Der Anwalt und die Schattenflotte

Ein Hamburg-Krimi über Rüstungswahnsinn

  • Birgit Gärtner, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Kleine Verbrechen, dunkle Geschäfte, große Politik – Boris Meyns historischer Kriminalroman »Die Schattenflotte« hat viele Parallelen zur heutigen Zeit.

Ein Anwalt fährt mit dem Fahrrad ins Büro, da er in der Hamburger Innenstadt sowieso keinen Parkplatz bekommt, Linke werden kriminalisiert, Fremde in Lager gesteckt, der Bevölkerung werden die neuesten Rüstungsprogramme schmackhaft gemacht und hinter der gediegenen Fassade der Großstadt mit dem maritimen Flair wird um Macht gepokert – um die politische, wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung in Europa. Alltag in Hamburg anno 2009.

Doch Boris Meyns historischer Kriminalroman »Die Schattenflotte« spielt im Hamburg des Jahres 1902. Anwalt Sören Bischop, der Hauptheld, lässt nicht das Auto, sondern die Droschke stehen, und Linke sind damals noch »Rote«, das heißt Sozialdemokraten. Das Lager bei Hamburg ist voll von Auswanderungswilligen, die mit der Reederei HAPAG in die »neue Welt« ausreisen wollen und »zu ihrem Schutz« interniert werden. Und mit dem Rüstungsprogramm ist die Torpedo-Boot-Serie von 1901 gemeint – nicht die Korvetten-Serie von 2004.

Inspiriert von Wilhelm II.

Meyns hochspannender Politthriller mit seinen vielen Parallelen zum Heute ist eine gewagte Mischung aus Realität und Fiktion. Als Sören Bishops Ziehsohn in einen Todesfall verwickelt wird, muss sich der Anwalt wieder als Detektiv betätigen. Der Tote war ein jüdischer Emigrant, die Spur führt in die Auswandererstadt an der Elbe. Doch dann stößt Sören auf ein geheimnisvolles Schreiben aus dem Reichsmarineamt, und er ahnt: Wieder einmal führt ein kleines Verbrechen auf die Spur großer Staatsaktionen.

Der Autor ließ sich dabei von Wilhelm II. inspirieren. Der wurde 1888 zum Kaiser gekrönt, hatte eine beachtliche Anzahl von militärischen Rängen vorzuweisen und seine große Leidenschaft war die Kriegsflotte. Unter seiner Regentschaft gewann die Marine enorm an Bedeutung und eine große maritime Rüstungsindustrie entstand. Die Folge davon war ein Wettrüsten mit England, das in den Ersten Weltkrieg mündete.

Großadmiral Alfred von Tirpitz stand dem Kaiser als Chefideologe zur Seite, ihm gelang es, in der Bevölkerung eine große Begeisterung für das Flottenprogramm zu erzeugen, trotz der damit verbundenen immensen finanziellen Belastungen der Staatskasse. »Die Menschen feiern die schwimmende Wehr der Nation«, konstatiert Sören Bischop. »Der Deutsche Flottenverein hat inzwischen bestimmt mehr als eine halbe Million Mitglieder, Tendenz steigend.«

Sehr schnell nacheinander wurden Waffensysteme eingesetzt, Seeminen, Torpedos, U-Boote und auch Marineflieger. Am 18. Oktober 1902 lief auf der Hamburger Werft Blohm und Voss (B&V) das Schlachtschiff SMS (Seiner Majestät Schiff) Kaiser Karl der Große vom Stapel. Das war das erste Kriegsschiff, das auf der Hamburger Traditionswerft gebaut wurde. Mehr als 20 Millionen Goldmark blätterte Seine Majestät dafür auf den Tisch des Hauses.

Kein Wunder, dass B&V sehr schnell auf den Geschmack kam und sich auf den Bau von Kriegsschiffen kaprizierte. 1901 wurde die Braunschweig-Klasse in Betrieb genommen, fünf Torpedo bestückte Linienschiffe der kaiserlichen Marine, die als erste Schnellladekanonen vom Kaliber 28 Zentimeter trugen.

Neben fiktiven Romanfiguren lässt Boris Meyn bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens agieren, zum Beispiel Hermann Frahm, den damaligen Chef-Konstrukteur von B&V sowie von Tirpitz und eben auch Wilhelm II. Der Autor beschreibt die Anfänge der maritimen Aufrüstung in der erdachten Handlung so überzeugend, das unwillkürlich das Gefühl zurück bleibt: Ja, genau so war es.

Waffen werden eingesetzt

»Die Schattenflotte« ist der beste Beweis dafür, dass das wahre Leben eben der Stoff ist, aus dem die wirklich guten Krimis sind. In einer mehr als 250 Seiten umfassenden, spannenden Geschichte verpackt Meyn völlig unaufdringlich seine Botschaft: Waffen werden nicht nur produziert, sie werden auch eingesetzt. »Waffen dienen nicht nur der Abschreckung. Im Regelfall werden sie auch benutzt«, stellt sein Held Sören Bischop treffend fest. Der Hamburg-Krimi ist ein Muss für alle Menschen, die sich in der Friedensbewegung engagieren – nicht nur in der Hansestadt.

Boris Meyn: Die Schattenflotte. Ein historischer Kriminalroman. Rowohlt. 254 S., brosch., 8,85 €.

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