Aufstieg ins Unwegsame

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Papier liegt auf der Vorbühne des Theaters Zwickau, ein Eintrag von schwungvoller Hand füllt als Projektion die gesamte Kurtine aus. Zur »Träumerei« aus den »Kinderscenen« betreten elf Akteure durch den Saal die Szene, heben die Blätter auf, lesen still. Episteln sind es wohl, wie das spätere Paar Robert Schumann und Clara Wieck sie sich zahlreich schrieb. Zum 200. Geburtstag des Musikergenius, besonders in der Heimatstadt gefeiert, steht auch das neuformierte Ballett nicht zurück. »love.song. letters« nennt Torsten Händler, was eher an Rap erinnert, sich indes als tänzerischer Gruß aus dem Reich der Empfindsamkeit erweist.

Auf Schumanns filigrane Gebilde für Klavier setzt Händler fast ausschließlich, bietet auch den Impromptus von Clara Wieck ein Podium sowie Schumann-Bearbeitungen für Violoncello von Steffan Claußner.

Nicht eben harmonisch verlief das Leben des Zwickauer Meisters, der gemeinsame Ahnen mit Lessing hat, sich kurz zu künstlerischem Flug aufschwang, bald ermattete, möglicherweise durch frühe Infektion mit Syphilis; der erst die Heirat mit Clara ertrotzen, sich dann gegen ihren Erfolg als Pianistin behaupten musste; der weder als Dirigent noch als Pädagoge Fuß fassen konnte, aber Verantwortung für acht Kinder trug. Sprung in den winterlichen Rhein aus Verfolgungswahn, Heilanstalt, wo er, 46-jährig, infolge Nahrungsverweigerung starb, bilden das Finale.

In zwölf Episoden fragmentiert der Choreograf jene Biografie, greift heraus, was tanzbar ist, wagt eigenen Kommentar. Allein vier Darsteller schlüpfen in die Rolle des Komponisten, stehen für Lebensalter, treten zeitweise gemeinsam auf.

Mit einer Frau besetzt ist der jugendlich Hoffnungsfrohe, Geliebte umschwärmen den Jüngling, ernst agiert der Künstler, hingebungsvoll der Ehemann. Mittelpunkt der Szene ist Lisa Ueberbachers Staffelbau aus Kisten und Podesten. Immer wieder fährt die Drehbühne ihn in eine andere Position, zur düster pittoresken Maya-Pyramide während des zentralen Liebesduetts der Eheleute, dann wieder zum Spitzberg aus transparenten Holzteilen, die auch Behausung sein können. Solchem Aufstieg in unwegsamem Gelände, wie ihn die Figuren nachzeichnen, mag Schumanns Weg geglichen haben.

Schon eingangs deutet sich das an, wenn seine Inkarnationen zu bedrohlichem Celloklang zusammenprallen. Ihnen gesellen sich, Streifen im Gesicht, zwei symbolische Gestalten zu: der feurige Florestan und der sanfte Eusebius, beziehungsvolle Pseudonyme, unter denen Schumann in der Tradition seiner Ära publizierte. Sie werden um den Todwunden am Ende streiten, ihn unter sich begraben.

Sie tauchen als Namen auch in »Carnaval« auf, grundieren hier die unbeschwerten Flirts des Jünglings, die zu den Walzern der »Papillons« ihren Höhepunkt finden. Zwei »Davidsbündlertänze« tragen die frostige Begegnung mit Friedrich, die lichtvolle mit Tochter Clara Wieck.

Wenn Tänzer im Sitzen Fingergriffe üben, zitiert das Schumanns zähes Ringen um pianistische Bravour, das mit bleibender Lähmung endete. Claras Liebe in live gelesenen Briefen tröstet, die »Fantasie« als langes Duett um Anlehnung, Geborgensein, Leidenschaft birgt die innige Umarmung und schließt mit einer Hebung: Überkopf trägt Robert seine Clara ins Ungewisse. Drei Lieder stehen für die Hausmusik der Schumanns, bis Roberts Zerrissenheit, befeuert von wühlender Klaviersonate, alles bricht. Erst mit der »Träumerei« kehrt der Frieden des Beginns zurück: Das Blatt aber sinkt den Akteuren aus der Hand.

Wie Natalia Posnova, auch sie in biedermeierlichem Gewand, auf dem Berg vom Flügel aus dem 75-minütigen Abend Klangdelikatesse gibt, ergänzt Händlers moderne, hoch organische Bewegungskultur kongenial. Selbst die dramatischen Momente geraten nirgendwo untänzerisch schroff. Sebastian Uske und, auch äußerlich Robert nahe, Vladislav Vlasov; Kojiro Suzuki und Eduard Nicolae Taranu als Symbolgestalten; die warmherzige Maki Taketa als Clara sind Teil einer homogenen Compagnie, die rasch ihr Publikum gefunden hat: Ist Händlers »Cinderella« ständig ausverkauft, dürfte sein Kammertanz um die Schumanns ähnliche Resonanz erfahren.

»love.song.letters« und »Genoveva« sind ab September 2010 wieder in Zwickau sowie im Vogtlandtheater Plauen zu sehen.

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