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Im Sog eines Sumpfes

Der Missbrauchsskandal ist eine Bankrotterklärung der katholischen Kirche

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 6 Min.

Karneval und Katholizität sind nicht zu trennen. Vielleicht hat Papst Benedikt XVI. deshalb in der nächsten Woche ausgerechnet am Rosenmontag Irlands Bischöfe in den Vatikan zitiert, um ihnen die Leviten zu lesen. Allerdings ist nicht abzusehen, dass für die römisch-katholische Kirche die »tollen Tage« termingerecht am Aschermittwoch vorbei sind. Denn die Sexualstraftaten ihrer »Hirten« sind mittlerweile d a s Dauerthema des größten globalen Glaubenskonzerns.

Australien, USA, England, Frankreich, Irland, Österreich, Polen, Deutschland ... Der länder- und kontinentübergreifende Sumpf ist nach Jahren in groben Konturen zu erkennen. Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester der katholischen Kirche entspricht in seiner internationalen Dimension dem Anspruch der Una Sancta, Weltkirche zu sein. In Irland tat sich dabei – bislang – der schauerlichste der schlammigen Abgründe auf. Jahrzehntelang hatten dort Prälaten Tausende Kinder, die sich in ihrer »Obhut« befanden, systematisch missbraucht. Die Kirchenleitung vertuschte die Verbrechen – mit Duldung und Förderung der staatlichen Behörden.

Metastasen dieses Krebsgeschwürs zeigen derzeit auch hierzulande mit jedem Tag neue wuchernde Dimensionen. Haben die gleichwohl gegenüber dem tiefgläubigen Irland geringeren Ausmaße etwas damit zu tun, dass Deutschland ein weniger katholisches Land ist?

Religion, katholisch konfessionierte gar, habe damit ursächlich nichts zu tun, wird eilfertig versichert. Schulen, Sportvereine, Freizeiteinrichtungen – überall dort, wo Erwachsene engen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben, existierten solche Risiken, heißt es.

Doch bislang hat es lediglich die katholische Kirche geschafft, einen solchen Missbrauchsskandal nachgerade zu globalisieren. In Deutschland wird der Heilige Petrus Canisius, erster deutscher Jesuit und Namensgeber der in die Schlagzeilen geratenen katholischen Privatschule in Berlin, künftig mit ganz anderen Assoziationen verbunden werden als mit seinem frommen Wirken im 16. Jahrhundert. Auch andernorts in der Bundesrepublik waren es ausgerechnet Angehörige des sich als Gottes Elite betrachtenden Jesuitenordens, die sich an ihren minderjährigen Schützlingen vergriffen.

Damit auf diese seit der Gegenreformation treuesten Gefolgsleute des Papstes auch nicht der leiseste Schatten fällt, schwingt Jesuitenpater Eberhard von Gemmingen schon mal vorsorglich die ganz große Keule: »Mit den Juden ist es so losgegangen, dass vielleicht der eine oder andere Jude Unrecht getan hat. Dann aber hat man schlimmerweise alle angeklagt und ausrotten wollen. Man darf nicht von einzelnen Missetaten ausgehen und eine ganze Gruppe verurteilen.« Abgesehen von solcher Simplifizierung historischer Vorgänge, die unter anderem die verhängnisvolle Rolle des kirchenchristlichen Antijudaismus völlig ausklammert – bisher ist nicht erkennbar, dass irgendjemand eine Jesuitenverfolgung anzetteln will.

Auch von einem Generalverdacht gegen die katholische Kirche kann in den hierzulande ohnehin notorisch kirchenfreundlichen Mainstream-Medien nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Obwohl das gegen den beharrlichen Widerstand des Klerus und – wie in Irland – staatlicher Behörden zutage geförderte Belastungsmaterial mittlerweile ein veritables Schwarzbuch füllen würde, wie es das beispielweise zu Vorwürfen gegen die Scientology-Organisation gibt. Apropos: Man stelle sich vor, auch nur einer der jetzt aufgedeckten Missbrauchsfälle würde Scientology oder einer ähnlichen »Sekte« nachgewiesen. Klar, dass solch eine Tat nur Folge und Bestätigung längst bekannter übler Umtriebe der delinquenten Gruppe sei. Und der Raum, der dem betroffenen Verein in den Medien zur Rechtfertigung eingeräumt würde, wäre wohl kaum so großzügig bemessen wie für Funktionäre der Romkirche, die – im Unterschied zu irgendwelchen okkult-dubiosen Sekten – ungeachtet aller Skandale weiter als unverzichtbarer Hort höchster Sittlichkeit gilt.

