Wir alle sind Forscher

Im Interview sagt Dani Levy, Regisseur des Films »Das Leben ist zu lang« , was Glück für ihn ist

  • Lesedauer: 4 Min.

ND: Herr Levy, ist das Leben nicht eher zu kurz?
Levy: Der Titel soll eine Diskussion entfachen, was Lebenszeit bedeutet. Ist das Leben nur Quantität oder nicht vor allem auch Qualität? Christoph Schlingensief hat seine 49 Jahre intensiver und ergiebiger gelebt als andere, die 100 Jahre alt werden. Ich glaube, die meisten von uns leben zu hektisch. Wenn wir nur ein wenig bewusster und verlangsamter leben würden, wird die Zeit wirklich wertvoller. Wie man das Leben wahrnimmt, was es für den Einzelnen in seiner Werthaltigkeit bedeutet, was man sich erträumt hatte und wo man steht – über diese Bilanz reflektiert man in unserem Alter.

Also ist der Film ein Abbild Ihrer eigenen Midlife-Crisis?
Sie täuschen sich, das ist kein Film über mich, obwohl ich nichts dagegen habe, durchzuscheinen. Ich stecke, seit ich denken kann, in einer Krise. Ich bin voller Selbstzweifel und Fragen mir selbst gegenüber. Vielleicht ist deshalb die große Lebenskrise ausgeblieben.

Mit jedem Film müssen Sie beim Fernsehen oder bei den Filmförderern um Geld betteln. Nervt das?
Es gehört zum Filmemachen dazu. Wenn ich nicht betteln wollte, müsste ich billigere Kunst machen. Überall sitzen die Leute, die das Geld haben, am Drücker, nicht nur in der Filmbranche. Der Filmproduzent in unserem Film ist ein Prototyp unserer Gesellschaft. Er hat schon lange nichts mehr auf die Reihe gekriegt, trotzdem hat er noch Macht und spielt sie aus, was beim Filmemacher Alfi Seliger zu Versuchungen und Enttäuschungen führt. Es geht also nicht nur ums Filmgeschäft, es geht um Kämpfe in unserer Gesellschaft, die jeder nachvollziehen kann, der keine Macht hat. Ich finde, man sollte auch mit wenig Geld überlegen, was einen erfüllt und glücklich macht.

Sie gehören zu den Gründern der unabhängigen Berliner Produktionsfirma X-Filme, die in den 20 Jahren ihres Bestehens wirtschaftlich gute und schlechte Zeiten gesehen hat. Haben Sie dort dieses Glücksgefühl gefunden?
Ich glaube schon. Jeder von uns bei X hat eine sehr individuelle, eigenwillige Haltung und Vision vom Kino. Aber was wir gemeinsam haben, wir sind alle Idealisten. Und Forscher. Wir wollen eine neue Schicht ausgraben und Neues probieren. Wir wollen die Zuschauer emotional und unterhaltsam mitnehmen auf eine Reise, aber sie nicht für dumm verkaufen und schon gar nicht langweilen. Das wird in Deutschland immer wieder als Widerspruch empfunden. Wir haben Kommerz-Filme, die über den Filmgenuss hinweg kaum nachhaltig sind. Auf der anderen Seite viele tolle, verstörende, eigenwillige Filme, die kein Publikum finden.

Vielleicht will das Publikum aus dem Alltag entführt werden?
Vielleicht das Mainstream-Publikums. Es will nicht unbedingt Brüche, Widersprüche und Zäsuren und Fragmente sehen. Ich habe das Gefühl, wir rennen im Kino immer weiter in eine perfektionierte Welt, in der das Bild immer glatter wird. Die Hochglanz-Geschichten sind raffiniert gebaut. Sie wollen dich auf ihre Reise mitnehmen, lassen dich nicht wieder los. Ich kann das gut verstehen. Ich bin ja selber ein Freund der Achterbahn und wilden Sachen, aus denen ich nicht raus kann. Trotzdem glaube ich, dass es ein wachsendes Publikum für unsere Filme gibt, die sich eine gebrochenere und durchlässigere Realität im Kino wünschen.

Die Bilder des Mainstream-Kinos haben mit dem Leben aber meist wenig zu tun?
Das ist für mich eines der zentralen Themen des Films, wie Kunst und Bilder Realität verwerten, wie sie Einfluss auf die Realität haben. Wir sind heute ständig künstlichen Bildern ausgesetzt, das ist unsere mulitmediale Welt. Diese Entwicklung wird sich verstärken je mehr wir uns verdrahten. Ist das überhaupt noch real, was da abgebildet und kommentiert wird? Entspricht das dann noch unserem Inneren? Es geht heute immer weniger um Inhalte, sondern um Schein und Sein, um Imagepolitik. Das wollte ich auf die Schippe nehmen nach dem, was mir nach »Alles auf Zucker« und »Mein Führer« begegnet ist.

Haben Sie deshalb besonders betont, Ihre Befindlichkeit als Regisseur jüdischen Glaubens in Deutschland zu reflektieren?
Ich fühle mich als Jude und bin es gerne. Es bleibt mir auch gar nichts anderes übrig. Mit großer Selbstironie haben wir Juden uns immer über uns selbst lustig gemacht. Krisen sind sicherlich nicht unser Privileg. Das wäre ja noch schöner für euch, wenn das so wäre. Nein, die jüdische Kultur betont die Widersprüchlichkeit und Unlogik des Lebens, stellt Licht neben Schatten, Lachen neben das Weinen. Das Tragische ist immer die Basis des Komischen. Das hat auch mit Psychoanalyse zu tun. Nicht nur kulturell geprägt, sondern schon über die Gene angelegt, scheinen wir einen Hang zu haben, mit uns sehr kritisch ins Gericht zu gehen.

Fragen Katharina Dockhorn

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