Cool, knapp, packend
»Kaffee trinken anderswo« – acht Geschichten von ZZ Packer
Warum Kurzprosa im deutschen Sprachraum weniger ernst genommen wird, als der obligatorische »große« Roman, während sie in anderen Literaturen, etwa der amerikanischen, jenem durchaus ebenbürtig ist, darüber lässt sich lange forschen. Dass es so ist, nun ja: Es ist so. Mit dem Effekt, dass etwa die amerikanische Literatur immer wieder Erzählerinnen und Erzähler hervorbringt, deren »Stories« weit mehr vom Leben erzählen als so mancher Roman.
Eine von diesen brillanten amerikanischen Erzählerinnen der neueren Generation ist die 1973 geborene ZZ Packer, deren erstes Buch von 2004 nun auch in deutscher Übersetzung erschienen ist: »Kaffee trinken anderswo«.
Der Band enthält acht Geschichten aus (afro)-amerikanischen Milieus, über die man beim Lesen nie sicher ist, ob sie einem vertraut oder komplett fremd vorkommen; die Klischees des USA-Mainstreams, an denen die Autorin sich zweifellos reibt, sind ja dank Film und Fernsehserien auch hierzulande eine feste Schablone.
Doch ZZ Packers Protagonistin an der Yale-Universität ist eben keine begüterte Cheerleader, sondern eine (nicht nur durch die Hautfarbe) krasse Außenseiterin, die sich Studium und Leben durch Jobben in der Kantine finanzieren muss. In einer anderen Geschichte fährt ein junger Mann seinen gerade aus dem Gefängnis entlassenen Vater quer durch die USA zu einer Großdemonstration der Schwarzenbewegung – nur um ihn dort wieder abstürzen zu sehen.
Noch krasser ist die Geschichte von Dina, einer jungen Frau aus Baltimore (das sie »normalerweise« nicht hätte verlassen dürfen), die sich mit anderen gestrandeten Weltenbummlern illegal in Tokio durchschlägt und in der Glitzerstadt fast verhungert.
Durchaus »amerikanisch« dabei ist der ironische Ton, der den letztlich brutal tragischen Geschichten ohne wirklichen Ausweg eine geradezu irre Komik entlockt:
»›Versuchen Sie hier einen Job zu finden, oder was?‹ Ja. Das war's. Sie war auf der Suche nach einem Job. ›Ja, tu ich. Hätten Sie einen?‹
›Schätzchen, ich hab sogar zwei Jobs, aber das sind meine. Wie alt bist du überhaupt?‹«
Tja, die Protagonistin dieser Geschichte, ist 14, von Zuhause ausgerissen, vor der bigotten Religiosität ihrer Großtante, und auf der Suche nach ihrer drogenabhängigen Mutter. »In Zungen reden« heißt der Text und bricht, wie die meisten anderen, ohne ein Happy End ab. Immerhin Solidarität erfährt die Protagonistin, als sie, anstatt ihre Mutter zu finden, auf der Straße landet, von anderen Gestrandeten – ohne dass dies je in romantische Verklärung abglitte. Am Ende rennt Tia wieder, gehetzt und getrieben: Es gibt keine Heimat, nicht in und nicht außerhalb der Gesellschaft.
ZZ Packers »Stories« sind cool, knapp und so packend geschrieben, dass sie meist kein Wort länger sein dürften. Miniaturen wäre dafür sicher das falsche Wort. Kurzromane? Stories klingt auch zu lakonisch.
Übrigens hat die Autorin bisher kein weiteres Buch mehr veröffentlicht, publiziert wieder (wie in Amerika üblich) in Zeitschriften. Zurzeit arbeitet sie aber – so heißt es – an einem Roman.
ZZ Packer: Kaffee trinken anderswo. Stories. Übersetzt von Giovanni und Ditte Bandini. A1 Verlag. 280 S., geb., 19,80 €.
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