Pesos, Steine – und Poesie
Impressionen von der Internationalen Buchmesse in Havanna
Russland ist derzeit Gastland auf der XIX. Internationalen Buchmesse in Havanna. Eine Delegation aus Verlegern, Übersetzern, Journalisten und Schriftstellern prägt den Messealltag auf der kolonialen Festung San Carlos de la Cabaña. Haben sich in den letzten vier Jahren Gastländer aus dem iberoamerikanischen Sprachräumen nahezu reibungslos in das Geschehen eingefügt, so halten die fast 200 Gäste aus der Russischen Föderation das Organisationsteam der Messe ziemlich auf Trab.
Mit der Präsenz von Romanciers, Kinderbuchautoren, Dramatikern und Dichtern – auch der betagte Prestigeautor Jewgeni Jewtuschenko ist dabei – stellt sich das Geburtsland Tolstois literarisch vielseitig vor. In seiner Eröffnungsrede zur Buchmesse betonte der russische Außenminister Sergej Lawrow nicht nur die Tradition des »žBüchermachens« in seinem Land, sondern auch die »žgroße Solidarität Kubas«. Die Kontakte zwischen beiden Ländern sollen »žwieder aufgenommen« werden. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre waren die Beziehungen mit Kuba auf ein Minimum reduziert worden. Der Inselstaat fiel in eine Wirtschaftskrise, die bei den Kubanern noch heute traumatische Erinnerungen weckt.
Im Rahmen der Veranstaltungen um das Gastland findet das Theoretische Kulturzentrum Criterios von Desiderio Navarro verdiente Beachtung. Navarro, Übersetzer, Essayist und Herausgeber der Zeitschrift Criterios, begann in den 1970er Jahren, Übersetzungen von russischen Wissenschaftstexten zu publizieren, trotz der »žinformativen, wirtschaftlichen und institutionellen Limitationen, sowohl in Kuba als auch in der Sowjetunion, und dem postsowjetischen Russland«. Nun stellt Desiderio Navarro eine Anthologie vor, die diese Texte versammelt. Neben anderen engagierten kubanischen Intellektuellen wie Aurelio Alonso, Soziologe und Essayist, oder dem Schriftsteller Leonardo Padura setzt sich Desiderio Navarro in seinem Schaffen auch konsequent kritisch mit der kulturpolitischen Entwicklung Kubas seit der Revolution von 1959 auseinander.
Die kubanische Buchmesse ist eine Verkaufsmesse und gewinnt durch ein buntes Kulturprogramm mit nationalen und internationalen Intellektuellen zusätzliche Attraktivität. Hohe Besucherzahlen sind garantiert. Kuba ist unbestreitbar ein Leseland, obwohl die Buchpreise in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen sind. In Kuba zirkulieren zwei Währungen: der Peso cubano, von den Kubanern scherzhaft Peso agro genannt. Mit dieser Währung erhält man vorwiegend Gemüse und andere Frischwaren. Der harte peso convertible regiert in den Einkaufszentren.
Außer dem Gastland ist die Teilnahme von ausländischen Verlegern gering. Überraschend prominent sind dagegen die offiziell geladenen ausländischen Schriftsteller – in diesem Jahr geben sich die Kanadierin Margaret Atwood, der Angolaner Ondjaki, die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer und der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto die Ehre.
Besondere Ehrung erfahren auf der Messe zwei kubanische Intellektuelle: die Historikerin María del Carmen Barcia und der Schriftsteller Reynaldo González. González ist profunder Kenner des Schriftstellers José Lezama Lima (1910-1976), der in den letzten zehn Jahren seines Lebens Opfer der dogmatischer Kulturpolitik wurde und dem 2010 in Kuba ein »Lezama-Jahr« gilt. »Ein Schriftsteller, der selbst die Steine, die man ihm in den Weg legte, in Poesie verwandelte«, so nannte ihn Reynaldo González in seiner Rede zur Messeeröffnung.
Die Buchmesse dauert noch bis 21. Februar und wandert anschließend durch 15 weitere kubanische Städte.
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