Ferien mit Operation
Medizinische Behandlungen im Ausland sind oft kostengünstig
Bis zu vier Millionen Deutsche – so schätzt die EU-Kommission – begeben sich jährlich für eine Therapie außer Landes. Die Zahl könnte noch steigen: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger kann sich einer Umfrage zufolge vorstellen, zur Behandlung ins Ausland zu reisen.
Dort bedienen inzwischen zahllose Anbieter die rege Nachfrage. Sie locken im Internet mit vollmundigen Versprechungen und unterbieten sich gegenseitig mit Dumpingpreisen. Reisebüros erstellen für Augenoperationen in Istanbul Angebote samt Flug und Unterkunft. Das ungarische Tourismusamt wirbt für Zahnersatz und Kuren und leitet auf seiner Webseite Bundesbürger detailliert dazu an, einen Heilaufenthalt zu beantragen.
Seit 2004 muss die Krankenkasse den Besuch eines Arztes im EU-Ausland mit dem gleichen Betrag bezuschussen, der bei einem heimischen Mediziner angefallen wäre. Die Folgen dieser Regelung zeigt eine Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK) unter ihren Mitgliedern: Demnach waren noch im Jahr 2003 lediglich sieben Prozent der Auslandsbehandlungen vorher geplant. Das Gros der Arztbesuche fiel damals noch durch akute Probleme wie etwa Unfälle an. 2007 erfolgten schon 40 Prozent der Arztbesuche in fremden Ländern planmäßig.
Die meisten Medizintouristen zieht es nach Osteuropa – Tschechien, Polen und Ungarn. Einige Befragte kombinieren ihre Behandlung mit einem Urlaub. Aber die meisten Bundesbürger wollen schlicht sparen, wie Kai Vogel von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen berichtet. »Bei manchen Behandlungen steigt der Eigenanteil in Deutschland schnell auf mehrere tausend Euro«, sagt der Medizinsoziologe. »Da lockt die Kostenersparnis im Ausland.« Tatsächlich kann die Reise lohnen, sobald Patienten eine Therapie ganz oder teilweise aus eigener Tasche zahlen müssen. Beispiel Zahnersatz: Muss ein Patient hierzulande für ein Implantat mit Aufbau 1500 bis 4000 Euro berappen, bekommt er diese Leistung in Polen oder Ungarn für 800 bis 1700 Euro. Manche Zahnärzte kooperieren sogar mit deutschen Kollegen, damit Patienten die Nachsorge bequem im Inland erledigen können.
Und so beginnen viele Bundesbürger bei Gesundheitsproblemen zu rechnen – gerade wenn ihr Budget nicht üppig ausfällt. In der TK-Umfrage waren fast 80 Prozent der Medizintouristen über 60 Jahre alt, die meisten hatten ein monatliches Bruttoeinkommen unter 1500 Euro. Doch die günstigen Preise sollten den Blick nicht trüben: »Man sollte vorsichtig sein«, mahnt Vogel. In der Praxis, so die Erfahrung des Experten, lauern Tücken. So hängt die Behandlung nicht nur vom Fachwissen des Arztes ab. Wichtig ist auch die Qualität des Materials, etwa bei Zahnersatz. Besonders wichtig sind gute Sprachkenntnisse des Personals, damit man Probleme nicht auf Englisch oder per Zeichensprache erörtern muss.
Den Versprechungen der Anbieter sollten Interessenten nicht blind vertrauen. »Wir bemerken immer wieder, dass im Internet falsche Informationen kursieren«, sagt Frank Verheyen, Leiter des TK-eigenen Wissenschaftlichen Instituts für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG). »Dieses Defizit wollen wir durch gezielte Beratung auffangen.« Sein Angebot sollten Versicherte nutzen. Etliche Kassen kooperieren inzwischen mit europäischen Anbietern. Die AOK Berlin-Brandenburg arbeitet mit osteuropäischen Zahnarztpraxen zusammen, die TK unterhält Verträge mit 28 Kureinrichtungen und 88 Kliniken, die regelmäßig überprüft werden.
Wie wichtig eine solche Qualitätskontrolle ist, zeigt eine Stichprobe der Stiftung Warentest bei Lasik-Anbietern aus der Türkei. Dort kosten Lasereingriffe zur Behebung von Fehlsichtigkeit – in Deutschland für beide Augen meist mit Ausgaben zwischen 2000 und 6000 Euro verbunden – oft unter 1000 Euro. Erkauft wird der Sparpreis aber auf Kosten der Sicherheit, wie die Prüfung ergab. »Wichtige Teile der sonst üblichen Untersuchungen entfielen, eventuelle Risiken oder Ausschlusskriterien für eine Operation wurden nicht ermittelt«, berichtet die Stiftung.
Dennoch: Die TK-Umfrage zeigt, dass die Versorgung im Ausland nicht unbedingt schlechter ist als in Deutschland. Nur vier Prozent der Patienten bereuten ihre Entscheidung, 76 Prozent der Befragten waren zufrieden.
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