Kein Rettungsschirm für die Sopran-Stimme

In Schleswig-Holstein droht wegen klammer öffentlicher Kassen dem Landestheater das Aus

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 4 Min.
Protest vor dem Kieler Landtag vor einer Woche
Protest vor dem Kieler Landtag vor einer Woche

Normalerweise haben Ansgar Hüning und Lizzi Krogh ein anderes Publikum. Der 42-Jährigen gehört eine Sopranstimme im Chor, ihr ein Jahr älterer Mann gehört zu den Solo-Sängern des Landestheaters Schleswig-Holstein. Heute aber stehen sie vor dem Kieler Landtag und protestieren. Das größte deutsche Landestheater muss um seinen Fortbestand fürchten. Ein Finanzloch droht zu einem kulturgesellschaftlichen Kahlschlag in Schleswig-Holstein zu führen.

Auf dem offiziellen Spielplan des dortigen Landestheaters stehen aktuell Stücke von Goethe, Schiller, Tschechow, Tucholsky und Heine – für die persönliche Agenda der Ensemblemitglieder hält die Dramaturgie eher Hamlets Sein oder Nicht-Sein von Shakespeare bereit, denn Schauspieler wie Bühnentechniker, Opernsänger wie Orchestermusiker fürchten um ihren Arbeitsplatz. »Wir haben uns hier mit eigenem Haus niedergelassen und drei kleine Kinder. Wie uns geht es vielen anderen auch«, schildert Hüning. Die Angst geht um, persönliche Existenzen stehen womöglich vor Schicksalsschlägen.

Das Landestheater fußt auf einer Fusion, als sich 1974 die Bühnen in Flensburg, Schleswig und Rendsburg zusammengeschlossen haben. Neben dem Schauspiel gehören noch die Sparten Musiktheater, Ballett, ein eigenes Sinfonieorchester, ein eigener Chor sowie eine Junge Bühne zum Landestheater. An zwölf Spielstätten im Land wird ein regelmäßiges Programm vorgehalten; dazu kommen noch punktuelle Gastspiele in über 100 anderen Orten im Land.

Auf dem Gehaltszettel finden sich 330 Namen. Doch der künftige Intendant Peter Grisebach, zurzeit noch verantwortlich in Bremerhaven, sowie der Aufsichtsrat sprechen offen davon, 85 bis 90 Stellen einsparen zu müssen und unter anderem auf das Musiktheater zu verzichten, um eine Insolvenz abzuwenden. »Die laufende Spielzeit und die dann kommende sind noch gesichert, doch für die Folgezeit benötigen wir schnellstens eine Lösung«, sagt der Flensburger Betriebsrat Heiko Constien.

»Wird eine Beschäftigungsgarantie ausgehandelt, werden bestimmt alle wieder bereit sein, eigene Opfer zu bringen. Doch einfach alternativlos mit Kündigungen zu drohen, ist schlichtweg deprimierend«, so Hüning. Er war dabei, als zur jüngsten Landtagsdebatte die Betroffenen vor dem Kieler Landeshaus demonstrierten und 29 000 in nur zwei Wochen gesammelte Unterstützungsunterschriften an den Landtagspräsidenten Torsten Geerdts (CDU) übergaben. Einer sich abzeichnenden Deckungslücke von 1,5 Millionen Euro wollten die Oppositionsparteien mit einem gemeinsamen Antrag auf eine dynamisierende Förderung aus Landesmitteln des kommunalen Finanzausgleichs begegnen. Die mit einer Stimme Mehrheit regierenden Fraktionen von CDU und FDP lehnten dies aber mit Hinweis auf die angeschlagenen Landesfinanzen ab.

Grisebach, der die Debatte verfolgte, sprach bereits von einem »Todesstoß« für das Landestheater. Besonders die Haltung des zuständigen Ministers Ekkehard Klug (FDP) im Kabinett von Peter Harry Carstensen (CDU) wirkte für viele befremdend. Aus eigentlich berufenem Munde kamen nur Worthülsen und Allgemeinplätze wie das Plädoyer für ein »Theaterangebot, dass der Haushaltslage angemessen sei«. Seine Vokabeln »Wettbewerbselemente« und Erfolgsabhängigkeit« lassen hier einen elementaren Kulturzweig zur beliebigen und billigen Ware verkommen und blenden zum Beispiel jeglichen Bildungsauftrag, der von den Bühnenbrettern ausgeht, aus.

Die Betroffenen wollen die sture Haltung der Landesregierung, die bisherige Förderung von jährlich 13 Millionen Euro nicht aufzustocken, nicht tatenlos hinnehmen. Darüber sinnierend, ob man sich nun zwischen Henkersmahlzeit und Guillotine befindet, wird ab sofort jeden Freitag um 15 Uhr in Flensburgs Innenstadt demonstriert. Solidarität kommt auch von den eigenständigen Theatern aus Lübeck und Kiel. Dort weiß man um alle Sparanstrengungen, die das Landestheater schon hinter sich hat, und um die Gewissheit, dass, wenn die Sense erst einmal angesetzt wird, diese auch vor diesen Häusern nicht Halt macht.

Die Hoffnungen auf einen finanziellen »Rettungsschirm« ruhen nun verstärkt auf den kommunalen Spitzenverbänden (Städteverband, Gemeindetag, Landkreistag), die ohnehin schon eine finanziell tragende Säule des Landestheaters darstellen, die bei aktueller Ebbe in den eigenen Kassen aber die Aufgabe nicht alleine stemmen können und wollen. Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) kritisiert die Haltung der Landesregierung: Die Verantwortung einfach an die Kommunen und Beschäftigten zurückzuschieben, sei ein Armutszeugnis. DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens sieht die kulturelle Grundversorgung im Norden gefährdet. Flensburgs Bundestagsabgeordneter Wolfgang Börnsen (CDU) pflichtet ihm bei und ist entsetzt über die Kieler Regierung. Sein Appell »Wir dürfen das Kulturland Schleswig-Holstein nicht kaputt sparen«, ist bisher ungehört geblieben.

Mittlerweile hat sich eine Bürgerinitiative zur Rettung des Landestheaters gegründet. Hüning gibt sich kämpferisch und ergänzt verschmitzt: »Theaterleute sind bekanntlich kreativ.« In den nächsten Wochen und Monaten lautet das Szenario jedenfalls noch »Happy End oder Tragödie«.

www.rette-landestheater.de

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