Wenn Fortschritt ruiniert

David R. Montgomery warnt vor dem Verlust an Ackerboden

  • Götz Brandt
  • Lesedauer: 5 Min.

Peak soil. Das ist kein Druckfehler. Es handelt sich nicht um den Peak Oil, das Fördermaximum von Erdöl, das wir nach Auffassung vieler Fachleute bereits überschritten haben. Hier geht es um »soil«, englisch: Boden. Der US-amerikanische Geowissenschaftler David R. Montgomery hat ein Buch über Ackerboden geschrieben. Der Vorrat an diesem geht langsam zur Neige.

Weltweit wurden seit 1860 etwa 800 000 Millionen Hektar Neuland urbar gemacht und der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt. Aber es gibt kaum noch Boden, der nicht genutzt wird. Der »Peak Soil« wurde in den 1980er Jahren erreicht. Die Nahrungsflächen sind rückläufig. Ebenso wie die Klimaerwärmung schreitet die Bodenerosion ganz langsam, selbst für Bauern, die den Acker beobachten, kaum wahrnehmbar, voran. Das sind für die Ernährungssicherheit der weiter wachsenden Weltbevölkerung keine guten Nachrichten.

Kräfte, die die Abtragung des Bodens bewirken, sind Wind und Wasser. Etwa ein bis zweieinhalb Zentimeter gehen je Jahrhundert verloren. Ackerboden ist für die Menschheit eine strategische Ressource, wird aber vom Kapital wie ein billiges Industrieprodukt behandelt. Montgomery weiß, wovon er spricht, er hat die Situation in vielen Ländern studiert.

Die Fruchtbarkeit des Bodens ergibt sich aus dem Bodenleben und dem Humusgehalt. In einem Kilogramm gutem Boden befinden sich mehr Organismen (Pilze, Bakterien, Viren usw.) als die gesamte Erde Menschen trägt. Lößböden sind die fruchtbarsten Böden. In tropischen Landschaften mit hohen Niederschlägen werden die im Boden befindlichen Nährstoffe durch den häufigen Regen ausgewaschen. Nährstoffe befinden sich in den Pflanzen. Sobald durch Rodung die Vegetation verschwindet, verliert auch der Boden seine Fruchtbarkeit. Gerodeter Urwald kann nur wenige Jahre landwirtschaftlich genutzt werden.

In der EU haben 45 Prozent der Böden einen kritisch einzustufenden Humusgehalt von weniger als zwei Prozent. Die Großbetriebe bauen vorwiegend Getreide an und halten kein Vieh mehr. Die Erträge werden über hohe Mineraldüngergaben gesichert und nicht durch Humuszufuhr aus Tierdung.

Die Lebensspanne von menschlichen Kulturen hängt davon ab, ob es gelingt, den Zustand des Bodens so zu erhalten, dass er als Grundlage für den Wohlstand vieler Generationen dienen kann. Die Mesopotamier, Phönizier, Griechen, Römer und die Majas konnten sich nur etwa 800 bis 1000 Jahre behaupten, wie Montgomerys aufschlussreicher historischer Exkurs belegt. Parallelen sind zu erkennen hinsichtlich der Besiedlung Nordamerikas durch die Europäer. Riesige Flächen Wald wurden gerodet, um neben der Eigenversorgung an Lebensmitteln Tabak für den Export nach England anzubauen. Tabak entzieht dem Boden viele Nährstoffe; man kann nur drei bis vier gute Ernten auf der gleichen Fläche erzielen. Über Jahrhunderte zogen die Siedler einfach weiter westwärts, wenn der Boden nichts mehr hergab. Im Landesinneren waren die Böden aber noch erosionsanfälliger als im Küstenbereich. Schon Thomas Jefferson erkannte die Krux: »Unsere gleichgültige Art der Bewirtschaftung rührt nicht allein von mangelndem Wissen her, sondern daher, dass uns so viel Land zur Verfügung steht, das wir verschwenden können, wie es uns gefällt.«

Exakter prophezeite Marx, dass jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, Boden fruchtbar zu machen, ist, »sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist ist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit«. Die industriemäßige Landwirtschaft ist eine sich selbst zerstörende Wirtschaftsform. Monokulturen, Mechanisierung und freiliegender Boden in der meisten Zeit des Jahres sind die Ursachen für die verstärkte Bodenerosion.

Mittlerweile hat die US-amerikanische Regierung begriffen, dass man gegensteuern muss und empfiehlt den Farmern das Konturpflügen, Terrassierungen, Zwischensaat, Mulchen, Fruchtwechsel und pfluglose Bodenbearbeitung. Maßnahmen, die zum großen Teil schon den alten Römern bekannt waren. Die industrielle Landwirtschaft kümmert sich aber aus Kostengründen um diese Ratschläge wenig, weder in den USA noch in Europa. Gegenwärtig gehen 30 Prozent unseres Erdölverbrauchs auf das Konto der Landwirtschaft. Wenn aber künftig Erdöl und Erdgas ausgehen, wird es keine billigen Stickstoffdüngemittel mehr geben. Auch andere Nährstoffe wie Phosphor und Kalium stehen nur begrenzt zur Verfügung. Der industriemäßige Anbau von Feldfrüchten ist also eine Sackgasse.

Zukunftsfähig ist nur die biologische Landwirtschaft. Das ganze Jahr über muss der Boden mit verschiedenen Kulturen bedeckt oder gemulcht sein, damit er vor den erosiven Niederschlägen geschützt wird. Zukünftig wird das auch in Europa zu einem Problem, denn zunehmend starker Regen setzt dem Boden zu. Wenn wir verhindern wollen, dass das Angebot an Nahrungsmitteln zukünftig rapide sinkt, dann muss die Landwirtschaft einer radikalen Umstrukturierung unterzogen werden.

Boden lässt sich nicht in für Menschen relevanten Zeiträumen ersetzen. Diese für die Menschheit unersetzliche und unentbehrliche Ressource erneuert sich nur im Schneckentempo. Wir können nicht mehr wie Generationen vor uns einfach wegziehen und neuen Boden aufsuchen, wenn die Ertragsfähigkeit nachlässt. Notwendig sind deshalb die Entglobalisierung der Landwirtschaft und eine Entwicklung hin zu kleinen regionalen Märkten, auf denen lokal produzierte Güter angeboten werden. Wenn wir die Lebensdauer unserer heutigen Zivilisation verlängern wollen, dann ist ein Umbau unserer Landwirtschaft zwingend erforderlich.

David R. Montgomery: Dreck. Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füssen verliert. Oekom Verlag, München 2010. 347 S., geb., 24,90 €.

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