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Justizskandal in Schleswig-Holstein
Gelungen: Schneiders historischer Küstenkrimi
Johannes Blum ist ein liberaler Mensch, der Kurt Tucholsky verehrt und die Weltbühne liest. Seine jugendliche Kriegslust wurde ihm in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs nachhaltig ausgetrieben. Während des Jura-Studiums entdeckte er seine Leidenschaft für das Strafrecht: »Alles war geordnet, aber nicht so ganz eindeutig. Ein Mensch bringt einen anderen vom Leben zum Tode – aber es gab fast ein halbes Dutzend Paragrafen dafür. Mord, Totschlag, fahrlässige Tötung, ...«, schreibt Autor Heinz-Jürgen Schneider in dem historischen Schleswig-Holstein-Krimi »Tod in der Scheune«.
Geordnet, aber nicht ganz so eindeutig ist auch Blums Leben, Anfang der 1930er Jahre an der Westküste Schleswig-Hosteins. Wochentags trifft er sich im Gasthaus Laage zum Mittagstisch mit einem Kollegen, dort stehen typisch norddeutsche Gerichte wie Kohlrouladen, Labskaus, Rundstück warm oder Schwattsauer auf der Karte. Und jeden Sonntag spielt er Schach mit einem alten Schulfreund.
Unangenehme Fragen
Diese Berechenbarkeit seines Daseins wird durch gelegentliche Ausflüge in die Welt der schönen Künste und durch seine beruflichen Eskapaden gebrochen: Als Anwalt bietet er seine Dienste schon mal einer Witwe an, die ihren gewalttätigen Mann mittels Giftcocktail ins Jenseits beförderte, als der der ältesten Tochter an die Wäsche wollte. Auch der renitenten Landbevölkerung steht Blum wohlwollend gegenüber.
Im September 1932 wird er zum Pflichtverteidiger für den jungen polnischen Landarbeiter Walerjan Smucek berufen. Der wird des Mordes an einer jungen holsteinischen Bauerntochter beschuldigt. Und er hat bereits gestanden. Doch Blum ist die Sache zu glatt, er beginnt unangenehme Fragen zu stellen: Wieso unterschrieb der junge Pole das Geständnis, wenn er doch kaum ein Wort deutsch spricht? Woher stammen die Verletzungen an dessen Hals? Diese Fragen werden schließlich so unangenehm, dass die Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln und Tricks versucht, Blum auszubooten. Doch so schnell lässt der clevere Strafverteidiger sich nicht ins Bockshorn jagen.
Der braune Mob
Schneider hat den Zeitgeist eindrucksvoll eingefangen: den aufkommenden Faschismus, die Not, die die Landbevölkerung anfällig macht für die braunen Rattenfänger, der Kampf der Roten Hilfe gegen die Todesstrafe. Er lässt den braunen Mob aufmarschieren und bringt die Volksseele im Gerichtssaal so richtig zum Kochen.
Der Autor teilt die Leidenschaft seines Protagonisten für das Strafrecht: Er war unter anderem Anwalt von Christian Klar, und im aktuellen §-129-b-Prozess in Stuttgart-Stammheim verteidigte er den Angeklagten Mustafa Atalay. Ein Mann vom Fach, das wirkt sich positiv und negativ aus: Der Blick hinter die Kulissen von Justizia, so absurd er mitunter anmutet, wirkt authentisch. An manchen Stellen allerdings gerät Schneiders Erstlingswerk ein wenig zu juristisch und mutiert zur besseren Prozessakte. Hin un wedder n beten dröch, typisch holsteinisch eben.
Animiert zu dem historischen Krimi wurde Schneider durch alte Dorfgeschichten, überliefert von der Oma und dem Vater. Und durch seine Mitarbeit an Buch »Die Anwälte der Roten Hilfe«, das er gemeinsam mit Erika und Josef Schwarz schrieb. Sein Debütroman »Tod in der Scheune« ist eine Mischung aus Fiktion und Realität, eine gelungene Synthese aus profanem Dorfklatsch und handfestem Justizskandal.
Mit Johannes Blum hat Anwalt Schneider sein literarisches Alter Ego geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass beide noch viele Kämpfe gegen das Unrecht bestehen werden – im Krimi wie im wahren Leben.
Heinz Jürgen Schneider, Tod in der Scheune, Boyens Verlag, Heide, 2009, 221 S., 9,90 Euro.
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