- Kultur
- Buchmesse Frankfurt am Main
Hilferuf eines Soldaten
AFGHANISTAN
Der Krieg war verloren, ihre Seele auch.« In diesem Satz artikuliert sich die Botschaft des Buches, das ich allen Bundestagsabgeordneten als Pflichtlektüre verordnen würde, wenn es denn in meiner Macht stünde. Jede Parlamentarierin, jeder Parlamentarier sollte wissen, spüren, verinnerlichen, dass sie oder er mit ihrem Abstimmungsverhalten Verantwortung über Leben und Tod übernehmen. Nicht nur der Afghanen, sondern auch für tote und verletzte Bundeswehrsoldaten.
Ja, die Soldaten gehen freiwillig nach Afghanistan. Es sind erwachsene Menschen, sie wissen oder müssten wissen, was sie tun. Sie sind dafür ausgebildet, andere Menschen zu verletzen oder gar zu töten. Und sie wissen natürlich auch, dass sie selbst verletzt oder gar getötet werden können. Doch diese Gefahr wie auch das Schuldigwerden im Krieg verdrängen viele. Die offizielle Propaganda, die über Jahre die Bundeswehrsoldaten als Entwicklungshelfer in Uniform, als Frauenbefreier und Demokratieüberbringer darstellte, wirkt in den Köpfen der Soldatinnen und Soldaten. Gewiss, das soll hier nicht verschwiegen werden, lockt manchen auch Abenteuerlust oder der entschieden höhere Sold, der bei Auslandseinsätzen fällig wird.
Im Vorwort schreiben die Autoren des hier anzuzeigenden Buches, »für Soldaten geht es um Leben oder Tod, da verbietet sich das Schweigen«. Das trifft aber auch auf die Frauen, Kinder und Männer in Afghanistan zu. Der Satz: »Schluss mit dem Schweigen!« ist dick zu unterstreichen.
Ich war nie Soldat. Das Buch hilft mir, mich in eine Welt hineinzudenken, die mir fremd ist. Die Kritik der Autoren an den Politikern leuchtet mir sofort ein. »Wie viele Situationen zwischen Leben und Tod soll ein Soldat wohl klaglos überstehen, wie viele Debatten zwischen Politikern schweigend zur Kenntnis nehmen, bevor er offen und ehrlich darüber nachdenken darf, ob nicht das eine oder andere Mal Blut deutscher Soldaten vergossen wurde, weil notwendige Schutzausrüstung nicht vorhanden war?« Selbstverständlich müssen Soldaten das bemängeln. Auch der Bundestag meint mehrheitlich, »unsere« Soldaten müssen besser ausgerüstet werden. Vor allem die Kollegen von der FDP und der CDU sind sich da einig. Mehr und bessere Waffen nach Afghanistan, fordert auch Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg. Beschwerden über schlechte Ausrüstung und unzureichende Bewaffnung werden von der Bundeswehrführung offensiv genutzt. Meine Forderung hingegen im Sinne der Bundeswehrsoldaten lautet: Raus aus diesem Krieg!
Das Buch ist ein Antikriegsbuch, wenn auch einiges befremdlich wirkt, zumindest für Ungediente. Andreas Timmermann-Levanas, 24 Jahre Berufsoffizier, nimmt seinen Abschied aus der Bundeswehr. Er will noch einmal die Fahne grüßen. Sie hätte ihm auch in Afghanistan signalisiert, »wir verstecken uns nicht, hier ist Deutschland«. Er schreibt: »Ich nehme die Grundstellung eines Soldaten ein, stehe vor der Truppenfahne, grüße militärisch und melde mich ab. Der letzte Gruß als Soldat.« Mich gruselt es bei diesem Bild.
Ich habe bis dato alle Einladungen von Verteidigungsministern, an Trauerfeiern für »gefallene« Soldaten teilzunehmen, abgelehnt. Dem vormaligen Minister Franz Josef Jung schrieb ich: »Wie gehen Sie mit dieser Last um?« Er hat nicht geantwortet.
Wer will schon die Last eines Krieges tragen? Bislang, so die Autoren, waren 280 000 deutsche Soldaten in einem Auslandseinsatz. Dutzende haben diesen mit dem Leben bezahlt, Tausende sind verwundet oder traumatisiert. Die Dunkelziffer der Fälle von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTB) wird auf ca. 20 000 geschätzt. Timmermann-Levanas, selbst Opfer dieser Krankheit, schildert Äußerungsformen und berichtet über die Hartherzigkeit der Bürokratie. Diese bedrückenden Passagen gehören zu den Stärken des Buches. »PTB kann jeden treffen wie ein Geschoss, das unsere Splitterschutzwesten durchschlägt. Das traumatische Erlebnis zerschlägt unseren inneren Schutzpanzer und zerstört Stück für Stück und unwiederbringlich unsere Seelen. PTB ist eine schwere Verwundung. Zeitlebens.«
Vielleicht, so denke ich, war dieses Buch Teil einer Therapie. Es ist in einem raschen Tempo geschrieben, es strahlt keine Ruhe aus, sondern Verletzung. Es musste offensichtlich geschrieben werden und sollte als ein Hilferuf verstanden werden. »Über zwanzig Jahre habe ich in der Truppe meinen Mann gestanden, war Vorbild, habe in Einsätzen mein Leben riskiert, Leben gerettet, mein eigenes verteidigt – jetzt bin ich Patient in der Psychiatrie!« Dies ist die Bilanz einer Zerstörung, einer selbst- und fremdverschuldeten Zerstörung. Die Politik ist gefordert.
Andreas Timmermann-Levanas/Andrea Richter: Die reden – Wir sterben. Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden. Campus Verlag. 268 S., geb., 18,90 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.