Alarm am Lago Atitlán

Guatemalas Wahrzeichen erstickt in Blaualgen

  • Markus Plate, Guatemala
  • Lesedauer: 4 Min.
In Schwarz-Weiß nach wie vor eine Schönheit: Lago Atitlán, die Perle Guatemalas
In Schwarz-Weiß nach wie vor eine Schönheit: Lago Atitlán, die Perle Guatemalas

Der Atitlán-See im Hochland Guatemalas ist seit jeher ein Magnet für Reisende. Noch vor zwei Jahren durfte das Auge des Besuchers über tiefblaues Wasser hin zu den drei Kegelvulkanen Atitlán, Tolimán und San Pedro schweifen. Der See war das Aushängeschild Guatemalas, ein Ort zum Entspannen, zum Träumen und für viele auch zum Bleiben. Damit ist es erst einmal vorbei.

Als im vergangenen Jahr zum ersten Mal Algen im See auftauchten, war der Schrecken groß – und schnell wieder vergessen, als sechs Wochen später mit Einsetzen der kälteren Jahreszeit der Spuk vorbei war. Dieses Jahr wurde aus dem zeitweiligen Schönheitsfehler eine Katastrophe: Seit Oktober ist der gesamte See mit Cyanobakterien vom Typ Lyngbya Hieronymus bedeckt, auch als Blaualgen bekannt. Infrarotfotos zeigen riesige Spiralen, die sich über den See ziehen, doch auch mit bloßem Auge lässt sich das Ausmaß der Katastrophe erahnen. Was mal tiefblau schimmerte, ist nun gold-grün-meliert. Schwimmen mag in in der Suppe niemand mehr, am Ufer riecht es faulig, und die Angst ist groß, dass mit dem Atitlán-See auch der Besucherverkehr dauerhaft geschädigt wird.

Anna Kallab betreibt seit 24 Jahren die »Arca de Noé«, ein kleines Ökohotel in Santa Cruz. Doch derzeit dümpelt die Arche Noah in trüben Gewässern. Wie haben die Verantwortlichen denn auf das Auftauchen der Algen im vergangenen Jahr reagiert? »Da ist überhaupt nichts passiert«, seufzt Anna, da hätten auch die Wissenschaftler gesagt, das sei ein Cyanobakterium, das gebe es überall auf der Welt, aber es sei harmlos und verschwinde bei Kälte wieder. »Dieses Jahr haben sie alle einen riesigen Schock erlebt, weil natürlich jeder sagte: Das ist der schönste See der Welt, und nun schaut euch diese Brühe an.«

Auch Bootsführer Alfredo ist wie viele Einheimische erschüttert: So etwas habe er in seinen 57 Jahren noch nicht gesehen. Das Problem sei: »Immer wenn es kalt wird, verschwindet das Zeug wieder. Am frühen Morgen denkst du: ›Ah, ist ja alles in Ordnung‹, aber gegen Mittag tauchen so viele Algen auf, dass du denkst, das können wir hier nie wieder rausholen.«

Gründe für die Algenpest gibt es viele, und gewarnt wird schon lange. Die Umweltjournalistin Lucia Escobar sieht vor allem vier Ursachen: die Abwässer, die ungeklärt in den See fließen, den Müll auf ungesicherten Müllkippen, den Kunstdünger, den die Bauern seit Jahren auf die Hänge am Rand des Sees werfen und die beim ersten Regen in den See gespült werden. Und schließlich die Phosphate aus Waschmitteln und das Altöl, das die Bootsfahrer in den See kippen. Umweltorganisationen warnen zudem seit Jahren vor dem Abholzen der Berghänge und der Vernichtung von Schilfbeständen. Eingesetzte Fische hätten zudem das Ökosystem aus dem Gleichgewicht gebracht – und endlich der Klimawandel, der hier immer weniger Regen und immer höhere Temperaturen mit sich bringt.

All das gefällt den Algen. Doch eine Reaktion von Bürgermeistern und Regierung sei bislang ausgeblieben, kritisiert die Journalistin Escobar: »Es ist es eine Schande, dass sich die Instanzen nicht einmal darauf geeinigt haben, wie viel Geld denn nun für die Rettung des Sees zur Verfügung steht und welche Institution die Arbeit koordinieren soll.« Bürgermeister, Gouverneurin und Regierungsvertreter hätten zwar »viele Gespräche, viele Kaffeekränzchen, viele Abendessen in Luxushotels« veranstaltet, »aber nichts Konkretes!«

Touristen sind schockiert, die Tauchschule in Santa Cruz musste ihre Arbeit schon einstellen, Menschen klagen über Hautreizungen. Und Wissenschaftler von der Universität del Valle, oberhalb des Sees gelegen, stellen Gemeinden und Anlieger auf einen längeren Kampf gegen die Algen ein. Selbst wenn morgen alle Kläranlagen in Betrieb genommen, alle Phosphatwaschmittel und Kunstdünger verboten würden: Was sich im See angesammelt hat, gibt den Cyanobakterien noch für Jahre Nährstoffe.

Doch Anna Kallab, unerschüttert optimistisch, sieht in der Katastrophe auch ein Chance: »Die Zukunft des Sees ist sicherlich der sanfte, ökologische Tourismus.« Was jetzt passiert ist, habe die Indígenas zutiefst erschüttert und sei hoffentlich ein Weckruf. Aber wenn endlich alle Dörfer Kläranlagen hätten und die Menschen den See als schützenswertes Natursystem verstünden, in dem alles menschliche Handeln Auswirkungen auf ihre Zukunft hat, dann habe der Lago Atitlán eine unglaubliche Zukunft, glaubt Anna Kallab, weiß aber auch: »Es muss halt sofort angefangen werden!«

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