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Gier und ein Satz des Vespasian

Wer hat Angst vor der schwarzen CD?

  • Friedrich Schorlemmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Streng geheim die Gespräche der fünf Finanzminister in Luxemburg. Die Schweizer drohen indes mit der Veröffentlichung brisanter Bankdaten von deutschen Politikern, falls diese sich der »schwarzen CD« bedienen sollten. 2,5 Millionen Euro wollen Ungenannte und Unbekannte einstreichen für die brisanten Daten über geheime Konten. Diese Hehler wollen nicht etwa einer Straftat nachgehen und diese offenlegen, sondern sie wollen selber absahnen.

Geld kriegen ohne eigene Arbeit – nur aufgrund verratener Straftaten anderer absahnen. Wo wollen sie ihren Hehlerlohn versteuern? Doch wohl in Deutschland! Stecken gar Hartz IV-Missbraucher dahinter, jene von angeblich »spätrömischer Dekadenz« erfassten Prasser auf Steuerzahlerkosten?

Zur Überweisung müssen deren persönliche Daten bekannt gemacht werden. Man könnte sie also auch greifen. (Oder läuft das auch auf finsteren Wegen?) Täte der Staat nichts und ließe die Hehler ins Leere laufen, so ließe er auch millonenschwere Steuersünder laufen. Machte der Staat den Hehlern keinen Prozeß, so würde er sich selber der Hehlerei schuldig machen.

Soll der Staat etwa nicht zugreifen, wo Reiche sich ihrer Gemeinwohlverpflichtung entziehen? Fragen über Fragen.

Wer die zweifellos zwielichtigen Daten nutzt – und die zwielichtigen Überbringer honoriert, muss das im klaren Wissen tun, dass er Unrecht tut, nur, um größerem Unrecht zu begegnen. Das bleibt ambivalent, wenn nicht gar unerlaubt.

Rechts-staatlicherseits solche gierigen Hehler zu bedienen, bliebe ein gravierender moralischer Durchbruch. (Nichts anderes ist freilich auch heutige Nutzung von unrechtmäßig erhobenen Erkenntnissen der Stasi über jedermann, dessen Mielkes Mannen hatten habhaft werden konnte.)

Der Konflikt zwischen Legalität und Moralität bzw. Legitimität scheint unauflösbar. Wer hier zu entscheiden hat, der sollte sehr genau bei Kant nachlesen. Freilich kommen wir damit unweigerlich auf die Ur-Antriebe unseres weltkapitalistischen Systems. Die menschliche Gier – unsere eigene! – ist zweifellos eine der stärksten ökonomischen Antriebskräfte des herrschenden Vermehrungsprinzips. Die Gier hat sich unmerklich verselbstständigt.

Bereits Horaz vermerkte in seinen Oden: »Doch Sorge folgt und nimmersatte Gier dem wachsenden Gewinn.« Der Gier der Aktionäre werden Woche für Woche hunderte, ja tausende Menschen mit ihren Arbeitsplätzen geopfert. Der Erfolgskonzern Siemens geht voran, während der Siemens-Boss hehre Ansprachen über die qualifizierten Mitarbeiter in Deutschland und über nachhaltige Konzepte hält, die einer moraltriefenden Predigt gleichen.

Die Gier hat diejenigen geradezu epidemisch infiziert, die zigfach mehr verdienen oder angehäuft haben, als sie je wirklich »verdienen« konnten oder je zur Lebensfristung bräuchten, nicht einmal zu einer üppigen.

Hinzu kommt eine spezifische Kastrationsangst des Reichtums. Deswegen wird die wahre Potenz verborgen und das Geheimnis gehütet, auch gegen das Gesetz. Aber ganz offen, ganz ohne jede Scham wird gesagt, dass der Verursacher der 800 Millionen Verluste bei der Bayrischen Landesbank ein jährliches kleines Ruhegehalt von 1,5 Millionen bezieht, obwohl ihm laut Vertrag doch 3 Millionen zustünden.

Unser Sozialstaat gerät aus dem Gleichgewicht, wo Hartz IV-Empfänger 20 Euro irrtümlicherweise zuviel überwiesenes Kindergeld zurückzahlen müssen oder wo es nicht gelingt, bei den wirklich Reichen steuerlich deutlich mehr abzufordern. Alle von ihrer täglichen Leistung Abhängigen in der sogenannten Mittelschicht, also die normalen »Gutverdiener«, müssen steuerlich ziemlich viel berappen. Doch die richtig Reichen bleiben die eigentlichen Gewinner – mit einer Verfügungsgewalt über Geldmengen, die man als normaler Mensch weder wirklich durch Leistung verdienen kann, noch zum Leben braucht.

»Mehr Netto vom Brutto!« forderte Westerwelle in seiner gelben Partei. Und sie senken zu Zeiten der gigantischsten Staatsverschuldung der deutschen Geschichte die Steuern. Der Staat, vor allem die Kommunen und die Länder, werden durch Steuerausfälle in den finanziellen Ruin getrieben. Sie werden fast handlungsunfähig. Selbst unsere Boom-Städte. Was wird aus den »freiwilligen Leistungen«, zumal aus der Kultur?

Sozialer Ausgleich ist sozialer Friede. Gleichmacherei und Hängematten sind weder das Problem noch die Lösung, wohl aber Beanspruchung und Honorierung von Anstrengung, also Arbeit und Auskommen durch Arbeit.

Mindestlohn eben.

Zur Erinnerung: Als der geldklamme Kaiser Vespasian die öffentlichen Kloaken in Rom besteuerte und es darauf Protest gab, prägte er den umstürzenden Satz: »Geld stinkt nicht« – also selbst dann nicht, wenn es von der Scheiße stammt.

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