Frech war gestern
Noch nie gab es so viel Kinderfernsehen wie heute, doch sozial engagierte Stoffe fehlen
Es gab eine Zeit, da wurden Kinder vom Fernsehen gefordert. 1977 etwa musste ein Polier seinen Kindern erklären, warum in den Villen, die er baut, andere leben und er gedrängt in der Platte haust. Am Ende einigt man sich auf die realistisch Zustandsbeschreibung: Das ist doch ungerecht. Die Szene spielt in der »Rappelkiste«. Man muss sich das Lehrstück der sozialdemokratischen Siebziger indes bei Youtube suchen, denn die aufsässigen Schulformate vom »Feuerroten Spielmobil« bis »Neues aus Uhlenbusch«, sie ruhen in den Archiven der Sender.
Welch ein Jammer. Als das Privatfernsehen dem öffentlich-rechtlichen KiKa vor 14 Jahren SuperRTL (schon der Name: wie Benzin!) entgegensetzte, wurde es laut auf dem Bildschirm. Seither ersetzt Nickelodeon Inhalt durch Lärm und »Power Rangers«, »Ninja Turtles«, all die Dauerreklamen der Spielzeugindustrie erobern die Kindersparte – da scheint der stille Pan Tau oder ein zielloser »Kli Kla Klawitterbus« wie TV aus dem Mesozoikum. An dessen Ende starben bekanntlich die Saurier.
Doch auch die Großechsen der Monopolphase dreier Kanäle gerieten unter einen Meteor. Der Einschlag des dualen Systems begrub emanzipierte, unkommerzielle, sperrige Kinderformate. Nun wirken »Uhlenbusch«, »Rappelkiste«, »Spielmobil« wie Relikte einer 68er-Pädagogik, als Heranwachsende aufmucken, Meinungen bilden, mitreden durften. Sogar Mädchen fluchten, rotzten, widersprachen – ein strafbares Verhalten in den Augen vieler Eltern, die ihrerseits plötzlich arm, im Unrecht, geschieden sein konnten. Klingt alles ziemlich gegenwärtig.
Zu sehr vielleicht. Derlei Bildungsfernsehen wurde von der geistig-moralischen Wende begraben, während es im Osten zwischen staatstreuen Jugendfilmen und Pittiplatsch, Schnatterinchen, Flax oder Krümel ohnehin wenig kindliches Aufbegehren gab. Nicht dass Onkel Heini, Postbote der intakten Dorfgemeinschaft Uhlenbusch, viel mit der Gegenwart zu tun hätte, dass Hinterhofwelten im Zuge digitalisierter Jugendzimmer zeitgemäß wären oder all die unverschlossenen Türen, vor denen der feuerrote Opel Blitz hielt. Und doch ist diese Art TV nicht nur als Zeitzeugnis der Wiederholung wert. Schließlich predigen Lifestylehefte und Trendsetter, Ikea und Oli Geißen den Kindern von damals unablässig, wie dufte rotgelbe Ringelpullunder sind und die alten Scheiben. Warum ausgerechnet »Lemmy und die Schmöker« vergraben bleibt, die mehr Leselust vermittelt haben als neun Jahre Regelschule? Selbst die »Sesamstraße« wurde von autoritätskritischer Energie befreit ins Morgengrauen verbannt. Dabei wären ein paar Stunden Nostalgie am Sonntagnachmittag das Mindeste!
Doch RTL verweist auf seine Ableger mit Super davor oder 2 dahinter. ARZDF delegieren die Aufgabe an den KiKa. Nickelodeon argumentiert mit dem Zeitgeist. MTViva hätten »die Sehgewohnheiten eben verändert«, meint Karen Mitrega, Produktionsleiterin bei SuperRTL. Aber seit August zeige man ja wieder die »Fünf Freunde«. Gut, das ist zwar Spießerzeugs statt Aufbruchsfernsehen, aber das ZDF, so Mitrega, gebe Serien wie die Biene Maja ebenso wenig frei wie die ARD ihre »tollen tschechischen Serien«. Von denen war indes bis auf »Luzie, der Schrecken der Straße« im Jahr 2004 zuletzt wenig zu sehen.
Im Gegenzug bemüht KiKa die Rechteblockade der Privaten wie im Falle der ökobewegten Familie Barbapapa, die samstags (5.45 Uhr!) bei RTL läuft. Immerhin startete Programmplaner Stefan Rehberg vor drei Jahren mit »Hase Cäsar« einen Versuch, »die Kids auf der Retroschiene ihrer Eltern abzuholen«. Allein die Quoten blieben aus. Und überhaupt: die Rappelkiste-Chaoten »Ratz und Rübe«, der streunende »Kli Kla Klawitterbus«, der Gewaltfaktor von »Captain Future«, beteuert KiKa-Mann Rehberg, fänden gerade Eltern »wenig optimal«. Es regiert Fun Fun Fun.
»Willste übern Rasen laufen, musste dir ein Grundstück kaufen«, schepperte es im Vorspann der Rappelkiste. Und heute? Willste was von früher sehen, musste zu Amazon gehen: vier Folgen Rappelkiste auf DVD: 10 Euro. Oder die jugoslawisch-deutsche »Roten Zora«, 390 Minuten für 39,90. Karen Mitrega war es das wert. »Stinklangweilig«, klagt sie nun. Ein möglicher Beleg, warum die wilde Kinderbande zuletzt 1999 lief. Dabei geht es nicht bloß um Entertainment, sondern ein Lebensgefühl, wie es die rebellischen Hörspiele von Volker Ludwig transportieren. »Balle, Malle, Hupe und Artur« etwa, ein Stück kindlicher Selbstbehauptung von 1971. Oder das »Ein Fest bei Papadakis« – rotzig, schlau, links, zerkratzt aber hörbar. Unterhaltung aus einer Epoche, da Kinder erwachsen und infantil zugleich sein durften. Jetzt heißen sie »Keenies«, Sechsklässler mit Lust auf Marken, Party und »Hannah Montana«, das TV-Püppchen aus den USA. Davon gibt es im Fernsehen genug.
Rappelkiste, Uhlenbusch, Spielmobil – im Fernsehen der Siebziger durften Kinder ein wenig erwachsen sein. Vielen Eltern von heute ist das suspekt – und den Sendern offenbar auch.
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