- Kultur
- Beilage zur Leipziger Buchmesse
Eine Frage der Identität
GLOBALGESCHICHTE AUS ISLAMISCHER SICHT
Der bekennende Laizist Ansary, Sohn eines Afghanen und einer Amerikanerin, verbrachte seine Kindheit in Afghanistan und gehört seit dem Anschlag vom 11. September 2001 in New York zu den amerikanischen Fürsprechern eines rationalen und selbstkritischen, intellektuellen Umgangs mit der islamischen Welt. Und dazu gehört deren Geschichte
Die Frage nach der Legitimität von politischer Herrschaft hat in den ersten 600 Jahren der islamischen Welt viele ihrer geistigen Großleistungen begleitet, wenn nicht bestimmt. In dieser Zeit entstand der Koran, wie wir ihn heute kennen, und ein Rechtssystem, das weit über die eher mageren, koranischen Regelungen hinaus ging, mit denen ein Großreich nun wirklich nicht zu regieren war. Ansari beginnt sein Buch mit der Entstehung des Islam als Offenbarung Mohammeds bis zu dessen Tod im Jahre 632 n. Chr. Er beschreibt die konfliktreiche Konsolidierung und Expansion des muslimischen Staatswesens unter den ersten vier »rechtgeleiteten« Kalifen bis 661 n. Chr, den Ummayaden (bis 750 n.Chr.) und den folgenden Abbasiden. Am Ende war ein islamisches Gebiet entstanden, das sich von Cordoba bis an die Grenze des chinesischen Einflussgebietes und Teilen Afghanistans erstreckte. Das ist zu viel Land für Regionalgeschichte.
Im Kapitel »Gelehrte, Philosophen und Mystiker »erhält der Leser Einblick in die Geisteswelt des bis heute als golden bezeichneten Zeitalters des Islam. Das Kapitel »Chaos« wirft Licht auf die historische Perspektive der Muslime. Ansary sieht nicht etwa die Kreuzzüge als die große Herausforderung für den Islam. Er weist nach, dass die wirklich große Katastrophe für die islamische Welt der Einfall der Mongolen im 13. Jahrhundert war. Mit dem Fall Bagdads anno 1258 schien sich Gott von ihnen abgewendet zu haben. Die Schriften Ibn Taimiyyas (1263-1328) entstanden. Sie forderten eine Rückbesinnung auf die Tage des Propheten und fehlen bis heute in keinem Bücherschrank fundamentalistisch orientierter Muslime. Die »Wiedergeburt« der islamischen Welt ist für Tamim Ansary die Zeit der drei großen Reiche von 1263 bis 1600. Hier herrschten die Osmanen über Teile Europas, Kleinasien, Nordafrika und die arabische Halbinsel, die Safawiden über den heutigen Iran, Afghanistan und Pakistan, die Moguln in weiten Teilen Indiens.
Der Westen kam nach Osten im Zeitraum von 1500 bis 1850, erschloss Märkte und stellte Fachpersonal in Militär und Verwaltung, um dann die Macht zu übernehmen. Erstmals hatte die islamische Welt mit Invasoren zu tun, die keinerlei Bereitschaft zur Integration zeigten und den Islam schlichtweg negierten, stellt Ansary fest. Doch die islamische Welt war auch in eine hausgemachte Krise geraten, die in den Reformbewegungen vom 18. bis ins 20 Jahrhundert ihren Ausdruck fanden.
Wie soll Identität mit Veränderung in Einklang gebracht werden? Eine hoch aktuelle Frage. Den säkular oder zumindest nicht fundamentalistisch orientierten Eliten der islamischen Welt ist seit 30 Jahren eine Konkurrenz erwachsen, die im politischen Islam eine Lösung aller Probleme sieht. Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan sind nur die bekanntesten Beispiele für Gesellschaften auf der Suche nach einer Identität, die Vergangenheit und Zukunft vereint.
Tamim Ansary: Die unbekannte Mitte der Welt. Globalgeschichte aus islamischer Sicht. Campus Verlag, Frankfurt am Main. 367 S., geb., 25,60 €
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