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Hasenfuß im Einheitswahn
Grabbe-Spektakel unter dem Titel »Grabung« an der Neuen Bühne Senftenberg
Kaum ein deutscher Dramatiker hat so polarisiert wie der Detmolder Dichter Christian Dietrich Grabbe. Expressionisten, Surrealisten und die Absurden entdeckten in ihm einen Seelenverwandten. Viele deutsche Theater aber hielten seine kraftgenialischen Stücke für unspielbar. Erst recht, nachdem die Nazis seine Historiendramen als frühe Vorwegnahme ihrer Ideologie in Dienst nahmen.
Nun stellte das kleine Senftenberger Schauspielensemble in einem theatralischen Parforce-Ritt, »Grabung« genannt, vier Stücke des »betrunkenen Shakespeare«, wie ihn Heine einmal genannt hat, vor und fügte den vier Inszenierungen das Stück »Grabbes Grab« hinzu, das der damalige Student der Schauspielkunst Sewan Latchinian im Jahre 1984 verfasst hatte. Der ist inzwischen Senftenberger Intendant.
Bereits in der ersten theatralischen »Grabung«, Latchinians Inszenierung seines eigenen Stücks, wird ganz handgreiflich gegraben. Seine Frau Louise gräbt nach verschollenen Versen des verschwundenen Grabbe, die sich gewinnbringend als Geburtstagsgrüße verwenden lassen, und der inzwischen zurückgekehrte Grabbe gräbt unter Staub, Schmutz den Eingang zu seiner verwaisten Arbeitskammer frei. Als wäre das Stück für heute geschrieben, posaunt der Titelheld großmäulig Aufrufe zur Wiedervereinigung der Deutschen heraus.
Bernd Färber als Grabbe trägt mit hochfahrenden Gesten und mit einem absichtsvoll übersteigertem Sprachduktus diesen Teil des Abends. Er ist Räsoneur und abgewiesener Hasenfuß, großmäuliger Sprücheklopfer, euphorischer Schwärmer und winselnder Bittsteller. Er kokettiert mit seinen bizarren Verstiegenheiten. Irgendwann aber geht dieser Inszenierung die Luft aus. Die Nebenfiguren gewinnen kaum eigenes Profil.
Einer der Höhepunkte: Peter Schroths Inszenierung von »Napoleon und die 100 Tage«. Im Zirkuszelt läuft eine grellbunte Zirkusshow, die Napoleons Weg von der Entscheidung zur Heimkehr aus Elba bis zur Niederlage gegen die vereinten Heere vor Waterloo im Zeitrafferprinzip zusammenpresst. Sechs Schauspieler spielen 150 Rollen, in 90 Minuten ist der Spuk vorüber. Entfesselt tanzen sie die Tänze der Revolution, mit ironischer Distanz trommeln sie das Lied von den »Lützowern«.
Heinz Klevenow spielt den Napoleon. In seiner Darstellung ist dieser nicht der überlebensgroße Herrscher der Welt und auch nicht der kleine Emporkömmling. Dieser Napoleon ist von der Verbannung gezeichnet, aber immer noch auf dem Sprung, auf Signale aus der Heimat zu reagieren. Im Moment des Sieges scheint der alte Größenwahn wieder auf, hinzugekommen aber ist die strategische Fähigkeit sich auch verhasste Partner, dienstbar zu machen. Am Ende, wenn sich die Niederlage abzeichnet, sackt der Sieggewohnte stufenweise in sich zusammen – eine darstellerische Leistung, die in Erinnerung bleiben wird.
Auf die schauspielerische Leistung setzt auch Veit Schubert in »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«. Schubert, der neben seiner darstellerischen Arbeit als Professor an der Ernst-Busch-Hochschule arbeitet, hat seine Senftenberger Kollegen zu Leistungen geführt, die an Häusern solcher Größenordnung selten geworden sind.
Mit welch aasigem Lächeln Lutz Aikele als Teufel seine Gegenüber an der Nase herumführt, wie er den Schmied besoffen redet und dem Bewerber Mordax ganz dreist irrwitzige Versprechen abringt, das zeugt von genau kalkulierter Spielfreude. Und wie Roland Kurzweg als Dichter Rattengift verzweifelt nach Worten für sein neues Gedicht sucht, wie er unduldsam die Zuschauer auf diese Suche mitnimmt und über das gefundene Wort jubelt, das zeigt, welch absurd-komisches Spielmaterial in Grabbes Text eingeschrieben ist. Die von Anna Fregin und Nora Raetsch geführten Puppen treiben das Geschehen zusätzlich auf die groteske Spitze.
Nächste Vorstellung am 9.10.
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