Rot, roter?
Frankfurter Buchmesse: Bahr, Höppner
Sie scheinen ein Herz und eine Seele sein. Hier ist offenbar zusammengewachsen, was zusammengehört, wie es sich dereinst Willy Brandt wünschte. Egon Bahr und Reinhard Höppner haben gemeinsam ein Buch verfasst: »Die SPD und die Linke« (120 S., 10,00 Euro). Buchvorstellung in Frankfurt am Main. Die beiden Sozialdemokraten, der eine westlicher, der andere östlicher Provenienz, der eine mit über fünfzigjähriger, der andere mit zwanzigjähriger Parteimitgliedschaft, treibt Sorge um. Zuvörderst Sorge um ihre Partei.
»So ärgerlich es für die SPD sein mag, dass sich auf dem linken Spektrum eine neue Partei etablierte, sie muss auf absehbare Zeit mit einem System von fünf Parteien rechnen«, so die nüchterne Erkenntnis beider. Beide stellen Forderungen an die SPD: Sie müsse sich wieder ihrer Stärken besinnen (zentrales Thema: Gerechtigkeit), dürfe keine Berührungsängste gegenüber der LINKEN zeigen, sich durch den Blick in die Vergangenheit nicht den Blick in die Zukunft verbauen, müsse Abstand nehmen von negativen Koalitionsaussagen sowie Mut haben, Neues zu denken.
Höppner hat acht Jahre lang eine von der PDS geduldete Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt geführt. Er war seinerzeit, wie er sich am Stand von Vorwärts Buch erinnerte, heftig beschimpft worden: »Ich würde mit der PDS ins Bett gehen, hieß es. Eine schlüpfrige Vokabel.« Worauf Bahr scherzhaft einwandte: »Wieso? Ins Bett gehen, ist doch nichts Unanständiges.« Wohl wissend um die Beschädigung, die mit ähnlichen Vorwürfen seine Parteikollegin Andrea Ypsilanti erlitt. »Ich war ein kalter Krieger«, bekannte Bahr. Der Bau der Mauer aber habe zum Umdenken geführt. Denn es war klar, dass niemand wegen »dieser Deutschen einen Krieg anzetteln würde, weder die Amerikaner noch die Russen. Da mussten wir nachdenken, wie es uns gelingt, Risse in die Mauer zu bringen«. Bahr hat über Jahrzehnte mit Kommunisten gesprochen, diskutiert, verhandelt. Er hat ein Tabu gebrochen, sich hinweggesetzt über die »Mahnungen« aus allen politischen Lagern der Bundesrepublik, die meinten: »Mit Gefängniswärtern verhandelt man nicht.« Er war sich mit Brandt einig: Politik soll sich zum Teufel scheren, wenn sie den Menschen nicht hilft. Der Architekt der Neuen Ostpolitik ist überzeugt, damit den Weg zur deutschen Einheit mit geebnet zu haben.
Zwanzig Jahre später war es Höppner, der Tabus brach. »Als 89er Revolutionär wollte ich mir natürlich nicht zum Vorwurf machen, mit alten Funktionären der SED zu kungeln.« Aber: In der Realität ist immer alles anders. Ein ehemaliger Apparatschik, der die Umweltschützer und Friedensaktivisten in der DDR hart behandelt hatte, saß kurioserweise für die CDU im Magdeburger Landtag, der einstige Häftling im Stasi-Knast jedoch auf der Bank der PDS. Höppner: »Die Guten und die Bösen sind nicht nach den Buchstaben auf ihrem Parteiausweis zu erkennen.« Bahr, der nicht nur Geschichte geschrieben hat, sondern auch ein großartiger Geschichtenerzähler ist, gab kund, wie tief er nach dem Krieg über die Worte des aus dem Exil zurückgekehrten norwegischen Königs beeindruckt gewesen sei: »Ich bin auch der König der Kommunisten.« Und: Lange vor der staatlichen Vereinigung der Deutschen habe sein Freund Günter Gaus gesagt: »Wenn wir die Einheit ernsthaft wollen, müssen wir akzeptieren, dass eine große Partei, die sich linkssozialistisch oder kommunistisch nennt, bei uns zu Hause sein wird.« Eindeutig: In Frankfurt am Main plädierte ein sozialdemokratisches Duo für Rot-Rot. Mit Bedauern Bahr: »Theoretisch hätten wir schon bei der Bundestagswahl 2009 eine numerische Mehrheit mit der LINKEN gehabt.« Woran lag es, dass diese Mehrheit nicht genutzt wurde? Für den lang gedienten Sicherheitsexperten Bahr ist die LINKE auf Bundesebene »nicht zählbar«, so lange sie NATO und EU ablehnend gegenüber steht. Auch die knappe Stunde, die Egon Bahr anschließend beim Stand des ND weilte, war spannend, trotz, besser: gerade ob kontroverser Ansichten.
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