Bemerkenswerterweise war es ein Jesuit selbst, der den tabuisierten strukturellen Bezug publik machte: Pater Klaus Mertes, Rektor des Canisius-Kollegs. Seine Kirche leide an Homophobie, kritisierte er. Homosexualität werde verschwiegen. Kleriker mit homosexuellen Neigungen seien unsicher, ob sie bei einem ehrlichen Umgang mit ihrer Sexualität noch akzeptiert würden. Zudem hätten sich die kirchlichen Lehren zur Sexualität derart weit vom realen Alltag und von den Fragestellungen junger Menschen entfernt, dass zwischen der Kirche und der jungen Generation Sprachlosigkeit herrsche. Es müsse vorbehaltlos geprüft werden, welche Unzulänglichkeiten Übergriffe begünstigen könnten. Dazu gehörten Mängel der kirchlichen Sexualpädagogik, unzureichende Beschwerdemöglichkeiten für die Schüler oder ein »zu autoritäres Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern«.

Ein strukturelles Problem sieht auch Christian Weisner. Wenn eine extrem strenge Sexualmoral und ein autoritäres System zusammenkommen, ergebe dies eine gefährliche Mischung, so der Vorsitzende der katholischen Reformbewegung »Wir sind Kirche«.

Immerhin bekundete die katholische Kirche in Deutschland – etwas anderes hätte auch merkwürdig geklungen – ihren Willen, alle Fälle sexuellen Missbrauchs aufzuklären. Hans Langendörfer, Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, erläuterte dazu: »Wir können nicht wollen, dass die christliche Botschaft und die Glaubwürdigkeit vieler kirchlich Engagierter wegen der Verfehlung mancher zugrunde gehen.« In diesem Satz fokussiert sich die ganze Strategie des Abwiegelns und Abwehrens.

Unangetastet bleibt »die christliche Botschaft«, mithin der Anspruch, der Gesellschaft auch künftig einen kirchlich legitimierten Wertekanon vorzuschreiben. Es geht lediglich um die »Verfehlung mancher«. Der Einzelne kann fehlen, die Kirche fehlt nie, wird nie fehlen und hat nie gefehlt.

Es ist die gleiche Strategie, die Papst Johannes Paul II. in seinen von riesigem Medienrummel begleiteten »Mea culpa«-Schuldbekenntnissen verfolgt hatte: Sklaverei, Inquisition, Judenverfolgung etc. – Schuld ja, aber nie bei der Kirche als solcher. Nicht anders verfuhr Benedikt XVI., der sich auf seinen Auslandsreisen immer wieder genötigt sah, zu den Missbrauchsskandalen Stellungen zu nehmen, für das angerichtete Leid um Entschuldigung zu bitten.

Darum neigt die katholische Kirche auch trotz immer weiterer Enthüllungen über das Ausmaß der Übergriffe und ungeachtet ihrer eigenen Bereitschaftsbekundungen nicht gerade zu übermäßiger Eile. Ob das Thema sexueller Missbrauch bei der nächsten Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in zwei Wochen angesprochen werde, könne er nicht sagen, erklärte deren Sprecher Matthias Kopp.

Auch Arnulf Salmen, Sprecher der Deutschen Ordensobernkonferenz, sieht für die Männerordensgemeinschaften aktuell »keinen Handlungsbedarf«. »Möglicherweise« müsse geprüft werden, ob »strukturelle Defizite« bestehen.

Um die Gelassenheit, die katholische Kirchenleute im aktuellen Missbrauchsskandal an den Tag legen, zu verstehen, muss man hinter die Leoninischen Mauern sehen. Denn die römisch-katholische Kirche wird nicht von ihren Oberen in Irland, Frankreich oder Deutschland regiert, sondern vom Vatikan. Im Jahr 1962 verfasste dort Kardinal Alfredo Ottaviani ein Dokument, das »Crimen sollicitationis« (Verbrechen der Verführung) behandelt, unter anderem den sexuellen Missbrauch sogenannter Beichtbefohlener. Diese Vergehen, so heißt es in dem Papier, sollten geheim bleiben und lediglich dem Bischof gemeldet werden. Im Jahr 2001 nahm Kardinal Joseph Ratzinger, damaliger Chef der Glaubenskongregation und jetziger Papst, in einem Brief an alle Bischöfe auf dieses Dokument Bezug und ordnete seinerseits an, dass bestimmte schwere Vergehen dem Vatikan gemeldet werden müssen, der dann über das weitere Vorgehen entscheide.

Der Ire Colm O’Gorman, selbst Missbrauchsopfer, verwies auf diese Dokumente 2006 in seiner BBC-Dokumentation »Sexualverbrechen und der Vatikan« als Beweise für die Vertuschungsstrategie der Romkirche. Vom Vatikan kam das dürftige Dementi, den Bischöfen sei nie untersagt worden, mit staatlichen Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten. Dass sie allerdings auch an keiner Stelle dazu aufgefordert wurden, macht das Interesse an einer »kircheninternen« Behandlung durchaus deutlich. Und die eher zufällige Aufdeckung der Fälle sowie die einer Lawine gleich anwachsende Wucht des Skandals sind wohl kaum dem besonderen Aufklärungseifer der Verantwortlichen in den kirchlichen Strukturen geschuldet.

Deshalb ist der internationale Missbrauchsskandal vor allem ein Kirchenskandal. Er ist eine Bankrotterklärung des katholischen Kirchenchristentums und seiner absolutistischen Führung.

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