»Roma brauchen Perspektiven«
Europarat thematisiert größte Minderheit
ND: Was ist für Sie die Essenz der Roma-Debatte, die in der Parlamentarischen Versammlung stattgefunden hat?
Brasseur: Der erste Punkt ist, dass wir gemeinsam Lösungen für das Problem finden. Wir haben die Lösungen heute natürlich nicht gefunden. Aber ich glaube, es ist uns gelungen, die Vorgehensweise gemeinsam zu definieren. Ich glaube auch, dass der Vorschlag des Generalsekretärs des Europarats, Thorbjørn Jagland, sich am 20. Oktober mit den höchsten Instanzen zusammenzusetzen, wirklich der richtige Weg ist. Indem man sich wieder auf sich selbst konzentriert und die politischen Ansichten renationalisiert, können wir die Probleme der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft mit Sicherheit nicht lösen. Das ist das zweite. Und drittens können wir in unseren Staaten keine Zonen dulden, in denen kein Recht waltet. Normen und Gesetze müssen von jedem eingehalten werden. Egal, ob das die Einwohner des Landes oder Zugezogene sind. Der Staat muss die Möglichkeit haben, mit Prävention oder Repression zu reagieren. Man kann die Probleme nicht lösen, indem man verbale Ausrutscher benutzt, um in der nationalen Politik Punkte bei den Wählern zu sammeln. Damit stigmatisiert man eine ganze Gruppe von Menschen – und hier sind das eben die Roma.
Wo sind die Ansatzpunkte, was wird gemacht und wer zahlt?
Geld alleine löst das Problem nicht. Es gibt ja Gelder, die, glaube ich, auch reichen würden. Aber man muss sehen, wie man sie in den Herkunftsländern gezielt einsetzt. Das Problem geht viel weiter. Wir haben bei den Roma Männer und Frauen, die einer Gruppe angehören, die aber kein Land haben. Andere, die haben ein Land, auch wenn sie nicht in ihrem Herkunftsland wohnen. Wir müssen versuchen, Vertreter der Roma zu finden. Aber weil sie kein nationales Land als Herkunft haben, ist es sehr schwierig, die auszumachen.
Es gibt Roma-Vereinigungen ...
Ja, die gibt es und es gab hier auch Anhörungen. Doch bei diesen Anhörungen waren auch einige dabei, die sich zwar der Verteidigung der Roma verschrieben haben haben, Nichtregierungsorganisationen, die ich auch sehr gut finde, die aber selbst von ihrer Herkunft keine Roma waren. Und das ist problematisch. Wir müssen versuchen, die Stimme der Roma zu hören. Beispielsweise, und das müssen wir jetzt mit den Nationaldelegationen sehen, gibt es in verschiedenen Nationalparlamenten Abgeordnete, die von Herkunft Roma sind. Es wäre gut, wenn die Delegationen sie hierher schicken würden.
Warum erst jetzt? Die Problematik ist seit Jahrzehnten bekannt.
Wir hatten im Juni einen sehr guten Bericht im Europarat über die Roma-Situation. Da hat kein Mensch zugehört, fast keiner war im Plenum, es hat keinen Menschen interessiert, auch die Presse nicht. Mit den Vorkommnissen in Frankreich, die nicht hinnehmbar sind, war plötzlich Interesse da. Nicht nur von Parlamentariern, sondern auch von der Presse und damit der öffentlichen Meinung. Und ich hoffe, dass wir das jetzt nützen können, um etwas Positives daraus zu machen.
In der Debatte hieß es, dass sich die Roma integrieren wollen, und es wurde kundgetan, dass auch die Mehrheitsgesellschaft sie integrieren will. Warum mangelt es dann an Roma-Projekten?
Ich habe mich mit Menschen unterhalten, die tagtäglich draußen mit Roma arbeiten. Und die Problematik ist so vielschichtig. Viele kommen hierher, weil sie glauben, sie hätten hier ein besseres Leben. Und natürlich kommen die nicht irgendwohin, sondern zu Menschen der gleichen Herkunft. Damit ist es eine Gruppe, die sehr stark ist. Oft ist ihre Zahl so groß, dass verschiedene Kommunen damit nicht klarkommen. Man muss da versuchen, das richtige Maß zu finden. Ich würde beispielsweise vorschlagen, dass man die Gruppen, die hier sind, in kleinere Einheiten aufteilt, und dass die Kinder zur Schule gehen und dort nicht ausgegrenzt werden. Und das Wichtigste ist, dass man eine Beschäftigung für die Roma findet. Da kommen Menschen, die haben Talente, die man gebrauchen könnte. Sie sind musikalisch und handwerklich kreativ. Wir sollten das Positive betrachten und und ihre Stärken entwickeln. Die Roma brauchen Perspektiven.
Was ist Ihr Wunsch für die Roma-Konferenz am 20. Oktober?
Dass wir das Problem erkennen, auflisten und konkrete Lösungen finden. Und nicht, dass die Franzosen auf die Zuständigkeit der Rumänen verweisen und umgekehrt. Wir brauchen gemeinsame Lösungen. Ich hoffe, dass der Generalsekretär das machen kann. Unsere Plenarsitzung im Januar ist zu spät, aber wir haben im November den Ständigen Ausschuss, der sich damit befassen kann, und dahin soll unser Generalsekretär kommen, um dann zu sehen, wie wir als Parlamentarische Versammlung die Ergebnisse weitertragen können. Wir beschließen ja etwas und sind auch Parlamentarier in unseren Mitgliedsländern. Und da müssen wir ansetzen und unsere Regierungen in die Pflicht nehmen.
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