»Kongo-Konferenz« in Schwerin
Sechs Kreise, zwei Städte: Mecklenburg-Vorpommerns Gebietsreform ist beschlossen. Doch es werden Klagen erwartet
Es hätte ein spannendes »Public Viewing« werden können am Mittwoch in Schwerin, schon lange vor dem Fußballspiel. Auf sechs Stunden war die abschließende Debatte über die Kreisreform im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern angesetzt – und die Landtagsverwaltung hatte eigens für eine Übertragung am See gesorgt. Doch die »Fans« blieben lieber vor dem Schloss.
Alle gegen Alle
Bestens organisiert waren etwa die »LuLus«, die in Gelb für Ludwigslust als Kreissitz von »Südwestmecklenburg« warben – nicht weit von der Parchim-Fraktion, die genau dies verhindern wollte. Anklamer protestierten gegen ein »Südvorpommern« unter Greifswalder Ägide, Greifswalder wollten das Gegenteil. Oder gar keine Reform. Auch viele Wismarer wollen »frei« sein – und »Rügen bleibt Rügen«: Gleich fünf Kundgebungen waren angemeldet, ein Hauch von »Alle gegen Alle« in Schwerin. Besonders zwischen Anklam und Greifswald eskalieren Emotionen: Ein Flyer der Bodden-CDU für die Kreisfreiheit wird in Anklam als beleidigend aufgefasst.
Vielleicht machte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) angesichts des Demo-Spaliers deshalb so ein vergnügtes Gesicht: Die Schilder neutralisierten sich gewissermaßen einander. Und Sellering konnte sich seiner Mehrheit sicher sein, auch wenn drei Koalitionsabgeordnete ein Ausscheren angekündigt hatten. Unverdrossen verteidigte er die Reform: Bei sinkender Bevölkerungszahl und in Erwartung des Solidarpakt-Auslaufens gebe es keine Alternative, die Reform baue Doppelzuständigkeiten ab und sichere eine »zukunftsfähige« Verwaltung. Genau dies bestreitet die Opposition. Zwar ist auch die Linkspartei der Meinung, dass eine Reform unumgänglich sei – doch so gehe es nicht, sagt Peter Ritter. Der Linkspartei-Innenexperte bemängelt, dass mit der Gebietsreform keine Verlagerung von Verwaltungsaufgaben in größerem Maßstab verbunden sei. Die einst von Rot-Rot in Schwerin angeschobene Reform, die 2007 vor dem Landesverfassungsgericht scheiterte, hatte tausende Stellen vom Land »nach unten« verlagern wollen. Jetzt geht es nur noch um 300.
Vor allem aber argumentiert die Opposition, der Zuschnitt der Kreise und die Wahl der Kreissitze sei willkürlich, teils per Kuhhandel erfolgt. Zyniker sprachen im Vorfeld sogar von einer Schweriner »Kongo-Konferenz« – in Anlehnung an jene historische Konferenz der alten Kolonialmächte, bei der einst Afrika aufgeteilt wurde. Lange hatte sich der Gesetzgeber vor der heiklen Kreisstadt-Frage sogar drücken und sie einfach Bürgerentscheiden überlassen wollen.
Am rot-roten Modell hatte das Verfassungsgericht neben der überzogenen Kreisgröße bemängelt, dass sich der Zuschnitt zu wenig am Bürger orientiert habe und Alternativen nicht geprüft worden seien. CDU-Innenminister Lorenz Caffier, damals Kläger, kann nun zwar auf sechs Kreise und zwei kreisfreie Städte statt des rot-roten Fünf-Kreise-Modells verweisen – und auf ein Beteiligungsverfahren mit Enquete-Kommission sowie diverse Anhörungen. Doch auch wenn diese oft kritisch ausfielen, an den Plänen hat sich nicht viel geändert. Dass dann plötzlich Greifswald Anklam und Parchim Ludwiglust ersetzen sollten, war für viele sachlich nicht nachzuvollziehen.
Widerspruch angemeldet
Nun ist beschlossen: Südwestmecklenburg mit Sitz in Parchim, Nordwestmecklenburg um Wismar, Mittleres Mecklenburg um Güstrow, Nordvorpommern um Stralsund, Südvorpommern um Greifswald und Mecklenburgische Seenplatte um Neubrandenburg. Ob das Modell auch gerichtsfest ist, wird sich zeigen, mögliche Kläger haben sich schon gemeldet. Die Debatte um die Nordost-Kreisreform könnte also weitergehen. Sie ist ja auch erst im 13. Jahr.
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