Nazis frustriert, Polizei überfordert, Antifa happy
Zu viele wollten den Naziaufmarsch in Dresden blockieren – die Polizei kam nicht hinterher, ihr Trennungskonzept durchzusetzen
Leere Straßenbahnen stauen sich am Morgen über die Dresdner Augustusbrücke bis zum Residenzschloss und zum Zwinger, ihre Blinker lämpeln im Dauermodus. Die Fahrgäste sind längst zu Fuß weiter, die Fahrer harren aus und rauchen. Das hätte man auch vorher wissen können, murren sie. »Jedes Jahr dieselbe Scheiße.« Die Männer sind sich einig: Man sollte das alles verbieten.
»Das alles« ist der Aufmarsch tausender NPD-Anhänger, die die sächsische Landeshauptstadt diesen Sonnabend in ihrer Ruhe stören. Schon zum zweiten Mal in diesem Monat. Südlich vom Hauptbahnhof wollen sich die NPD-Anhänger sammeln und, wie man seit dem Morgen weiß, etwa einen Kilometer weiter zum Nürnberger Platz ziehen. Die Polizei will verhindern, dass sie daran wie im letzten Jahr von Gegendemonstranten gehindert werden. »Weiträumig trennen«, heißt deshalb die Devise. Schon in der Nacht hat die Polizei den gesamten Umkreis umgittert. Auch Dresdens Altstadt ist abgeriegelt, dort dürfen nur symbolische Mahnwachen vor Kirchen stattfinden. Wer über eine der Elbbrücken hinüber darf, entscheiden Polizeibeamte nach Augenschein. Ältere lassen sie meist durch. Bei Jüngeren hängt es wohl davon ab, wie sich der Polizist einen typischen Blockierer vorstellt.
Dennoch sind schon am Vormittag tausende Blockierwillige in der verbotenen Zone unterwegs. Die Polizei jagt sie kreuz und quer durch das Viertel, wo die Nazis demonstrieren wollen. »Wir sind nur gerannt«, sagt Katja, die mit jungen ver.di-Mitgliedern angereist ist. »Bestimmt eine dreiviertel Stunde lang.« Andere versucht die Polizei mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Wasserwerfern aus dem Weg zu räumen. Viele Demonstranten sitzen am Boden und müssen die Augen ausspülen. Ihre Gesichter sind rot vom Reizgas, das für kurze Zeit blind macht und höllisch brennt. Das Aktionsbündnis »Dresden nazifrei« schreibt zu diesem Zeitpunkt in einer Pressemitteilung: »Der Nazi-Aufmarsch soll offenbar durchgeprügelt werden.« Bei der Polizei heißt es noch: Das Trennungskonzept wird durchgesetzt. Ein Sprecher räumt allerdings auch ein, dass die Situation unübersichtlich sei. »Dresden ist eine Großstadt«, bittet er um Verständnis. »Eben steht eine Gruppe noch hier und in der nächsten Minute an einer anderen Ecke.« Da komme man nicht immer hinterher.
So ist es. Eben noch war alles ruhig auf der Fritz-Löffler-Straße hinter dem Dresdner Hauptbahnhof. Die breite Magistrale ist reserviert für die Nazi-Demo. Gegen 12 Uhr stürmen plötzlich hunderte junge Leute aus einer Nebenstraße und skandieren lauthals »Alerta, Alerta, Antifascista«. Und es geschieht, was an diesem Tag eigentlich nicht geschehen soll. Die überwiegend jungen Antifaschisten nehmen mitten auf der Straße Platz und blockieren so die Demonstrationsroute der Nazis.
Blockaden und Luftballons
Die Einsatzleitung will räumen. Als Drohkulisse fahren Wasserwerfer auf. Einige der Beamten tragen Metallkanister mit Pfefferspray auf dem Rücken. Die Situation ist brenzlig. Mehrere Bundestagsabgeordnete der LINKEN verhandeln mit der Staatsmacht. Katja Kipping meldet die Blockade als spontane Kundgebung an. Die Verhandlungen ziehen sich hin. Es wird um Details gestritten. Plötzlich Unruhe unter den jungen Blockierern. Ein rot-rotes Duo betritt die Szenerie: Die beiden Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) und Petra Pau (LINKE) wollen die Lage nun ebenfalls entschärfen. Eine Demonstrantin ruft: »Thierse blockier' se.« Eine Anspielung auf die medienwirksame Sitzblockade des Sozialdemokraten während eines Neonazi-Aufmarsches in Berlin.
