Fusionitis unter Börsenbetreibern
Der geplante Zusammenschluss Frankfurt-New York setzt die Konkurrenz unter Druck
Eine transatlantische Superbörse könnte entstehen, wenn die Deutsche Börse und NYSE Euronext ihre Fusionspläne in die Tat umsetzen.
Es gehört zu den Paradoxien des Börsenkapitalismus: Dieser setzt auf das weltweite Transferieren riesiger Geldsummen in Sekundenbruchteilen, doch viele Betreiber des Börsenhandels sind noch immer auf ihren nationalen Markt ausgerichtet. Dies liegt an traditionellen Strukturen, aber auch an politischen Widerständen. Erst im vergangenen Jahrzehnt setzte unter den Börsen eine nennenswerte Fusionswelle ein, die von der Finanzkrise ab Herbst 2008 jedoch abrupt beendet wurde.
Nun scheint die Fusionitis mit einem Paukenschlag zurückzukehren: Die Deutsche Börse und NYSE Euronext verhandeln über einen Zusammenschluss. Es gebe »fortgeschrittene Fusionsverhandlungen«, aber noch keine Übereinkunft, wie es heißt. Die Aktien beider Börsenkonzerne wurden am Mittwoch überraschend vom Handel ausgesetzt. Laut gemeinsamer Pressemitteilung sollen beide Unternehmen in eine neu zu gründende Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden eingebracht werden. Die Deutsche Börse wäre mit rund 60 Prozent Anteil der stärkere Partner. Insofern ist unklar, ob die Aktionäre von NYSE Euronext dem Deal zustimmen werden.
Auch die Kartellbehörden werden die Pläne wegen der Marktmacht der beiden Unternehmen genau unter die Lupe nehmen. Gemeinsam käme die transatlantische Superbörse auf ein jährliches Handelsvolumen von rund 21,5 Billionen Dollar. Mit der Fusion entstünde die größte Aktienbörse der Welt, die zudem den Handel in Kontinentaleuropa dominieren würde. Ferner würden die Terminbörsen-Töchter beider Häuser zum Marktführer in ihren Segmenten. In den USA entstünde mit einem Marktanteil von dann 43 Prozent die größte US-Optionsbörse.
Eine derartige Megafusion dürfte eine Kettenreaktion in der Branche weltweit nach sich ziehen. Für die Kunden eines Handelsplatzes – Anleger genauso wie Wertpapieremittenten und börsennotierte Aktiengesellschaften – ist dessen schiere Größe von Bedeutung. Dadurch wächst nämlich auch die Zahl potenzieller Geschäftspartner. Börsennotierte Konzerne könnte dies dazu bewegen, mit ihren Aktien an die neue Superbörse zu wechseln. Die boomende Börse von Hongkong guckt sich bereits in Asien nach Partnern um, schon Ende letzten Jahres kündigte die Singapore Exchange den Kauf der australischen ASX an. Die US-Technologiebörse Nasdaq hatte die skandinavische OMX übernommen.
Besonders groß wäre aber der Druck auf die westeuropäische Konkurrenz, vor allem die Londoner LSE und die Schweizer SIX. Diese stünden isoliert da, während andere regional wichtige Börsenplätze unter einem Dach agieren. Die Londoner, die vor der Finanzkrise zwei Übernahmeattacken der Deutschen Börse abgewehrt hatten, sind bereits auf Partnersuche und stehen kurz vor einer Fusion mit der Börse von Toronto. Damit würde ein Schwergewicht beim Handel mit Aktien von Rohstoffkonzernen entstehen, aber eben auch kaum mehr als Nischenanbieter.
Aber auch NYSE Euronext und Deutsche Börse sind Getriebene. Alternative Handelssysteme, die von Großbanken meist selbst betriebenen »Multilateral Trading Facilities« (MTFs), jagen ihnen nämlich Marktanteile ab. Der Betreiber Chi-X liegt im gesamteuropäischen Aktienhandelsvolumen mittlerweile auf dem zweiten Rang hinter der Börse London. In den USA ist Konkurrent BATS mit zehn Prozent Marktanteil auf den Fersen der Platzhirsche NYSE und Nasdaq. Die erst seit wenigen Jahren aktiven MTFs, die auf internet-basierten Handel setzen, locken mit geringen Gebühren, worunter die Margen im Aktienhandel leiden. Die herkömmlichen Börsenbetreiber verzeichnen dadurch massive Umsatz- und Gewinnrückgänge. Die Deutsche Börse reagierte darauf im vergangenen Jahr mit einem massiven Sparprogramm samt Stellenabbau – das Potenzial ist intern aber wohl ausgereizt. Synergien sollen nun Zusammenschlüsse bringen – im Fall einer Fusion mit NYSE Euronext werden diese auf jährlich 300 Millionen Euro beziffert.
Anders als beim Aktienhandel winken im Derivategeschäft noch immer üppige Renditen und auch steigende Umsätze. Dies hängt mit den neuen Spielregeln nach der Finanzkrise zusammen, wodurch diese Zockergeschäfte stärker an regulierten Handelsplätzen stattfinden sollen. In Europa wird dieses Geschäft von der Eurex, einer Tochter von Deutscher und Schweizer Börse, sowie von NYSE-Ableger Liffe dominiert. Doch auch hier könnte ernst zu nehmende Konkurrenz erwachsen: BATS will nämlich Chi-X kaufen – vor allem, um dann im Derivatehandel stärker mitmischen zu können.
Zahlen & Fakten
NYSE Euronext entstand 2006 beim Zusammenschluss der New York Stock Exchange (NYSE) mit der paneuropäischen Plattform Euronext. Zu letzterer gehören die Aktienbörsen in Paris, Brüssel, Amsterdam und Lissabon sowie die Londoner Terminbörse Liffe. Die NYSE existiert bereits seit 1792 an der Wall Street.
Die Deutsche Börse betreibt die Börse in Frankfurt, als deren Geburtsjahr 1585 gilt. Der Konzern ist an der Terminbörse Eurex beteiligt, Eigentümer des Wertpapierabwicklers Clearstream und betreibt die elektronische Handelsplattform Xetra. ND
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