Warme Farbe Grau

Matti Geschonnecks »Boxhagener Platz«, ab Donnerstag im Kino

  • Lesedauer: 4 Min.
Matti Geschonneck, Jahrgang 1952, Sohn von Erwin Geschonneck und der Schauspielerin Hannelore Wüst, studierte Film in Moskau, bekam 1978 ein Arbeitsvisum für die Bundesrepublik. Seit 1990 inszeniert er regelmäßig hochkarätige Fernsehfilme, darunter »Die Nachrichten« nach dem Roman von Alexander Osang. »Boxhagener Platz« entstand nach dem Bestseller von Torsten Schulz, wurde auf der Berlinale als Special gezeigt und kommt jetzt ins Kino.

ND: Waren Sie froh, wieder einen Film für die große Leinwand inszenieren zu können?
Geschonnek: Das stand an zweiter Stelle. Ich hatte in den vergangenen Jahren einige Angebote für große Filme. Die habe ich nicht angenommen, weil ich mit den Stoffen nicht zurechtkam. Darunter einige, die in die DDR führten. Die Geschichten passten nicht zu mir, ich hätte die Filme nicht sehen wollen. Deshalb lieber Arbeiten fürs Fernsehen.

Und wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen?
Torsten Schulz' Frau hatte mir ein Drehbuch angeboten und ich habe zufällig erwähnt, dass ich am Ostkreuz aufgewachsen bin.

Das nur einen Kilometer vom Boxhagener Platz entfernt ist …
Eine Woche später schickte sie mir die Druckfahnen des Romans. Er ist sehr liebevoll geschrieben. Ich mochte die Figuren. Das waren Menschen, die ich kannte. Er weckte sofort Erinnerungen an kleine Momente, die längst in Vergessenheit geraten waren, Straßenbahnlinien, Eisdielen, Märkte, die vielen Kohlehaufen auf den Straßen. An meine Einschulung, die S-Bahn-Geräusche, den Wasserturm und meine ersten Kinoerlebnisse. Der Kiez ums Ostkreuz war mein Kosmos. Insofern hatte die Geschichte viel mit mir zu tun.

Sind Ihre Erinnerungen an die 60er Jahre so grau wie der Film?
Es ist ja ein warmes Grau. Kalte Farben wären ein Kommentar, der nicht stimmt. Meine Erinnerungen sind warm, das hat nichts mit Ostalgie zu tun. Aber wenn ich mir die Fotos aus der Zeit angucke, war es grau, wahnsinnig leer und trist. Immer Smog, diese Stinkluft. Von unten ließen die Zweitaktblauen Düfte ab, von oben drückte die Braunkohle. Eigentlich hätten wir den Film einnebeln müssen.

Keine Farbpunkte in der Kleidung?
Die kamen erst in den 70er Jahren. Die vorherrschende Farbe in den 60er Jahren war braun-grau, gedeckte Farben. Dieser Nachkriegslook war vorherrschend, Mäntel wurden aufgetragen, Jacken gewendet. In den Schuhen haben wir immer gefroren, und die Sohlen waren hart.

Haben Sie bewusst, bis auf wenige Ausnahmen, Schauspieler aus der DDR besetzt?
Das hat sich wie bei »Die Nachrichten« so ergeben. Bei der Oma war mir sofort klar, das kann nur Gudrun Ritter spielen – diese kleine, energische, großartige Schauspielerin mit wunderschönen großen Augen, die am Deutschen Theater immer ein Blickfang war, auch wenn sie nicht die Hauptrolle spielte. Dann war die große Frage, wer spielt den Karl. Wenn mein Vater noch gelebt hätte und 20 Jahre jünger gewesen wäre, dann wäre das seine Rolle gewesen. Karl steht für das Scheitern dieses Landes. Für die Menschen, die nach dem Krieg geträumt und aufgebaut haben. Für Kommunisten, die an ihrem Land litten und zerbrochen sind. Weil es überhaupt keine Chance hatte. Darüber bin ich sehr froh, weil der Film so nicht nur eine Liebeserklärung an diese Stadt und die Menschen ist. Sondern eine andere Ebene hat, ohne es programmatisch zu verkünden.

Zugleich behandelt der Film ein Tabu der DDR – auch in dem Land lebten ehemalige Nazis.
Der Totschlag erhält im Nachhinein seine politische Absolution, denn es trifft den Richtigen. Bei uns gab es ja offiziell, wie es sich in einer Diktatur gehört, nur glückliche Menschen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Die DDR war in der Lage, Pläne überzuerfüllen, 104 Prozent, nein 105 Prozent. Aber das spielt in dem Film keine Rolle, sondern nur diese wunderbaren Menschen, die ihr lebenswertes Leben hatten. Dafür steht die Oma. Sie kannte das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die Nazizeit, also mehrere Diktaturen und eine zwiespältige Demokratie. Sie hat die überlebt, durch Witz, Energie, Überlebenskraft.

Und die Stasi hat sie nur am Rande tangiert?
Ich beantworte das mit der Frage: War Erich Honecker bei der Stasi? Dann sagt jeder: Natürlich nicht. Aber das konnte man gar nicht trennen. Die ominösen Herren im Film sind nicht von der Stasi, sondern von der Kripo. Man weiß aber, woher sie kommen und wofür sie stehen. Das gehörte zum Alltag, dass der Kneiper gezwungen werden sollte, Auskunft zu geben. Es gab ja auch jeden Tag einen Witz über die Stasi, und jeder hatte mal Berührung mit ihr. Trotzdem war es ein lebendiges, facettenreiches, vor allem erfindungsreiches Leben, in dem man mit Humor der Diktatur trotzte.

Die DDR war ja auch bekannt für geniale Organisation und Improvisation. Und natürlich war man bei den Pionieren, klar hatten wir Halstücher um. Ich kam ja aus einem sozialistischen Haushalt ohne Westfernsehen. Aber wenn ich bei Klassenkameraden war, pfiff ein ganz anderer Wind. Da gab es keine Partei, da gab es Kirche. Oder Westverwandtschaft. Das hätte ich alles thematisieren können. Die Detailtreue wollte ich aber ein bisschen zurückhalten, denn die können eine Atmosphäre auch zerstören.

Offizielle Seite zum Film

Interview: Katharina Dockhorn

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