Am Bahnhof sammeln sich derweil die Neonazis. Einige Tausend wollen sie werden. Gegen Mittag sind es ein paar Hundert junge Männer und Frauen in schwarzen Jacken und Hosen, die »national und sozial« und »Platz frei für junge Deutsche« brüllen. Eine 50-Jährige Frau stürzt vor, schreit ihnen entgegnen »Die Stadt hat Nazis satt!« und zählt einen Polizisten an, der sie zurückdrängt. Renate Senft ist sauer. Viel zu wenig Dresdner seien heute auf der Straße, klagt sie. Aber die Stadt wolle sich halt nicht eindeutig positionieren. »Viele denken, lass die doch laufen, die laufen sich tot.« Sie glaubt das nicht. Deshalb ist sie mit ihrer Schwester hier und beschimpft die Nazis.
Wenige Meter entfernt in der Altstadt ist von alldem wenig zu merken. Einige Passanten tragen die weiße Rose an der Jacke, das Zeichen für Toleranz und ein friedliches Dresden. Am Altmarkt fordert ein riesiges selbstgemaltes Transparent an einer Brüstung »Nazis raus«. Wenn Hubschrauber in Kolonne am Himmel knattern, gehen die Blicke nach oben, aber ansonsten bummeln die Leute wie üblich über die Prager Straße. Touristen posieren vor dem Goldenen Reiter und schauen in die historischen Kirchen. Bei den Mahnwachen bleiben nur wenige stehen. An der Frauenkirche gibt es Tee, bunte Broschüren zum Gebäude und einen gelben »Hoffnungsstreifen«. Wer will, kann eine Kerze für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe entzünden und neben dem Stand platzieren. Ein deutlicher Hinweis, dass heute einer der größten Neonazi-Aufmärsche Europas stattfindet, fehlt.
Die CDU, die stärkste Kraft im Stadtrat, setzt auch ein Zeichen. Mit der FDP hat sie an der Synagoge ebenfalls eine Mahnwache eingerichtet – vier Holzbänke stehen herum, auf einem Tisch liegt eine aufgerissene Papiertüte mit Pfannkuchen, ein gelb-blauer Sonnenschirm verweist auf den einen, eine Werbebroschüre auf den anderen Veranstalter. Vielleicht 15 Leute sind da. Eine Frau mit Kerze in der Hand sagt, sie wolle durch ihre Anwesenheit zeigen, dass sie gegen Neonazis und für Toleranz eintrete. Gegen halb zwei ermuntert ein Mann mit einem »nur zu, das Luftballonaufblasen ist eröffnet«, Ballons mit den Parteinamen darauf an einem Straßengeländer zu befestigen. Später am Tag sollen sie als »buntes Zeichen« in die Luft steigen. Sie sind weit entfernt von den Auseinandersetzungen um das braune Aufmarschgebiet. Dort geht es weniger entspannt zu.
Die Polizei beginnt die Fritz-Löffler-Straße zu räumen. Plötzlich stürmen aus einer Nebenstraße etwa 200 junge Protestierer heran. Blitzschnell baut sich eine Polizeikette vor ihnen auf, um einen Zusammenschluss der beiden Gruppen zu verhindern. Doch als hätte Moses seine Hände im Spiel, teilt sich die Polizeikette und die Beamten hasten an den Neuankömmlingen vorbei. Denn hinter ihnen, in der Reichenbacher Straße, haben Autonome Mülltonnen angezündet und Container auf die Straße gerollt. Während die Polizisten Richtung Feuer eilen, vereinigen sich beide Gruppen unter großem Hallo. Nun sitzen 500 Menschen auf dem eiskalten Beton. An eine schnelle Räumung ist nicht mehr zu denken. Es ist gar nicht genug Personal vor Ort.
