In der Welt der »Taktirstöcke«

Die weltgrößte Ausstellung von Dirigentenstäben ist in Stralsund zu sehen

  • Martina Rathke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Einen besonderen Blick auf die europäische Musikgeschichte gewährt das Kulturhistorische Museum in Stralsund mit seiner neuen Ausstellung von historischen Taktstöcken. Mit insgesamt 135 Einzelstücken sei die Schau die weltweit umfassendste Ausstellung von Dirigentenstäben, sagt Direktor Andreas Grüger.

Stralsund. Sie glänzen golden, sind mit Edelsteinen besetzt oder bestehen aus Elfenbein sowie Ebenholz. Die Taktstöcke, die das Stralsunder Kulturhistorische Museum von Freitag an zeigt, sind vermutlich so individuell wie deren Besitzer. Nicht nur Orchester, sondern auch Liedertafeln und Sängervereine wurden seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit »Taktirstöcken« geführt – die Nachfrage wuchs beträchtlich, der Einfallsreichtum bei der Gestaltung der 20 bis 50 Zentimeter langen Stücke war enorm.

Erstmals präsentiert das Stralsunder Kulturhistorische Museum nun eine umfassende Ausstellung mit historischen Stücken und gewährt damit teilweise skurrile Einblicke in die Geschichte der Dirigentenstäbe. So ziert die Büste Richard Wagners das Endstück eines Stabes. Der Taktstock aus dem Jahr 1939 sieht edel aus, ist aber aus Bakelit – einem Ebenholz-Imitat – gefertigt. Als eines der wertvollsten Exemplare gilt ein vergoldeter und mit Edelsteinen besetzter Stab aus dem Jahre 1874.

Drei Privatsammler aus Weimar, Berlin und Wilhelmshaven haben für die Schau Taktstöcke zur Verfügung gestellt. Einer der drei Sammler, Rudolf Kaiser, hatte das Museum auch – angeregt durch eine Spazierstock-Ausstellung, die er 2006 in Stralsund sah – auf die Idee für eine weitere Sonderschau mit Dirigentenstäben gebracht. »Die Gemeinschaft der Taktstocksammler in Deutschland ist überschaubar«, berichtet der Wilhelmshavener Sammler Lothar Zeugner. Er selbst habe sich faszinieren lassen von der Kunstfertigkeit, mit der die Taktstöcke gefertigt wurden. Zeugner fing 1980 Feuer, als er bei einem Antiquitätenhändler einen Stab liegen sah. Inzwischen besitzt er nach eigenen Angaben 184 Stück, die er auf Auktionen ersteigerte, in Antiquitätenläden oder im Internet fand.

Rudolf Kaiser aus Weimar hat sich mit der Historie der Taktstöcke beschäftigt und den Katalogtext für die Ausstellung verfasst. Noch im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts sei der Bedarf an Taktstöcken mit großer Wahrscheinlichkeit von Gold- und Silberschmieden gedeckt worden, die mit Drechslern zusammenarbeiteten, berichtet er. Im Jahr 1876 gründete Ernst Lassig in Dresden eine Elfenbeinschnitzerei, die sich auf Taktstöcke spezialisierte. Um 1900 hatte sich dann das für den Instrumentenbau bekannte Vogtland auch zu einer Domäne für Taktstöcke entwickelt.

Carl Maria von Weber (1786-1826), so heißt es, war einer der ersten Dirigenten neuer Prägung, die vom Podium herab mit einem Taktstock die Musiker führten. Zuvor gaben Künstler wie Carl Phillip Emmanuel Bach (1714-1788) noch vom Cembalo oder Klavier Takt und Tempo vor. Jean Baptiste Lully (1632-1687) soll bereits mit einem langen schweren Stab gearbeitet haben, den er im Takt auf den Boden schlug. Bei einem Konzert 1687 soll sich Lully dabei den Zeh verletzt haben. Er bekam Wundbrand, weigerte sich den Zeh amputieren zu lassen – und starb zwei Monate später.

Möglicherweise hat dieser Fall die Taktstöcke später deutlich graziler werden lassen.

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