg
Was macht man mit einem Krieg, wenn er vorbei ist? Man versucht ihn zu vergessen, aber das gelingt nicht. Außen ist der Krieg beendet, innen aber bleibt er gegenwärtig. Wie sollen Täter und Opfer damit leben? Wirklicher Frieden beginnt mit dem Beiseite-Räumen jenes Lügenschutts, den jeder Krieg anhäuft.
Hans-Christian Schmid hat einen Film darüber gemacht, was nach dem Krieg kommt. In Den Haag gibt es ein Tribunal über die Kriegsverbrechen in Jugoslawien (im Bürokratenkürzel: »ICTY«). Findet man dort die Wahrheit über den Krieg auf dem Balkan, finden die Opfer dort Gerechtigkeit? Hans-Christian Schmid und sein Drehbuchschreiber Bernd Lange fragen mit »Sturm« nach den Möglichkeiten einer »juristischen Aufarbeitung« des Krieges – und stoßen überall an ihre Grenzen. Der Film, im konventionellen Stil eines Gerichtsthrillers gehalten, zeigt Richter, Ankläger, Angeklagte, Verteidiger, Zeugen, Opfer – inmitten der zäh laufenden juristischen Ermittlungsmaschine. Vermutlich beschneidet die von Schmid und Lange gewählte Erzählform des »New Hollywood« ihre Ausdrucksmöglichkeiten mehr als sie zu fördern. Der Schlagabtausch der Parteien vor Gericht führt dann doch eher in Richtung gängiger Mainstream-Muster, er scheint unpassend bei diesem Thema, weil Spannungsmomente erzeugend, um die es letztlich nicht geht. Sollen wir vor allem davon gebannt sein, ob der vermutlich Schuldige, ein hoher Offizier, nun vor dem Tribunal überführt und bestraft werden kann? Hier droht der Film auf die falsche Ebene zu geraten. Die Schuldfragen, um die es eigentlich gehen sollte, sie werden nicht vor einem Tribunal in Den Haag verhandelt – sondern vor der Geschichte. Das hätte auch der Maßstab für »Sturm« sein sollen.
Dieser Film versucht – trotz Prozessdetails in Fülle – nicht, das tatsächliche Geschehen auf dem Balkan in den 90er Jahren dokumentarisch zu rekonstruieren. Begann nicht alles mit separatistischen Auflösungsbestrebungen Jugoslawiens und voreiliger internationaler Anerkennung der Teilstaaten? Trotzdem glaubt man Schmid, dass er wissen will, was die Geschichte mit Menschen macht. Doch sein Zugang zum Thema erscheint ein wenig arglos. Was wir sehen: vom Schrecken des Erlebten Gezeichnete. Auch die, die glauben, nachträglich die Kriegsfolgen »heilen« zu können, sind irgendwann frustriert, denn in der UNO konkurrieren verschiedene politische Ziele. Immer wieder erweist sich der juristische Rahmen als zu eng, die unheilvollen Möglichkeiten der Geschichte zu begreifen. Der Krieg weckt alle schlechten, alle perversen Seiten im Menschen, darum eben ist jeder noch so faule Frieden besser als ein Krieg, in dem sich die Gewalt immer weiter fortzeugt.
Hans-Christian Schmids bisherige Filme wie »Lichter« und »Requiem« haben große Vorzüge: Es sind immer auch Beschreibungen seelischer Landschaften und ihrer Verwerfungen. Mit »Requiem« entdeckte er Sandra Hüller, für »Sturm«, eine internationale Produktion, bei der auf Englisch gedreht wurde, gewann er die Neuseeländerin Kerry Fox (»Intimacy«) und die Rumänin Anamaria Marinca (»4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage«). Ihretwegen sollte man diesen Film sehen, ihre Figuren sind unbedingt glaubwürdig. Zwei Frauen, die der Balkan-Krieg auf unterschiedliche Weise verletzt hat. Anamaria Marinca ist hier eine hinter dem Schutzpanzer scheinbarer Normalität ihren wütenden Schmerz verbergende Bosnierin, die nun in Berlin lebt. Vergeblich versucht sie, die Vergewaltigungen durch serbische Soldateska zu vergessen. Als die Anklägerin Hannah Maynard (kühl bis auf Widerruf: Kerry Fox) sie überzeugt, vor dem Tribunal auszusagen, beginnt für sie eine Odyssee durch die Justiz-Maschine.
Die Unmöglichkeit, die Tragödie dieses Krieges strafrechtlich zu fassen, wird augenfällig. Aber ist das, was in Den Haag geschieht, wenigstens das der Justiz Mögliche? Sehr verschiedene Interessenlagen greifen in die Prozessverläufe ein, auch das zeigt Schmid. An manchen Aussagen – wie hier der jungen Bosnierin – ist das Tribunal nicht interessiert. Indem er beide Frauen in den Mittelpunkt stellt, verinnerlicht »Sturm« deren Blick auf dieses europäische Balkan-Drama – das ist die starke Seite des intensiv erzählten Films: Ganz unterschiedliche Erfahrungswelten werden in der Nahdistanz sichtbar und fühlbar.
Das fast völlige Beiseite-Lassen der geschichtlichen und politischen Zusammenhänge bleibt jedoch die Schwäche von »Sturm«. Kein Hinweis darauf, dass der Jugoslawienkrieg nicht nur ein Krieg der Serben, Kroaten und Albaner untereinander war, sondern dass die NATO, dass also auch Deutschland Krieg auf dem Balkan führte. Wir sind in diesem Krieg keine unbeteiligten Zeugen und erst recht keine Richter, wir sind Kriegspartei. Das sollte man nicht ignorieren, wenn man es mit der Wahrheitssuche im Jugoslawienkrieg ernst meint und Kriegsverbrechen nicht einfach vergessen will.
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