Und nicht nur dort kommt die Polizei nicht hinterher. Selbst wenn »Durchprügeln« ihr Auftrag gewesen sein sollte: Irgendwann geht das nicht mehr, zu viele Menschen stehen oder sitzen an zu vielen Stellen auf Straßen und Kreuzungen und versperren den Nazi den Weg. Bis zu 20 000 sollen es sein, die sich meist friedlich an den Blockadeaktionen beteiligen. Sie sind entweder jung oder alt, was auffällig fehlt, ist die »Eltern-Generation« dazwischen. Die Mehrheit ist von außerhalb angereist, aber es sollen auch rund 5000 Menschen aus Dresden dabei sein. Sie besetzen nicht nur die Demonstrationsroute, sondern verstopfen nach und nach auch alle Anreisemöglichkeiten der Nazis. Auf dem Wiener Platz vor dem Bahnhof gibt es heiße Suppe zum Gesang von Konstantin Wecker.
Einige Male wäre die Situation fast eskaliert. An der Strehlener Straße, wo Blockierer gegen die Kälte antanzen, marschieren behelmte Polizeieinheiten überraschend auf und zerren ohne Vorwarnung einzelne Leute heraus. Kapuzen werden tiefer, Tücher höher gezogen, die meisten Demonstranten setzen sich aber ruhig hin. Gewalttäter hätten sich untergemischt, begründet die Polizei den Vorstoß. Der Oberbürgermeister von Jena, Albrecht Schröter, ist empört. Er hat die Verantwortung für die Blockade übernommen und sie als Kundgebung angemeldet. Absolut unverhältnismäßig sei so ein Vorgehen, kritisiert der SPD-Mann. Es sei doch klar, dass das die Stimmung anheize. Schröter redet mit Engelszungen auf Einsatzleiter und Beamte ein, stellt sich zwischen die Linien. Im Gegensatz zu seinen Dresdner Amtskollegen hat er die Proteste gegen Nazis in seiner Stadt offensiv unterstützt. Seit 2007 verzichten Rechtsextreme auf größere Aufmärsche in Jena. Die Situation in Dresden kommentiert er zurückhaltend: Es habe sich einiges verbessert, sagt er. Die Stadt könne aber noch mutiger werden.
Irgendwann ziehen sich die Behelmten zurück.
Über den Ticker meldet »Dresden Nazifrei«: 13.49 Uhr +++ Blockade auf der Strehlener/Franklin (1000), am Münchner Platz (1500), am Nürnberger Platz (1000), Kaitzer/Bayrische (1000), Löffler/Reichenbach (500). 14.56 Uhr +++ Die Blockade an der Löffler/Reichenbachstr. wurde erfolgreich verstärkt – eine Räumung wurde deshalb abgebrochen.
Dementsprechend gereizt ist die Stimmung auf der Südseite des Hauptbahnhofs. Die dort wartenden 800 Neonazis liefern sich erste Rangeleien mit der Polizei. Viele stehen seit Stunden in der Kälte und wollen endlich marschieren. »Lasst uns durch, wenn ihr Deutsche seid«, skandiert ein kleines Grüppchen. Doch es nützt nichts. Es ist kein Durchkommen an diesem Tag. Es gibt kein Marschverbot, aber es gibt auch keine freien Strecken.
Traurige Nazirockballaden
Auch auf dem Nürnberger Platz, wo die Abschlussveranstaltung der Nazis stattfinden sollte, hat sich das herumgesprochen. Der Treffpunkt ist mit schweren Gittern quasi eingezäunt. Und so wirken die rund 40 Gestalten, die sich auf dem Areal verlieren, wie Insassen eines ganz besonderen Zoos. Ein älterer Rechtsextremer beschwert sich am Telefon über die Behandlung durch die Polizei. Diese sei »unter aller Kanone«, man würde seine Grundrechte massiv verletzen. Einmal hinter dem Zaun, lässt man die Ewiggestrigen nicht mehr hinaus. Passend zur Stimmung spielt der Wagen des »Tattoostudios Unbroken« aus Hettstedt, der für die musikalische Untermalung sorgt, nur noch traurige Nazirockballaden. Ein heiserer Sänger brüllt über den weiten Platz, er sei bereit, »für Deutschland alles zu geben«. Nun, in Dresden müssen er und seine Gesinnungsgenossen schließlich aufgeben. Nur zögerlich treten die Nazis den Rückzug an. Von Bundespolizisten und hämischen Rufen einiger Antifaschisten begleitet, machen sich die verhinderten Demonstranten auf den Weg. Eine Gruppe Hamburger Nazis brüllt den Dresdnern zum Abschied zu: »Ihr habt kein Zentrum mehr, ihr habt kein Zentrum mehr!« Für die meisten Dresdner ist das eine sehr gute Botschaft.
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