Bewegungen im Wartestand

Linke Aktivisten beraten über künftige Politik unter Schwarz-Gelb

Riesig war das deutsche Sozialforum nie. Aber selbst gemessen daran zeigte das Wochenende, dass die Dynamik fehlt. Das klingt schlimmer, als es ist. Denn außerparlamentarische Politik findet statt, wenn auch nicht unter dem Dach des Sozialforums.

Die Fahrt ins Wendland gleicht einer Weltreise. Von Düsseldorf ist man schneller in New York als in Hitzacker. Ausgerechnet hier fand aber von Donnerstag bis Sonntag das dritte deutsche Sozialforum statt. Immerhin 500 Menschen fanden sich dennoch über die vier Tage verteilt in dem niedersächsischen Städtchen ein. Die Stimmung blieb eher verhalten.

Zu einem Teil hat das mit dem Sozialforum selbst zu tun, zum anderen geht die Sorge um, ob die außerparlamentarischen Bewegungen hinreichend gewappnet sind für die bevorstehenden schwarz-gelben Jahre. Das deutsche Sozialforum, das dritte nach 2005, will einen Raum für Diskussionen und Vernetzung verschiedener sozialer Bewegungen anbieten. Diesen Anspruch kann es allerdings nur teilweise einlösen. Viele linke Gewerkschafter sind vor Ort; Vertreter anderer Teilbewegungen kommen aber meist nur für ihren Workshop, wo sie über Projekte berichten, die sie anderswo geplant haben. Alle tun etwas, nur offenbar nicht unter dem Dach des Sozialforums. So tagt die Friedensbewegung zeitgleich in Berlin und die Klimagipfelvorbereitung findet in Kopenhagen statt. Das Krisenprotestbündnis wirbt für eine Aktionskonferenz im November. Die einzigen, die die Räume als Tagungsort nutzen, sind die Anti-Atom-Aktivisten. Sie halten hier ihre Strategiekonferenz nach der Bundestagswahl ab, am Sonnabend zog eine gemeinsame Demonstration zum Marktplatz.

Neu ist das schwache Interesse der sozialen Bewegungen nicht. Im bundesweiten Koordinierungskreis wird schon länger über strukturelle Änderungen nachgedacht. Das Programm in Hitzacker bot dennoch viele Workshops, die für Alternativbewegungen von Interesse sind und eine gute Übersicht über das, was läuft. Die Themen reichten von solidarischer Ökonomie über die Residenzpflicht und Arbeitszeitverkürzung bis zu Bildungsprotesten und zivilem Friedensdienst in Palästina. Die Breite kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: Die sozialen Bewegungen befinden sich im Wartestand. So offenbarte die Diskussion »Wie weiter nach der Wahl« am Sonnabend viel Ratlosigkeit. Warum kann die Linke in der Krise so wenig auf die Beine stellen – mangelt es an Zuspitzung und leuchtenden Alternativen oder sind die Menschen nicht in Stimmung?

Während Alexis Passadakis von Attac zur ersten Einschätzung neigt und vor allem fehlende Anknüpfungspunkte und Bündnispartner für gemeinsame Forderungen beklagte, stützen Friedensbewegungs- und Gewerkschaftsvertreter eher die zweite These. Die Alternativen seien bekannt, ist Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag überzeugt. »Aber die Menschen sagen, das können wir eh nicht durchsetzen.« Noch düsterer sieht es Gewerkschafter Claus-Harald Güster. »Auch Gewerkschaftsmitglieder haben die FDP gewählt. Das muss man leider zur Kenntnis nehmen.« Allen sozialen Bewegungen ist klar, dass es vor allem auf die Gewerkschaften ankommt. Doch die sehen die Schwierigkeiten an der Basis. Die »schwarz-gelbe Abrissbirne« werde nicht angeworfen, sondern eher werde hier und da an Schräubchen gedreht, wie DGB-Bundesvorstand Dierk Hirschel erklärt. Und das erschwere die Mobilisierung.

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